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Huber: Nicht nachlassen im Bemühen um gemeinsames Abendmahl ./. EKD-Ratsvorsitzender spricht bei der 3. Europäischen Ökumenischen Versammlung

Geschrieben am 05-09-2007

Hannover (ots) - Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, hat sich für ein
erneuertes Bemühen im ökumenischen Dialog der Kirchen ausgesprochen.
In einem Vortrag bei der 3. Europäischen Ökumenischen Versammlung in
Hermannstadt/Sibiu (Rumänien) sagte Huber: "Unsere Aufgabe ist es,
der Einheit nachzustreben und sie zu fördern, die in Christus schon
Realität ist." Die Art der ökumenischen Gemeinschaft entscheide mit
darüber, ob Menschen in Europa Vertrauen in die christliche
Verkündigung setzen könnten. "Dafür ist es eine entscheidende
Bewährungsprobe, ob es uns gelingt, unsere Gemeinschaft in
Spiritualität und Gottesdienst weiterzuentwickeln", sagte Huber am
Mittwoch, 5. September.

Das Motto der 3. Europäischen ökumenischen Versammlung "Das Licht
Christi scheint auf alle" verweise auf die Quelle der christlichen
Spiritualität. Der EKD-Ratsvorsitzende rief die in Hermannstadt
versammelten Delegierten christlicher Kirchen dazu auf, sich den
Schatz gemeinsamer christlicher Spiritualität neu bewusst zu machen.
"Wir können und sollen als Kirchen gemeinsam die Menschen in Europa
dabei unterstützen, die Tiefe spiritueller Erfahrung wahrzunehmen,
die in der christlichen Überlieferung unseres Kontinents enthalten
ist." Huber regte einen gemeinsamen Kanon geistlicher Schlüsseltexte
an: "Eine solche Sammlung würde vielen Menschen den Reichtum unserer
spirituellen Überlieferung vergegenwärtigen. Sie würde dabei helfen,
dass wir die Kraft überlieferter Texte neu entdecken und der
Orientierung innewerden, die von ihnen ausgeht. Sie würde dabei
helfen, wenn Menschen Spiritualität mit anderen teilen, ihrer Freude
oder ihrer Trauer gemeinsam Ausdruck geben oder sich auf vertrauten
wie auf neuen Wegen - zum Beispiel bei einer Pilgerwanderung - in die
Sprache christlicher Spiritualität einfinden."

Huber betonte, dass die Kirchen im Bemühen um
Abendmahlsgemeinschaft nicht nachlassen dürften. "Überall dort, wo
Menschen mit unterschiedlicher Kirchenzugehörigkeit in ökumenischen
Familien, in ökumenisch geprägten geistlichen Gemeinschaften oder in
anderen Lebens- und Arbeitsgemeinschaften mit Mitgliedern
verschiedener christlicher Kirchen verbunden sind, zeigt sich, wie
dringlich ein Fortschritt auf diesem Wege ist. Um der Menschen willen
sollten wir Wege suchen, auf denen wir die bleibenden Unterschiede im
Verständnis von Amt und Abendmahl nicht verwischen, wohl aber als
unterschiedliche Wege zu dem einem Licht Christi wechselseitig
anerkennen." Die wechselseitige Anerkennung der Taufe, die im April
dieses Jahres von elf Kirchen in Deutschland unterzeichnet wurde, sei
ein guter Ansatz. In diesem Dokument werde dem Auftrag Jesu zum
Vollzug der Taufe deutlich der Vorrang eingeräumt vor der Frage nach
dem richtigen Amtsverständnis. "Eine solche Betrachtung kann, davon
bin ich überzeugt, auch den Zugang zu einer Antwort auf die Frage
nach der Gemeinschaft im Abendmahl eröffnen."

Im Blick auf die im Juli von der vatikanischen
Glaubenskongregation veröffentlichten Aussagen über das Wesen der
Kirche sagte Huber, er empfinde die Aussagen zum Begriff der "Kirche
im eigentlichen Sinn" als ökumenisch belastend. "Die Kirche im
eigentlichen Sinn ist im Bekenntnis der Schuld vor Gott vereint und
hofft auf seine Gnade; sie ebnet Menschen den Weg zu Gottes
Heiligkeit und lässt sie teilhaben an der Zusage der Versöhnung.
Indem unsere Kirchen Gottes Wort hören, gemeinsam seine
Barmherzigkeit bezeugen und den Nächsten barmherzig begegnen, sind
sie "Kirchen im eigentlichen Sinn". Keine Kirche könne allein das
Licht Christi spiegeln.

Hannover/Sibiu, 4. September 2007
Pressestelle der EKD
Silke Römhild

Vom 4. bis 9. September versammeln sich in Sibiu/Hermannstadt
(Rumänien) mehr als 2000 Christen aus ganz Europa, um über Themen wie
die europäische Einheit, die Rolle der Kirchen und ihr Verhältnis
zueinander, christliche Spiritualität und den Klimawandel zu beraten.
Unter dem Motto "Das Licht Christi scheint auf alle. Hoffnung auf
Erneuerung und Einheit in Europa" laden die Konferenz Europäischer
Kirchen (KEK) und der katholische Rat der Europäischen
Bischofskonferenzen (CCEE) zur 3. Europäischen Ökumenischen
Versammlung (EÖV3). Aus Deutschland sind rund 180 Delegierte dabei.
http://www.oekumene3.eu
www.eea3.org (Offizielle Seite der Veranstalter der EÖV3)

Nachfolgend Text des Ratsvorsitzenden:

1.
Wer auch nur einen Blick in die Heilige Schrift wirft, dem flutet
Licht entgegen. "Der Herr ist mein Licht und mein Heil: Vor wem
sollte ich mich fürchten?" So heißt es im Psalter (Psalm 27,19).
Der Täufer Johannes, so sagt das Johannesevangelium, "kam zum
Zeugnis, um von dem Licht zu zeugen, damit sie alle durch ihn
glaubten. Er war nicht das Licht, sondern er sollte zeugen von dem
Licht" (Johannes 1,7f.). Und Jesus Christus, auf den der Täufer
hinweist, sagt nach dem Zeugnis des Johannesevangeliums von sich
selbst: "Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird
nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens
haben" (Johannes 8, 12).
Die Feste der Christenheit sind in all unseren Kirchen durch das
Symbol des Lichts geprägt. Auf dem Pilgerweg, der uns zu dieser
Versammlung hier in Hermannstadt geführt hat, wurden viele Kerzen
gestaltet und entzündet, die ein Vorzeichen der Versammlung sein
sollten, zu der wir hier zusammengekommen sind. Das Licht der Kerzen
ist der Vorschein des Lichtes Christi. Christus, das Licht,
durchbricht alle Dunkelheit.
In Gottesdiensten aller Konfessionen erklingt zum Osterfest feierlich
der Wechselgesang zwischen Liturg und Gemeinde: "Christus, Licht der
Welt - Gott sei ewig Dank." Während das Licht der Osterkerze die
dunkle Kirche allmählich erhellt, vollziehen wir den Weg aus der
Dunkelheit des Todes in das Licht des Lebens, das Christus uns
schenkt.
Feuerzungen führen nach dem Bericht der Apostelgeschichte am ersten
Pfingsttag die Nachfolger Christi zusammen. Licht wird zum Symbol der
Orientierung auch des christlichen Handelns: "Lebt als Kinder des
Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und
Wahrheit" (Epheser 5,8f).
Licht ist nicht teilbar. Schon die Alte Kirche verstand das Licht
deshalb als Symbol der göttlichen Trinität. Wie das Licht einer
Flamme, das vom Vater zum Sohn und zum Heiligen Geist weitergereicht
wird, je neu und doch immer dasselbe ist, so verhält es sich auch mit
dem Geheimnis der Dreifaltigkeit Gottes.
Das Licht Christi eint. Es umhüllt und durchdringt die, die Jesus
nachfolgen. Die Einheit des dreieinigen Gottes ist das wichtigste
Unterpfand und die wichtigste Antriebskraft unserer ökumenischen
Gemeinsamkeit.

2.
Das Licht Christi ist die Quelle unserer Spiritualität, es erfüllt
Herz, Seele und Geist. Wir dürfen in ihm leben und als Kinder des
Lichts Zeugnis geben von seiner Frucht - Güte, Gerechtigkeit,
Wahrheit.
Das Thema dieser Versammlung enthält eine große Motivationskraft
dafür, dass wir uns den Schatz gemeinsamer christlicher Spiritualität
neu bewusst machen. Diese Ermutigung kommt gerade zur rechten Zeit.
Denn viele Menschen fragen heute neu nach Spiritualität. Manchmal
schweift ihr Blick dabei auch in die Weite. Aber zuallererst sollten
die spirituelle Tiefe der christlichen Tradition und deren Prägekraft
für unseren europäischen Kontinent neu zum Leuchten und zum Klingen
gebracht werden. Wir können und sollen als Kirchen gemeinsam die
Menschen in Europa dabei unterstützen, die Tiefe spiritueller
Erfahrung wahrzunehmen, die in der christlichen Überlieferung unseres
Kontinents enthalten ist.
Um dieser Aufgabe zu dienen, könnten wir gemeinsam einen Kanon
geistlicher Schlüsseltexte aus der Geschichte christlichen Betens und
Bekennens, Singens und Denkens entwickeln. Eine solche Sammlung würde
vielen Menschen den Reichtum unserer spirituellen Überlieferung
vergegenwärtigen. Sie würde dabei helfen, dass wir die Kraft
überlieferter Texte neu entdecken und der Orientierung innewerden,
die von ihnen ausgeht. Sie würde dabei helfen, wenn Menschen
Spiritualität mit anderen teilen, ihrer Freude oder ihrer Trauer
gemeinsam Ausdruck geben oder sich auf vertrauten wie auf neuen Wegen
- zum Beispiel bei einer Pilgerwanderung - in die Sprache
christlicher Spiritualität einfinden.
Das an vielen Orten neu erwachte Interesse an Spiritualität bildet
ein wichtiges Gegengewicht zu Hektik und Materialismus unserer Zeit.
In dem Bedürfnis nach Spiritualität meldet sich der Widerspruch gegen
einen umfassenden Herrschaftsanspruch der Ökonomie, der auch vor der
Ökonomisierung der Seele nicht Halt macht - es sei denn, wir gebieten
ihm Einhalt. Die Spiritualität ist ein Schatz unserer Kirche, den es
zu fördern und zu festigen gilt. Wir sind dankbar für geistliche
Gemeinschaften, in denen diese Spiritualität auf besondere Weise
lebendig ist. Die Organe des Hörens, Einfindens, Schweigens, Betens,
Staunens und Singens müssen geübt werden. Aus einer solchen
geistlichen Tiefe heraus kommen wir auch in unseren Taten, in unserem
Sagen und in unserem Trösten zu einer neuen, geistlich begründeten
Klarheit.

3.
Die Erneuerung christlicher Spiritualität ist auch die entscheidende
Grundlage für das gemeinsame Zeugnis der Kirchen in unserer Welt. Das
Bewusstsein, dass es um ein gemeinsames Zeugnis geht, wird lebendig,
wann immer wir Gottesdienst feiern. Denn jeder Gottesdienst
überschreitet die Grenzen der Gemeinschaft, die sich zu ihm
versammelt; in jedem Gottesdienst ist der eine Leib Christi präsent.
Die Grundlage alles gemeinsamen Wirkens unserer Kirchen ist die
ökumenische Spiritualität, das gemeinsame Hören und Beten. Dazu
brauchen wir Grundformen für gemeinsame Wortgottesdienste ebenso wie
Schritte im Bereich der Sakramentsfrömmigkeit.
Die wechselseitige Anerkennung der Taufe in unseren Kirchen hat für
diese Gemeinsamkeit eine herausragende Bedeutung. Den Anstoß dazu,
dieser wechselseitigen Anerkennung der Taufe eine klare Gestalt zu
geben, verdanken wir Kardinal Walter Kasper und dem päpstlichen
Einheitsrat. Im Jahr 2002 haben sie einen entsprechenden Vorschlag
unterbreitet. Ich bin dankbar dafür, dass die Arbeitsgemeinschaft
Christlicher Kirchen in Deutschland diesen Impuls aufgenommen hat. Am
29. April dieses Jahres haben die Vertreter von elf Kirchen in
Magdeburg die Vereinbarung zur wechselseitigen Anerkennung der Taufe
unterzeichnet. Der Schlüsselsatz dieses Dokuments lautet: Alle
unterzeichnenden Kirchen erkennen "jede nach dem Auftrag Jesu im
Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes mit der
Zeichenhandlung des Untertauchens im Wasser bzw. des Übergießens mit
Wasser vollzogene Taufe an."
Dem Auftrag Jesu zum Vollzug der Taufe wird in diesen Worten deutlich
der Vorrang vor der Frage zuerkannt, in welcher Weise in den
einzelnen Kirchen die Amtsträger - oder Amtsträgerinnen - legitimiert
sind, die das Sakrament vollziehen. Eine solche Betrachtung, die dem
Auftrag oder der Einladung Jesu den Vorrang vor den unterschiedlichen
Amtsverständnissen einräumt, kann, davon bin ich überzeugt, auch den
Zugang zu einer Antwort auf die Frage nach der Gemeinschaft im
Abendmahl eröffnen. Wir sollten in dem Bemühen um eine Lösung dieser
Frage nicht nachlassen. Überall dort, wo Menschen mit
unterschiedlicher Kirchenzugehörigkeit in ökumenischen Familien, in
ökumenisch geprägten geistlichen Gemeinschaften oder in anderen
Lebens- und Arbeitsgemeinschaften mit Mitgliedern verschiedener
christliche Kirchen verbunden sind, zeigt sich, wie dringlich ein
Fortschritt auf diesem Wege ist. Um der Menschen willen sollten wir
Wege suchen, auf denen wir die bleibenden Unterschiede im Verständnis
von Amt und Abendmahl nicht verwischen, wohl aber als
unterschiedliche Wege zu dem einem Licht Christi wechselseitig
anerkennen.
Denn als Kirchen tragen wir Verantwortung dafür, dass sich die
Bindung der Menschen an Jesus Christus, der das Licht auch für ihr
persönliches Leben ist, nicht lockert, sondern festigt. Gemeinsam
stehen wir vor der Aufgabe, dass ihnen ihre kirchliche Heimat nicht
fremd wird, sondern vertraut bleibt und immer vertrauter wird. Und
den Menschen gegenüber, denen unser Glaube fremd geworden ist, ist es
unser gemeinsamer Auftrag , das Licht Christi nicht zu verdunkeln,
sondern seinem Leuchten freien Lauf zu lassen. In der religiös
pluralen Welt Europas ist die ökumenische Gemeinschaft nicht nur ein
vom Evangelium her gefordertes Zeugnis, sondern ein elementarer Teil
des gemeinsamen Auftrag, "Rechenschaft zu geben über die Hoffnung,
die in uns ist" (1. Petrus 3, 15). Die Art unserer ökumenischen
Gemeinschaft ist von großer Bedeutung dafür, ob unsere Verkündigung
Vertrauen findet. Dafür ist es eine entscheidende Bewährungsprobe, ob
es uns gelingt, unsere Gemeinschaft in Spiritualität und Gottesdienst
weiterzuentwickeln.

4.
Gemeinsam bekennen wir mit den Konzilien von Nicäa und
Konstantinopel: "Wir glauben ... an den einen Herrn Jesus Christus,
Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott
von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott ..." Das
Bekenntnis richtet sich auf eine Einheit, die uns vorgegeben ist; wir
können über sie nicht verfügen. Und weil die Einheit der Kirche in
Christus als ihrem Herrn gründet, kann es nur eine Einheit in der
Wahrheit geben. In dieser Gewissheit ruht unsere ökumenische
Spiritualität. Das Ringen um eine Einheit in der Wahrheit bestimmt
die Geschichte unserer Kirchen von Anfang an. Dieses Ringen ist das
Grundthema der Geschichte der Christenheit. Es bleibt auch dort
bestimmend, wo der Streit um die Wahrheit Spaltungen nach sich
gezogen hat. Doch weil es sich so verhält, sind wir verpflichtet,
beides ernst zu nehmen: den Auftrag zur Einheit wie das Ringen um
Wahrheit. Weil es sich so verhält, müssen wir bei unseren
ökumenischen Bemühungen beidem gerecht werden: der Einheit, die in
Christus gründet, und den unterschiedlichen Zugängen zu der einen
Wahrheit, die Christus selbst ist. Daraus erklären sich die
unterschiedlichen Wege unserer Kirchen; daraus erklärt sich zugleich,
dass wir auch in unseren Unterschieden aneinander gebunden bleiben.
Unsere Aufgabe ist es, der Einheit nachzustreben und sie zu fördern,
die in Christus schon Realität ist. Darin, wie wir jeweils im Ringen
um die eine Wahrheit Christus als dem Herrn der Kirche, ihrem Grund
und Ziel, treu zu sein versuchen, haben wir uns wechselseitig zu
achten. Das geschieht in dem Bewusstsein, dass keine kirchliche
Gemeinschaft über ihr Kirchesein verfügt. Jede Kirche ist durch
beides geprägt: durch Licht und Schatten, Gerechtigkeit und Sünde,
Treue und Verrat, Glauben und Unglauben. "Herr, ich glaube, hilf
meinem Unglauben" (Markus 9, 24); dieser Ruf um Hilfe kann, ja muss
auch immer wieder der gemeinsame Ruf der Kirchen sein.
Nur in solcher Demut können wir die Frage nach der "Kirche im
eigentlichen Sinn" stellen. Die Kirche im eigentlichen Sinn ist im
Bekenntnis der Schuld vor Gott vereint und hofft auf seine Gnade; sie
ebnet Menschen den Weg zu Gottes Heiligkeit und lässt sie teilhaben
an der Zusage der Versöhnung. Indem unsere Kirchen Gottes Wort hören,
gemeinsam seine Barmherzigkeit bezeugen und den Nächsten barmherzig
begegnen, sind sie "Kirchen im eigentlichen Sinn".
Aus diesem Grund empfinde ich es nach wie vor als ökumenisch
belastend, wenn der Begriff der "Kirche im eigentlichen Sinn" zum
Zankapfel zwischen den Kirchen wird. Die entsprechenden
Formulierungen römisch-katholischer Autoritäten kann man seit dem
Dokument der vatikanischen Glaubenskongregation vom 11. Juli dieses
Jahres nicht mehr als einen "zugegebenermaßen verkürzt geratenen
Halbsatz" bezeichnen, wie Kardinal Kasper noch am 9. Juli dieses
Jahres im Blick auf die Erklärung "Dominus Iesus" aus dem Jahr 2000
formuliert hat. Vielmehr brauchen wir jetzt einen neuen gemeinsamen
Ansatz. Denn es versteht sich nicht mehr von selbst, dass die
ökumenische Karawane weiterzieht. Wir müssen diese Bewegung vielmehr
gemeinsam wollen; und wir müssen uns über ihre Richtung verständigen.
Sollten wir dabei nicht in aller Demut bekennen, dass keine unserer
Kirchen allein das ganze Spektrum der Farben innerhalb des Lichtes
Christi darstellen kann? Auch dadurch wird unser ökumenisches Bemühen
angetrieben, dass keine Kirche allein das Licht Christi zu fassen
oder zu spiegeln vermag. Erhöbe eine Kirche den Anspruch, in ihr
allein aktualisiere sich die Realität Jesu Christi und damit der
Grund der Kirche, erschwerte, ja verhinderte sie das gemeinsame
Leuchten im Licht Jesu Christi selbst.
Für die evangelischen Kirchen ist deshalb die Achtung des Kircheseins
derer, die um die Einheit und die Wahrheit Christi ringen, eine
wichtige ökumenische Grundregel. Für uns ist nicht zu erkennen, dass
der Weg zur Einheit in Vielfalt oder zu versöhnter Verschiedenheit
auf andere Weise gefunden werden kann. Dabei verkennen wir die
Schwierigkeiten nicht. Wir müssen Ökumene heute unter der
Voraussetzung gestalten, dass die beteiligten Kirchen nicht nur
unterschiedliche Kirchenverständnisse sowie unterschiedliche
Vorstellungen von Amt und Ordination, vom Verhältnis zwischen Schrift
und Tradition oder von Frauen im geistlichen Amt haben, sondern dass
sie unterschiedliche Vorstellungen von dem haben, was "sichtbare
Einheit" bedeutet. Es wäre ja auch zu verwunderlich, wenn die
verschiedenen theologischen Ansätze und die verschiedenen
geschichtlichen Erfahrungen sich nicht auch in unterschiedlichen
Auffassungen von der Einheit der Kirche spiegelten.
Wechselseitige Wahrnehmung und wechselseitiger Respekt sind wichtige
Voraussetzungen für ökumenische Fortschritte. Wir sollten einander
die Spaltungen unserer Geschichte nicht länger zum Vorwurf machen.
Wenn die evangelischen Kirchen sich in diesen Jahren auf das
fünfhundertjährige Jubiläum der Reformation vorbereiten, ist es
nötig, daran zu erinnern, dass die Reformation sich nicht von den
gemeinsamen Wurzeln der Christenheit losgesagt hat. Im Gegenteil: Die
Absicht der Reformatoren war es nicht, eine neue Kirche zu gründen,
sondern die Verdunkelung des Glaubens zu überwinden, damit das Licht
Christi hell für alle strahle. Auch die evangelische Kirche hat ihre
Wurzeln in der Bibel und in der alten Kirche. Die Reformatoren waren
bestimmt von der Treue zur biblischen Botschaft und zum gemeinsamen
Bekenntnis der Christenheit. Und die daraus hervorgehende Kirche ist
die katholische Kirche, die durch die Reformation gegangen ist. Wir
haben nicht nur eine 500jährige gemeinsame Geschichte, sondern eine
2000jährige Geschichte, wir haben auch in diesem Sinne viel mehr
gemeinsam, als manchmal behauptet wird.

5.
Die Rolle der Kirchen hat sich in Europa während der vergangenen
zweihundert Jahre tiefgreifend gewandelt. Mit dem Zusammenwachsen
Europas wird uns das in verstärktem Maß bewusst. Die europäischen
Staaten folgen heute weithin dem Verständnis eines religionsneutralen
Staates, der die Religionsfreiheit achtet und fördert. Die Zeit der
Staatskirchen ist somit vorbei. Doch die Wirkungsgeschichte des
Evangeliums dauert an: Die Botschaft von Gottes Gnade wird verkündet,
Menschen gründen ihr Leben im Glauben und lassen sich zu Taten der
Liebe anstiften, der Gedanke der christlichen Freiheit wirkt auch
dort fort, wo ein Hinweis auf seine Wurzeln fehlt. Der Gedanke der
Menschenrechte und der Religionsfreiheit, die Ausgestaltung des
demokratischen Staates, die Orientierung gesellschaftlichen Handelns
an Gerechtigkeit, die Solidarität mit Menschen in Not oder auf der
Flucht, die Idee eines Europas der Versöhnung und des Friedens
verdanken sich entscheidenden Impulse des christlichen Glaubens und
mit ihm der jüdischen Tradition. Wir spüren das immer deutlicher.
Deshalb geht die Vorstellung, dass sich der Glaube in die
Privatsphäre abschieben lasse und dass gesellschaftliches
Zusammenleben ohne die öffentliche Erkennbarkeit von Religion und
Glaube möglich sei, an der Wirklichkeit vorbei.
Die moderne Entwicklung Europas hat sich freilich auch mit Schüben
der Entkirchlichung verbunden. Mitten in Europa sind viele Menschen
aufgewachsen, ohne von Christus zu erfahren. Doch das bedeutet nicht,
dass in der modernen europäischen Gesellschaft für den Glauben kein
Raum mehr sei. Die These, moderne europäische Gesellschaften seien
durchgängig säkularisiert, treffen die Wirklichkeit nicht. Vielmehr
können Menschen frei von staatlicher Bevormundung und staatlichem
Zwang von ihrer Freiheit zum Glauben und von ihrer Freiheit aus
Glauben Gebrauch machen. In der Vielfalt der Überzeugungen und
Religionen hat der christliche Glaube in der europäischen
Gesellschaft einen unverwechselbaren Ort. Es liegt an uns, diesen Ort
zu nutzen und das Evangelium zum Leuchten zu bringen.
Dafür ist es nötig, in eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem
Selbstverständnis der europäischen Moderne einzutreten. Der
evangelische Glaube schätzt und würdigt die nicht zuletzt in der
Reformation freigesetzten Impulse der Aufklärung und der
individuellen Freiheit, der klaren Unterscheidung zwischen Konfession
und Bürgerrecht bzw. zwischen Staat und Kirche, die Impulse der
kritischen Wissenschaft und der verantworteten Freiheit menschlicher
Lebensführung. Gerade auf dieser Grundlage wendet er sich kritisch
gegen eine Verkehrung der Freiheit in Beliebigkeit, der
wissenschaftlichen Erkenntnis in einen Allmachtsanspruch oder des
wirtschaftlichen Fortschritts in einen Herrschaftsanspruch der
Ökonomie.
Die Kirchen der Reformation und ihre Theologie haben immer für einen
engen und notwendigen Zusammenhang zwischen Glauben und Vernunft
plädiert. Aber der Glaube hat überall und zu allen Zeiten die
Aufgabe, jedem Vernunftverständnis die Grenzen seiner Reichweite
aufzuzeigen. Glaube und Vernunft haben je ihren eigenen Bereich; aber
sie bleiben auf einander bezogen. Das haben wir heute gemeinsam denen
gegenüber zu bezeugen, die Glauben und Vernunft trennen wollen - sei
es, um den Glauben vernunftfrei und damit irrational zu machen, sei
es, um die Vernunft glaubensfrei zu halten und damit absolut zu
setzen.

6.
Die Kirchen der Reformation vertrete ich in dem heutigen ersten
Plenum unserer Versammlung. Die Stimme von Wittenberg bringe ich nach
Hermannstadt. Deshalb schließe ich mit einer Bitte, die die
vorbereitende Versammlung von Wittenberg im Februar dieses Jahres
formuliert hat: "In Demut und Gebet ermutigen wir unsere Mitchristen,
ihre Herzen für das wahre Licht Jesu Christi zu öffnen und sich
gemeinsam mit uns dafür einzusetzen, dass wir unserem Kontinent
Gerechtigkeit und Hoffnung bringen. Das Licht Christi inspiriert uns
dazu, die Gaben des Friedens, der Versöhnung und der Einheit in
unserer zerrissenen Welt zu bezeugen und für sie einzutreten."

Für die Richtigkeit
Hannover/Sibiu, 4. September 2007
Pressestelle der EKD
Christof Vetter / Silke Römhild

Originaltext: EKD Evangelische Kirche in Deutschland
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55310
Pressemappe via RSS : feed://www.presseportal.de/rss/pm_55310.rss2

Pressekontakt:
Evangelische Kirche in Deutschland
Hans-Christof Vetter
Herrenhäuser Strasse 12
D-30419 Hannover
Telefon: 0511 - 2796 - 269
E-Mail: christof.vetter@ekd.de


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