Gerhard Rupprecht, Chef von Allianz Leben und künftig auch der Allianz Deutschland AG, ist auch Vorsitzender des Hauptausschusses Lebensversicherung im Verband der Versicherer GDV. In dessen Zeitschrift 'Positionen' wünscht er sich weniger Bürokratie und mehr Gestaltungsspielräume.
Allianz Lebensversicherungs-AG Stuttgart, 14. November 2005
Welche konkreten Forderungen haben Sie an die neue Regierung?
Rupprecht: Im Vordergrund steht die nachhaltige Reform und Stabilisierung der Sozialversicherungs-Systeme. Kurzfristig können die Finanzierungsprobleme gelöst werden durch die Schaffung neuer sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse und durch eine deutliche Senkung der Lohnnebenkosten.
Langfristig sollte das Verhältnis zwischen umlagefinanzierter gesetzlicher Rente und kapitalgedeckter privater und betrieblicher Altersversorgung von derzeit rund 85:15 auf ein etwa gleichwertiges Verhältnis verändert werden.
Damit die Lebensversicherung ihrer wachsenden Aufgabe im Gesamtversorgungssystem der Bürger gerecht werden kann, sind politische und steuerliche Rahmenbedingungen erforderlich, die eine nachhaltig positive Entwicklung der Branche fördern. Fest steht: Den Bürgern muss die wachsende Eigenverantwortung für die Einkommenssicherung im Alter immer wieder bewusst gemacht werden. Unserer Meinung nach ist die politische Unterstützung, diesen Bewusstseinswandel in der Bevölkerung entscheidend zu forcieren, bisher aber halbherzig.
Die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts wird eine entscheidende Weichenstellung bewirken und sollte zum Anlass genommen werden, das Geschäftsmodell der Lebensversicherung zu stärken, insbesondere die Risikotragfähigkeit der Unternehmen zur Erfüllung ihrer umfangreichen Leistungsgarantien. Wir fordern deshalb: weniger Bürokratie, keine unnötige Regulierung, mehr Gestaltungsspielräume im Rechtsrahmen und im Produktbereich. Als konkrete Produktanforderungen sind zu nennen:
- Verzicht auf die steuerliche Günstigerprüfung bei der Basisrente (Rürup)
- Steigerung der Attraktivität der betrieblichen Altersversorgung durch Weitergeltung der Sozialversicherungsfreiheit für Beiträge in der Entgeltumwandlung über 2008 hinaus.
Was werden Sie zur Umsetzung dieser Forderungen beitragen?
Rupprecht: Für uns ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts der zentrale Ansatzpunkt. Die Umsetzungsvorschläge des Gerichts sind sehr vage und eröffnen viele Gestaltungsmöglichkeiten.
Wir sind deshalb aufgerufen, ein langfristiges Konzept zu entwickeln, um es in die politische Diskussion einzubringen. Dieses Konzept muss das Ziel haben, die Leistungsfähigkeit der Unternehmen zu fördern und die Position der Versicherungsnehmer unter anderem durch verbesserte Transparenz in den Produktunterlagen und der Überschussbeteiligung zu stärken. Als Stichworte des Konzepts seien hier genannt: Risikotragfähigkeit, Rückkaufswerte, Transparenz, Beratungs- und Dokumentationspflichten, Stille Reserven.
Darüber hinaus existieren noch einige andere Aufgaben, denen sich die Lebensversicherer noch stärker widmen werden.
Erstens: Wir wollen die Riester-Rente in allen Bevölkerungskreisen verbreiten, einschließlich der Familien mit geringerem Einkommen.
Zweitens: Auf dem Feld der betrieblichen Altersversorgung sind die positiven Entwicklungen durch das Alterseinkünftegesetz konsequent fortzuführen, insbesondere gilt es, die kleineren und mittleren Firmen noch stärker als bisher für die neuen Möglichkeiten der betrieblichen Altersvorsorge zu gewinnen.
Drittens: Es ist in unserem Interesse, nachzuweisen, dass die Branche mit ihren Vertriebsstrukturen eine enorme Reichweite entfaltet. Gleichzeitig sollten wir verhindern, dass erneute Obligatorien oder so genannte 'Quasiobligatorien', die der Eigenverantwortlichkeit zuwiderlaufen, auch nur diskutiert werden.
Viertens: Mit dem 'Altersvorsorgereport' haben wir ein Instrument an der Hand, das dem Kunden eine laufende Information über seine Versorgungssituation (in Verbindung mit der gesetzlichen und betrieblichen Altersversorgung) liefert und Ansätze für die Anpassung der Vorsorge an seine individuellen Bedürfnisse bietet. In Verbindung mit den Beratungs- und Dokumentationspflichten wird die Beratung der Kunden damit zuverlässiger und transparenter.
Fünftens: Mit unserer laufenden Kommunikationskampagne fördern wir die Bereitschaft zur individuellen Vorsorge in der breiten Öffentlichkeit, was letztlich mittel- und langfristig zu einem stärker eigenverantwortlichen Umgang des Einzelnen mit seiner Altersversorgung führen wird.
Welche Probleme sehen Sie dabei?
Rupprecht: Aktuell droht vor allem die Gefahr, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu einer stärkeren Regulierung führt, besonders wenn man der einseitigen Sichtweise des übertrieben agierenden Verbraucherschutzes folgt. Denn diese Sichtweise kollidiert mit den grundlegenden Erfordernissen eines funktionierenden privaten Versicherungsbetriebs, weil die notwendige Balance von individuellem Verbraucherschutz und kollektiver Rechtssicherheit aufgegeben wird.
Weiter drohen Fehlentscheidungen von politischer Seite bei den Themen Antidiskriminierung, Unisex-Kalkulation, Gendiagnostik und Obligatorien bzw. Quasiobligatorien, die alle zu mehr oder weniger gewichtigen Verschlechterungen der Rahmenbedingungen der Branche führen würden. Natürlich ist hier auch die Produktbesteuerung zu nennen, die je nach politischer Konstellation und Wetterlage immer wieder gern aufgegriffen wird.
Grundsätzlich aber muss darauf geachtet werden, den eingeschlagenen Weg zu mehr Eigenverantwortung konsequent weiterzugehen und nicht schon wieder mit ganz neuen Konzepten die gerade in Gang kommenden Reformen in Frage zu stellen.
Wie wird Ihrer Meinung nach die sozialpolitische Landschaft nach der eben begonnenen Legislaturperiode im Jahr 2009 aussehen?
Rupprecht: Es ist derzeit noch schwer abschätzbar, welche Zukunftsaufgaben in der neuen politischen Konstellation das entscheidende Gewicht erhalten werden. Die notwendige generelle Bestandaufnahme wird aber den wichtigen Bereich der gesetzlichen Sicherungssysteme nicht ausklammern können.
Speziell in der Altersversorgung werden sich bis 2009 die Prinzipien der 'Eigenverantwortung' und 'Kapitaldeckung' durchgesetzt haben und zu einer langfristigen Stabilisierung der gesamten Altersvorsorgung beitragen. Die Bürger werden erkannt haben, dass sie ihren Lebensabend auf Sicht etwa zur Hälfte aus privaten und/oder betrieblichen Renten bestreiten müssen und dafür heute die notwendigen Ansparleistungen erbringen müssen. Mit steuerlichen Mitteln wird diese langfristig angelegte Alterssicherung der Bürger gezielt unterstützt.
Die Vorsorgeinstrumente Riester- und Basisrente in der in privaten Vorsorge sowie Gehaltsumwandlung in der betrieblichen Altersversorgung werden sich etabliert haben und den partiellen Umstieg von der Umlagefinanzierung zur Kapitaldeckung weiter voranbringen.
Dr. Eckhard Marten
Allianz Lebensversicherungs-AG
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