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Südwestrundfunk (SWR) "Politik ist eine Sucht" Interview mit Jürgen Leinemann, Autor der SWR-Dokumentation "Politik. Macht. Sucht."

Geschrieben am 31-08-2007

Baden-Baden (ots) - Interview mit Jürgen Leinemann, Autor der
SWR-Dokumentation
"Politik. Macht. Sucht.", die am 19. September 2007, um 23.45 Uhr im
Ersten ausgestrahlt wird. Leinemann äußert sich zum Phänomen
"Sucht in der Politik".

Frage: "Ist der Kampf um die Wiederwahl für jeden Politiker sein
Ein und Alles?"
Jürgen Leinemann: "Den Preis bestimmt jeder selbst. Es gibt auch
Politiker, die sagen: Der Preis ist mir zu hoch, ich höre auf. Ein
Preis ist beispielsweise die Arbeitsbelastung. Es ist ja nicht wahr,
dass Politiker wenig arbeiten. Politiker arbeiten viel. Dazu kommen
natürlich die Einsamkeit, die entsteht, und das Misstrauen, mit dem
sie sich wappnen gegen die Gefahr, dass unentwegt jemand ihren Job
will. Schließlich vernachlässigen sie ihr Privatleben und kappen ihre
sozialen Bezüge. Dies alles sind Symptome, die jeder Süchtige kennt.
Sie entstehen bei nicht-stofflichen Drogen genauso, wie bei Alkohol
und Medikamenten."

Frage: "Handelt es sich um einen ein Mechanismus in der Politik,
den Sie beschreiben?"
Leinemann: "Begriffe wie Machtrausch und Machtsucht sind ja nicht in
den letzten zehn oder 15 Jahren erfunden worden. Das Gefühl, dass man
sich dagegen schützen muss, hat mit der Demokratie ein Regelsystem
geschaffen, das identisch ist mit institutionalisiertem Misstrauen in
die Schwäche des Menschen. Das Fernsehen schuf eine neue Form von
Droge. Es erlaubt unentwegt jedem Politiker, sich zu vervielfältigen.
Vom Fernsehen bekommt er stets zurückgemeldet, wie bedeutend er ist.
Gegen diese neue Droge hat das Regelwerk der Demokratie bisher noch
keinen wirklichen Schutz. Dagegen müssen sich Politiker selber
wappnen."

Frage: "In welchem Zustand befindet sich, Ihrer Meinung nach,
Deutschland zurzeit?"
Leinemann: "Was ich erlebe, wenn ich über mein Buch (Anm.:
"Höhenrausch") mit Leuten rede und diskutiere, ist, dass Politiker
und Medien zusammen, dabei sind, ein Bild einer Welt zu vermitteln,
in dem sich die Bürger nicht mehr wiederfinden."

Frage: "Medienoper Wildbad Kreuth. Stimmt diese Einschätzung?"
Leinemann: "Die Vorfälle in Wildbad Kreuth waren ein sehr schönes
Exempel dieser sonderbaren Kombination von extremer Abgehobenheit und
gleichzeitiger Abhängigkeit von der Basis. Die Politiker, die ja
ihrerseits unter ständiger Medienberieselung stehen, haben immer
versucht, das, was sie tun, zu rechtfertigen und zu erklären. Und am
Schluss kam offenkundig etwas zustande, was überhaupt nicht mehr
verständlich war. Die Eigenwirklichkeit, die in solchen
abgeschlossenen Prozessen entsteht, macht die Politiker unsicher.
Immer wieder wird diese Unsicherheit in faktischen Zwischenstationen
nach draußen transportiert, erzeugt ein Echo, das dann wieder
reinkommt. Das ergibt eine Automatik, die alle Beteiligten unfrei
lässt, ihren Bewegungsspielraum einengt und Unglaubwürdigkeit
erzeugt."

Frage: "Wie stark ist Ihrer Meinung nach das Suchtverhalten von
Edmund Stoiber ausgeprägt?"
Leinemann: "Ich halte Stoiber für einen Politiker, der in zu großem
Maße seine Existenzberechtigung aus seiner Tätigkeit bezieht. Und
damit ist er suchtgefährdet, um es milde auszudrücken. Er wird das
sicherlich bestreiten. Er wird immer sagen, dass er die Freiheit hat
zu entscheiden, ob er weitermacht oder nicht. In Wahrheit ist ihm
diese Freiheit längst genommen, und man wird jetzt sehen, wie er mit
dem Entzug fertig wird."

Frage: "Ihr Buch beinhaltet ein sehr persönliches Kapitel zum
Thema Sucht. Sie haben es in Bezug zu der Sucht gestellt, von der wir
jetzt bei Politikern sprachen."
Leinemann: "Meine natürlichen Versagensängste versuchte ich, durch
Alkohol zu bekämpfen und schließlich bin ich dieser Droge erlegen.
Ich stand vor der Entscheidung, daran zu zerbrechen oder aufzuhören
und habe die Sucht überwunden. Das ist über 30 Jahre her und im
Prozess des Entzugs lernte ich eine Menge über mich und Sucht. Ich
habe anschließend wieder angefangen zu arbeiten und bemerkte, dass
das, was ich an mir selber erlebt habe, um mich herum immerzu
passierte. Mir fiel auf, dass ich in der Politik mit Leuten zu tun
hatte, die offenkundig die gleichen Ängste hatten. Sie brauchten
diesen Job genauso wie ich meinen, um ihre eigene Bedeutung zu
unterstreichen. Die Politiker werden durch diesen Betrieb in unfreie
Verhaltensweisen gedrängt und verlieren auf diesem Weg immer mehr die
eigentlichen Ziele aus dem Auge. Schließlich strampeln Sie, um
einfach nur im Spiel zu bleiben. Diesen ganzen Prozess nenne ich, aus
meiner Erfahrung, Sucht. Nach diversen Gesprächen mit Politikern,
Suchttherapeuten und Ärzten bin ich sicher, dass das tatsächlich ein
Suchtverhalten ist. Nach dem Erscheinen meines Buches kamen direkt
hochinteressante Reaktionen. Besonders jüngere Politiker sind sehr
alarmiert, weil sie früh diesen Trend spüren. Von den Etablierteren
hat sich am dringlichsten Horst Seehofer mit dem Thema
auseinandergesetzt. Für Seehofer ist klar - Politik ist eine Sucht.
Nach seiner schweren Krankheit 2002 realisierte er, dass er bis an
den Rand des Todes weiter an seinem politischen Job gehangen und sich
selber dabei fast zerstört hätte. Er sagte: 'Ich habe erkannt, dass
Politik eine Droge sein kann.' Ich denke, er sieht, dass er wieder in
Gefahr ist."

Frage: "Die Höllenhunde, die kommen - der Entzug - wie hat man
sich diesen Prozess vorzustellen?"
Leinemann: "Der Entzug, wie ich ihn mir von Politikern habe
beschreiben lassen, der ist - du sitzt da und wartest auf einen
Anruf, dass irgendjemand dich noch haben will, dass du noch gebraucht
wirst, dass du wichtig bist. Du hast das Gefühl, es grüßt dich keiner
mehr. Die Wahrheit ist, es grüßen dich auch viele nicht mehr. Die
Menschen mit den Kameras laufen an dir vorbei - vorbei zu deinem
Nachfolger. Was immer du vorher auf anderen Gebieten gewesen sein
magst, in dem Augenblick, in dem du dieses politische Amt verloren
hast, das dir das Gefühl gab, du bist ein Rädchen im Uhrwerk der
Geschichte, wird alles andere nichtig."

Die Fragen stellte Victor Grandits.

"Politik. Macht. Sucht." Ein Film von Jürgen Leinemann und Victor
Grandits, am 19. September 2007, 23.45 Uhr, im Ersten. Weitere
Informationen auch unter www.swr.de

Redaktion: Dr. Thomas Leif, Tel.: 06131/929-3504, der Ihnen auch
für Fragen zur Verfügung steht.

Originaltext: SWR - Südwestrundfunk
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/7169
Pressemappe via RSS : feed://www.presseportal.de/rss/pm_7169.rss2


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