Statement des Vorstandsvorsitzenden von CARE Deutschland, Staatssekretär a.D. Heribert Scharrenbroich, vor der Bundespressekonferenz in Berlin am 4. September 2007 zu HUMANITÄRE LAGE IM TSCHAD
Geschrieben am 04-09-2007 |
Bonn (ots) - Nach meiner Reise nach Darfur/Sudan im Februar dieses Jahres habe ich vom 22.- 30. August die Republik Tschad, insbesondere den Ost-Tschad, besucht. Die Reise in den Tschad veranlasst mich zu folgenden Feststellungen bzw. Bewertungen:
A. Allgemeine Lage
Nach dem Human Development Report rangierte Tschad auf der Armutsskala im Jahr 2004 auf Platz 167 von 177 Ländern. Heute liegt es auf Platz 171 und ist somit das 7.ärmste Land der Erde. Die Regierungsgewalt zur Durchsetzung von Gesetzen begrenzt sich weitgehend auf den Bereich um die Hauptstadt N´Djamena.
Die Flüchtlingsbewegung aus Darfur begann 2004. Inzwischen leben im Osten des Tschads ca. 230.000 Flüchtlinge aus Darfur. Diese Zahlen sind in den letzten Monaten stabil geblieben. Die Flüchtlinge werden ausschließlich von der Internationalen Gemeinschaft versorgt. Das gilt auch für die ca. 172.000 Intern Vertriebenen (IDP). Deren Zahl hat sich seit dem vergangenen Dezember verfünffacht. Hinzu kommen ca. 42.000 Flüchtlinge im Süden des Tschad aus der Zentralfrikanischen Republik.
Die Vertreibungen in den Ostregionen sind nach Auffassung von Entwicklungsexperten weniger auf oppositionelle tschadische Rebellen als vielmehr auf marodierende Banden (einschließlich sog. Janjaweeds), ethnische Konflikte und Kämpfe um Wasser zurückzuführen. All dies findet in einem nahezu rechtsfreien Raum statt, nachdem die Regierung ihre Truppen an die Grenze zum Darfur verlegt hat.
Um den wachsenden Spannungen zwischen den Menschen in den Lagern und den benachbarten Ortschaften zu begegnen, kümmert sich die Internationale Gemeinschaft, so auch CARE, zunehmend auch um die Menschen außerhalb der Lager.
Bis zum Beginn des Jahres hatte sich die Internationale Gemeinschaft überwiegend auf Hilfen für die Darfur-Flüchtlinge konzentriert, wodurch die Lage in den Vertriebenen-Lagern entsprechend viel armseliger ist, zumal die Verfünffachung der Vertriebenenzahl seit Jahresbeginn unerwartet kam. Eine weitere Zunahme der Vertriebenen nach der Regenzeit wird angenommen, falls die Sicherheitslage in den betroffenen Kantonen nicht verbessert wird.
In der von Juli bis Ende September normaler Weise herrschenden Regenzeit finden kaum Kämpfe zwischen Regierungs- und Rebellentruppen statt. Allerdings ist auch die Versorgung der Vertriebenen wegen der teilweise hohen Wasserstände in den Wadis sehr erschwert.
CARE ist zuständig für die Versorgung von 52.000 Flüchtlingen in den drei Lagern nördlich von Abéché und 21.000 Vertriebene südöstlich von Abéché. CARE Deutschland hat diese Arbeit mit 2,5 Millionen EURO mit Hilfe der Bundesregierung und aus Eigenmitteln unterstützt. Außerdem betreut CARE-Tschad 32.000 Flüchtlinge aus der Zentral Afrikanischen Republik.
Während meines Aufenthaltes habe ich Gespräche in der Hauptstadt N´Djamena, der Regionalhauptstadt Abéché ( im Osten ) sowie in der weiter nordöstlich gelegenen Präfektur von Iriba und den beiden dort gelegenen Flüchtlingslagern Iridimi und Touloum geführt. Die geplante Reise in Vertriebenenlager musste wegen Überflutung von zwei Wadis abgebrochen werden.
B. Sicherheitsmaßnahmen zur Entspannung der humanitären Lage
Damit Flüchtlinge und Vertriebene in ihre angestammten Gebiete zurückkehren können, muss die Sicherheitslage dort entscheidende Fortschritte machen und ein Befriedungsprozess innerhalb der sich befehdenden Gruppierung gefördert werden. Die Verbesserung der Sicherheit ist auch Voraussetzung, dass die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen den Wiederaufbau der Dörfer unterstützen können.
In diesem Zusammenhang misst CARE der geplanten Stationierung einer EU-Truppe mit UN-Mandat sowie dem geplanten UN/tschadischen Polizeieinsatz große Bedeutung bei. Umso mehr bedauere ich, dass die Bundesregierung diese Maßnahmen bisher nicht unterstützen will und dadurch auch kaum Einfluss auf Ausgestaltung des Mandates sowie die Befehlsstruktur der Truppe nehmen kann.
Nach Auffassung von UN-Organisationen und Nichtregierungsorganisationen in der Hauptstadt und den östlichen Regionen Wadai und Wadi Fira besteht Anlass zu der Befürchtung, dass
- das Mandat der Truppe unzureichend ist, - die Neutralität der Truppe zwischen Regierungstruppen und Rebellen nicht gesichert ist und - der Einsatz von Militär und Polizei nicht rechtzeitig erfolgt.
Wenn eine der drei Problempunkte nicht zufriedenstellend gelöst wird, ist zu befürchten, dass die humanitäre Lage mit dieser Truppe eher verschlimmert als verbessert wird.
Zum Mandat: Die Truppe braucht ein robustes Mandat. Auch wenn sie nicht die Aufgabe haben soll, die Grenze zwischen Tschad und Sudan zu sichern, muss sie dennoch völlige Bewegungsfreiheit auch in der Grenzregion haben, um dort Sicherheit herzustellen. Nur unter diesen Voraussetzungen werden die Vertriebenen in ihre dort gelegene Heimat zurückkehren. Nur dann können die Hilfswerke auch in den bisher gefährdeten Gebieten, aus denen die Vertriebenen kommen, die Rückkehr tatkräftig begleiten. Präsident Déby lehnt aber eine Anwesenheit der Truppe in grenznahen Regionen bisher ab. Diese Beschneidung des Mandates gefährdet eine wichtige Zielsetzung der Mission.
Zur Neutralität: Bei den nach Beendigung der Regenzeit zu erwartenden erneuten Kämpfen zwischen Rebellen und Regierungstruppen sollte die EU-Truppe auf keinen Fall Partei ergreifen. Sonst - so befürchten meine Gesprächspartner vor Ort - würde sie permanent von den Rebellen angegriffen. Dann kann man eine Gefährdung der europäischen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen oder der EU nicht mehr ausschließen.
Frankreich spielt bei dieser Einschätzung eine besondere Rolle. Da Frankreich einerseits als Unterstützer von Präsident Déby angesehen wird, andererseits die Hälfte des Truppenkontingentes französisch sein dürfte, und wenn - wie man hört - das Truppenkommando auch noch von Frankreich dominiert sein sollte, ist dies ein besonders neuralgischer Punkt der Mission.
Zum Stationierungszeitpunkt der EU-Truppe: Ob die Truppen - wie ursprünglich geplant - bereits nach Ende der Regenzeit in ausreichender Stärke und mit einem ausreichenden Mandat vor Ort sein werden, wird weitgehend bezweifelt. Man befürchtet, dass das militärische Vakuum zu einem Wiederaufflammen der Kampfhandlungen verführt.
Zur Aufstellung der Polizeitruppe unter UN-Kontrolle: Man geht davon aus, dass die von der UN zu schulende Polizei ( 800 plus 300 UN-Polizisten) ohne militärischen Schutz außerhalb der Lager nicht großflächig arbeiten kann. Innerhalb der Flüchtlings- wie Vertriebenenlager wird sie nach Auffassung der für die Lager zuständigen Organisationen nicht benötigt - entgegen weitverbreiteter und wiederholt vorgetragener Behauptungen.
Der geplanten Polizei-Verstärkung wird aber große Bedeutung bei der Herstellung von Rechtsstaatlichkeit, dem Aufbau eines rechtsstaatlichen Gerichtswesens und sogar der ebenfalls wünschenswerten Wiedereinführung der traditionellen Autoritäten beigemessen.
Der Wiederherstellung der traditionellen Autoritäten in den Kantonen (Dorfälteste, Sultane) kommt besondere Bedeutung zu. Mit Zerstörung dieser Strukturen wurde auch ein früher funktionierendes Schlichtungswesen bei Auseinandersetzungen um Grund und Wasser beseitigt. Diese Strukturen müssen zwar von den Einheimischen selber wieder aufgebaut werden, die Internationale Gemeinschaft und die Hilfswerke sollten dabei helfen, dass die Voraussetzungen dafür wieder geschaffen werden. CARE wird sich in diesem Sinne engagieren.
C. Appell an die Bundesregierung:
Die von der G-8 unter deutscher Präsidentschaft beschlossenen Hilfen für Afrika werden die betroffenen Menschen im Ost-Tschad nicht erreichen, wenn
- die Sicherheitslage sich dort nicht entscheidend verbessert oder sogar verschlechtert, - die Beachtung allgemein gültiger rechtsstaatliche Normen nicht durchgesetzt wird, - die gegenwärtige Situation der Straflosigkeit bei Verbrechen nicht beseitigt und - ein allgemeiner Aussöhnungsprozess nicht gefördert werden.
Die Bundesregierung würde sich also inkonsequent verhalten, wenn sie sich am Gesamtpaket der Maßnahmen von UN und EU nicht beteiligte. CARE hält es daher für dringend notwendig, dass die Bundesregierung sich in der Sache engagiert, was wiederum Voraussetzung dafür ist, dass sie auf die Bedingungen für die Mission Einfluss nehmen kann.
Die Bundesregierung hat die Möglichkeit der logistischen Unterstützung sowie der Unterstützung bei der Rekrutierung von 300 VN-Polizeiberatern. Zudem wäre eine Ausrüstung der tschadischen Polizei eine mögliche Beteiligung an dieser Mission.
ACHTUNG REDAKTIONEN: CARE Deutschland stellt Ihnen gern lizenz- und rechtefrei Photos von der Reise zur Verfügung. Bei Interesse steht Ihnen die Pressestelle gern zur Verfügung.
Spendenkonto 4 40 40 Sparkasse KölnBonn (BLZ 370 50 198) Onlinespenden unter www.care.de/spenden.html
Originaltext: CARE International Deutschland e.V. Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/6745 Pressemappe via RSS : feed://www.presseportal.de/rss/pm_6745.rss2
Pressekontakt: Rückfragen bitte an: CARE International Deutschland e.V. Thomas Schwarz Telefon: 0228 / 97563 23 Mobil: 0160 / 745 93 61 E-Mail: schwarz@care.de
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