LVZ: Leipziger Volkszeitung zu Schießbefehl
Geschrieben am 12-08-2007 |
Leipzig (ots) - Der Beweis ist erbracht: Der Schießbefehl ist keine Erfindung von engstirnigen Stasi-Aufklärern, sondern eine historische Tatsache. Es ist eine Nachricht, die einen DDR-Geborenen wütend und traurig zugleich machen kann. Wütend, weil eine unerträgliche Allianz aus ehemaligen Stasi-Oberen und unbelehrbaren SED-Apparatschicks einen Schießbefehl nur allzu gern ins Reich der Fabeln rückt. Traurig, weil am Tag des Berliner Mauerbaus der sinnlose Tod der Opfer besonders schmerzhaft spürbar wird. Viele Flüchtende sind eben nicht zufällig in die Schussbahn eines einzelnen, vielleicht nervös-überreagierenden Grenzsoldaten geraten. Sie wurden ganz bewusst von der allgegenwärtigen Staatssicherheit auf die Todesliste gesetzt. Auch wenn man weiter zwischen "normalen" Soldaten, die zur DDR-Grenztruppe vergattert wurden, und gedrillten Stasi-Einheiten unterscheiden muss - das Magdeburger Dokument ist unabhängig von seiner Aktualität ein zweifellos wichtiger Fund für die Wende-Generation. Öffnet er doch die Augen dafür, wie weit ein totalitäres Regime gehen kann, wenn es dem eigenen Volk nicht traut. Erich Mielkes berüchtigter Satz wirkt im Wissen um den dokumentierten Schießbefehl umso zynischer: Ich liebe euch doch alle, hatte er in der Volkskammer gestammelt. Eine perverse Liebe, wie sich zeigt - im Zweifel sah Mielke seine DDR-Bürger lieber tot im Grenzstreifen als lebend im freien Westen. Und für die Nachgeborenen ist das Wissen, dass die Mauer eine mörderische Grenze war, ebenfalls heilsame Medizin. Sie sollte immun machen gegen nostalgische Stammtischgespräche der Sorte "Früher war doch alles besser." Ein System, dass selbst Frauen und Kinder zum Abschuss freigibt, kann auch nicht mit Arbeitsplatzgarantie und üppiger Sozialversorgung seine Daseinsberechtigung legitimieren. Ein guter Grund auch für die heutige Linke, ihren Standpunkt zu klären. Die Doppelspitze Bisky/Lafontaine, die offen die Systemfrage stellt und aus geschichtsvergessener Sozialismusromantik und dumpfer Nationalstaatsrhetorik einen vergifteten Zaubertrunk anrührt, wäre gut beraten, mindestens heute am Mauertag eine Sendepause einzulegen. Der frei werdende mediale Raum kann sinnvoller gefüllt werden. Zum Beispiel mit dem Film "Das Leben der Anderen" mit Ulrich Mühe in seiner Paraderolle als Stasi-Hauptmann. Dass der viel zu früh gestorbene Charakterdarsteller jetzt posthum mit der Grimmaer Ehrenbürgerschaft geehrt wurde, darf Mut machen. Es ist die Ehrung aus einer früheren DDR-Kreisstadt, die wie jede andere auch im SED-Verwaltungsapparat systemstützend funktionierte. Es ist die Anerkennung der Heimatstadt für den genialen Mimen Mühe, der so brutal und schonungslos der menschenverachtenden Firma Mielke & Co. die Maske abriss. Und der tragischerweise an den Spätfolgen seiner als DDR-Grenzsoldat erlittenen Magengeschwüre verstarb. Nach diesem Film und dem jetzt belegten Schießbefehl verbietet sich jede Schlussstrich-Debatte. Im Gegenteil: Die schon oft tot geredete Birthler-Behörde sollte alle Mittel erhalten, um den noch unerschlossenen Fundus aufzuarbeiten. Auch wenn ihre Ergebnisse erneut wütend und traurig machen: Eilig zugeschüttete Gräben sind keine Lösung, sie brechen über kurz oder lang umso schmerzvoller wieder auf.
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