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Rheinische Post: Die Macht der Arbeiterklasse

Geschrieben am 30-04-2007

Düsseldorf (ots) - Von Martin Kessler

Die Gewerkschaftsbewegung war neben den Kirchen und dem
organisierten Liberalismus einer der Grundpfeiler der westdeutschen
Demokratie. Ihre meist besonnene Lohnpolitik hat den Weg zum
Wirtschaftswunder der Bundesrepublik bereitet. Gleichzeitig hat sie
die Arbeiterschaft mit der sozialen Marktwirtschaft versöhnt. Die
Abkehr von revolutionären Trugbildern brachte den Werktätigen einen
zuvor nie gekannten Wohlstand. Das ist das historische Verdienst der
Gewerkschaftsbewegung.
In Zeiten des schier schrankenlosen Individualismus verlieren die
Vertreter der Arbeiterklasse an Gewicht. Arbeitnehmer verlassen ihre
Organisation, weil sie fragen, was sie für ihren Gewerkschaftsbeitrag
bekommen. Hinzu kommt, dass die neuen Jobs in flüchtigen
Arbeitsverhältnissen und in der Dienstleistungsbranche entstehen,
während die Industriestellen ins billigere Ausland verlagert werden.
Sind Gewerkschaften also ein Phänomen der Vergangenheit, eine
Bewegung, die sich überholt hat? Man sollte das Totenglöckchen nicht
zu früh läuten. Denn die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen wird
es so lange geben, so lange sie wirtschaftlich begründet und
vernünftig ist. Ein wichtiger Gedanke ist der Versicherungsaspekt. In
Zeiten der Unübersichtlichkeit bieten Gewerkschaften dem einzelnen
Schutz vor krasser Benachteiligung. Sie schaffen es auch, die
Arbeitnehmer schneller an den Früchten des wirtschaftlichen Erfolgs
zu beteiligen, als das in einem reinen Marktsystem möglich wäre.
Aber Arbeitermacht kann nicht den Lohn bestimmen. Der ist letztlich
eine technische Größe, gegeben durch den Kapitaleinsatz, die
Knappheit des Arbeitsangebots und den Produktivitätsfortschritt.
Andererseits wirken Tarifverträge wie ein Mindeststandard, der keinen
durch den Rost fallen lässt. Weil sie von Gewerkschaften und
Arbeitgebern ausgehandelt werden, die sich dem rauen Wind des
internationalen Wettbewerbs stellen müssen, sind sie auch effizienter
als jeder gesetzliche Mindestlohn. Die Pläne der SPD, einen solchen
einzuführen, würden deshalb die Arbeiterbewegung entmündigen.
Wollen die Arbeitnehmer und die sie vertretenden Gewerkschaften ihr
Gewicht behalten, müssen sie den neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten
Rechnung tragen. Sie müssen stärker als in der Vergangenheit sich auf
den Wettbewerb einstellen und Platz für flexible Lösungen schaffen.
Es gibt dafür Ansätze bei manchen Gewerkschaften.
Aber es gibt auch den Traum, das Prinzip der Tariffindung nach außen
abzuschotten. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung, die einen
Tarifvertrag auf alle überstülpt, oder Tarifbindungsklauseln, die
öffentliche Aufträge an Tariftreue binden, gehören dazu. Sie sind
wettbewerbsfeindlich. Aber nur eine Gewerkschaftsbewegung, die sich
an marktwirtschaftlichen Kriterien orientiert, wird im Zeitalter der
Globalisierung überleben.

Originaltext: Rheinische Post
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=30621
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_30621.rss2

Pressekontakt:
Rückfragen bitte an:
Rheinische Post
Redaktion

Telefon: (0211) 505-2303


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