Südwest Presse: Kommentar zu Polen
Geschrieben am 12-08-2007 |
Ulm (ots) - Der Einsatz war hoch, das Spiel nicht ausgereizt. Bis zum Wochenende hielten die Akteure die Spannung mit Reizen und Bluffen aufrecht. Am Tisch: der polnische Regierungschef Jaroslaw Kaczynski von der konservativen PiS, der Chef der Bauernpartei Samoobrona, Andrzej Lepper, und Roman Giertych, der Kopf der Liga polnischer Familien (LPR), mit denen der Regierungschef in einer Koalition verbunden war. Jetzt liegen die Karten auf dem Tisch. In Polen wird im Herbst gewählt. Für die kleineren Parteien Samoobrona und LPR geht es ums politische Überleben. Seit sich Kaczynskis PiS vor zwei Jahren mit den radikalen Partnern verbündet hat, jagt eine Regierungskrise die andere. Minister wurden entlassen und zurückgeholt, um erneut davongejagt zu werden. Korruptionsaffären wurden inszeniert oder aufgedeckt - so genau weiß das niemand. Es wurde gedroht, mit Tonbändern die angebliche Homosexualität des Premiers ans Licht zu bringen. Unterstellungen ersetzten Politik. Die Entscheidung des Premiers hat den vagen Drohungen die Macht genommen, die Balance der Gehässigkeiten aufgekündigt. Jetzt reichen Andeutungen nicht mehr. Gerade den kleineren Parteien droht das Aus. LPR-Erziehungsminister Giertych diskreditierte sich mit seiner Bildungsreform. Dass er sich mit einer weiteren Drohung zur Koalitionsauflösung verstieg, international bekannte polnische Literaten wie Witold Gombrowicz vom Lehrplan zu streichen, nur weil der eine oder andere vielleicht homosexuell gewesen ist, erinnerte die Polen an absurdes Theater. Mindestens so ernsthaft sind die Schwierigkeiten des Bauernführers Lepper. Bei seinem Wählerklientel, den Kleinbauern, das zu den Gewinnern der EU-Erweiterung zählt, stoßen seine anti-europäischen Tiraden zunehmend auf Unbehagen. Auch der Bildungsschub der vergangenen Jahre macht den Radikalen zu schaffen. Bei den zurückliegenden Regional- und Kommunalwahlen büßten sie ein. Die dumpfen Parolen verfangen nicht mehr so sehr. Das könnte auch die Regierungspartei PiS zu spüren bekommen, wenngleich negative Umfragewerte für sie in der Vergangenheit nie die Realität widergespiegelt haben. Regierungschef Kaczynski weiß um die prekäre Situation. Nicht ohne Grund hat er eine Entscheidung herausgezögert und versucht, die Parteien rechts der PiS aufzusaugen. Mit seiner permanent auf Kampf getrimmten Rhetorik und der auf Feindbilder fokussierten Politik hat die PiS viele aufklärte Wähler der politischen Mitte verschreckt. Von der angekündigten "moralischen Revolution" ist nach den Winkelzügen der vergangenen Monate nicht viel geblieben. Fazit: Die neotraditionalistischen Eliten Polens haben den Sprung in die Gegenwart nicht geschafft. Dem Bedeutungsverlust nationaler Politik durch Globalisierung und die Integration in europäische Strukturen begegneten sie mit verbaler Kraftmeierei. Sie erzeugten Konfrontation und Abgrenzung, wo doch Ausgleich und Kompromiss nötig wären. Diese Spielregeln einer pluralistischen Demokratie beherrschten die Herren am Pokertisch nicht. Das gibt wenig Hoffnung für die Zukunft. Denn zumindest die PiS wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen, möglicherweise in einer Koalition mit den oppositionellen Liberalen. Das mag zwar innen- und außenpolitisch Entspannung bringen, ein Garant für eine in die Zukunft gerichtete Politik ist das leider nicht.
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