Börsen-Zeitung: Misstrauensvotum, Börsenkommentar "Marktplatz" von Christopher Kalbhenn
Geschrieben am 08-10-2010 |
Frankfurt (ots) - Es ist noch nicht lange her, dass Prognosen
eines baldigen Anstiegs des Goldpreises auf 1500 und mehr Dollar ins
Reich der Phantasie verwiesen wurden. Mittlerweile bedarf es jedoch
keiner Phantasie mehr, um sich einen Vorstoß des Edelmetalls auf 1600
oder auch 1700 in den kommenden Monaten vorzustellen. Denn der
Unzenpreis bewegt sich derzeit mit beeindruckendem Tempo nach oben.
Rekordhohe 1365 Dollar wurden jetzt erreicht, nachdem das Edelmetall
Anfang August noch bei 1180 Dollar gelegen hatte. Seit Jahresbeginn
hat sich ein stattlicher Gewinn von 25% angesammelt, seit Anfang 2007
ein Wertzuwachs von 115%. Nicht schlecht für einen Rohstoff, der um
die Jahrtausendwende, als er in einem Bereich um 300 Dollar vor sich
hindümpelte, als Anlage-Asset für tot erklärt wurde.
Der Run der Investoren auf das Gelbe Metall, der bei den Händlern
die Münz- und Barrenbestände leert, stellt den Industrienationen und
ihrer Wirtschaftspolitik ein schlechtes Zeugnis aus. Ob berechtigt
oder nicht: Die Hausse der Edelmetalle ist ein klares
Misstrauensvotum. Seitdem der Zusammenbruch des Finanzsystems und der
Weltwirtschaft nur mit einem gigantischen, historisch einmaligen
Bündel aus Konjunkturankurbelungspaketen und geldpolitischen
Stützungsmaßnahmen abgewendet werden konnte, besteht dieses
Misstrauen. Die sehr niedrigen Zinsen und die Liquiditätsschwemme,
wird geargwöhnt, werden über kurz oder lang zu einer beschleunigten
Geldentwertung führen. Die Regierungen könnten, so eine weitere
Befürchtung, versucht sein, einen Teil ihrer hohen Schulden
"wegzuinflationieren". Dass Inflationsängste ausgerechnet in einem
Umfeld grassieren, in dem sich die Industrieländer in Wirklichkeit
über Deflationsrisiken den Kopf zerbrechen müssen, untermauert nur,
wie tief das Misstrauen sitzt und wie dringend Vertrauensbildung ist.
Alles andere als vertrauensbildend ist jedoch das, was die Anleger
derzeit sehen. Die jüngste Beschleunigung der Gold-Hausse
korrespondiert nicht zufällig mit dem Verfall des Dollar auf breiter
Front. Seit die US-Notenbank signalisiert hat, die Staatsanleihekäufe
zu forcieren, falls sich die konjunkturellen Aussichten weiter
eintrüben, fällt der Dollar, und Anleger suchen aus Sorge vor einer
Entwertung des Greenback ihr Heil im Gold. Hinzu kommt der
Abwertungswettlauf bzw. die Versuche zahlreicher Länder, ihre stark
steigenden Währungen zu bremsen. Von einem Währungskrieg war schon
die Rede. In Ländern wie Brasilien, Japan und der Schweiz
intervenieren die Notenbanken gegen die eigene Währung. Die
Europäische Zentralbank verschiebt den längst fälligen Start ihres
Ausstiegs aus den außergewöhnlichen Liquiditätshilfen, in Australien
wird eine aufgrund anziehender Inflation notwendige Leitzinsanhebung
aufgeschoben. Der Erhalt des Geldwerts - so die Botschaft, die bei
den Anlegern ankommt - hat derzeit nicht die Priorität, die er haben
sollte, und solange dieser Zustand anhält, wird der Goldpreis
haussieren.
Nicht nur das Edelmetall ist derzeit in Hausse-Laune.
Bemerkenswerterweise ziehen auch die Aktienmärkte der Schwellenländer
stark an. Der Sammelindex MSCI Emerging Markets hat in der gerade
beendeten Woche mit 1112 Zählern den höchsten Stand seit 27 Monaten
erreicht. Allein seit Anfang September ist der Index um fast 15%
gestiegen. Gold-Angstkäufe bei gleichzeitigem starken Zuspruch für
Emerging-Market-Anlagen sind eine ungewöhnliche Kombination.
Schließlich gehören letztere zu den riskanteren Assets.
Angelockt werden die Anleger von dem deutlich höheren Wachstum der
Schwellenländer. Da dementsprechend die Unternehmensgewinne in den
Emerging Markets stärker steigen, ist ihre Outperformance auch
nachvollziebar. Schwellenländer haben aber noch mehr zu bieten. Sie
haben eine deutlich geringere Verschuldung als die Industrienationen,
einen positiven Rating-Trend, sind aufgrund der gewaltigen
Devisenreserven vor allem Chinas insgesamt betrachtet Nettogläubiger,
erwirtschaften mehrheitlich Leistungsbilanzüberschüsse und haben
einen solideren Finanzsektor als die etablierten Volkswirtschaften.
Insofern ist ihre Outperformance letztlich ebenfalls als eine Art
Misstrauensvotum gegen die Industrieländer anzusehen.
(Börsen-Zeitung, 9.10.2010)
Originaltext: Börsen-Zeitung
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