Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Ein Jahr neue Regierung Noch übt Schwarz-Gelb ALEXANDRA JACOBSON, BERLIN
Geschrieben am 27-10-2010 |
Bielefeld (ots) - Immerhin ein Vorwurf gegen die schwarz-gelbe
Regierung hat sich nach einem Jahr erübrigt. Vom Verharren in
Untätigkeit hat sie sich befreit und ist in den Modus der hektischen
Betriebsamkeit gewechselt. Doch auch aus dem "Herbst der
Entscheidungen" will keine runde Sache werden. Da wird zum Beispiel
die Tabaksteuer erhöht, um Löcher im Sparpaket zu stopfen. Im
Koalitionsvertrag steht aber: "Steuererhöhungen zur Krisenbewältigung
kommen für uns nicht infrage." Die Regierung ist bekanntlich sogar
mit dem vollmundigen Versprechen angetreten, den Menschen mehr Netto
vom Brutto zu belassen. Nachzuvollziehen ist das nicht mehr. Der
Sündenfall bei der Tabaksteuer ist zu verschmerzen. Aber es steigen
auch die Sozialabgaben - für die Krankenkassen, die
Arbeitslosenversicherung und die Pflege. Alle Zumutungen wären besser
zu ertragen, wenn die Lasten gerechter verteilt wären. Aber der
Impuls der sozialen Balance verkümmert immer mehr. Die Tabaksteuer
wurde doch deshalb ausgegraben, um die energieintensive Industrie vor
der Ökosteuer zu schützen. Subventionsabbau ist Fehlanzeige. Es
verhärtet sich der Eindruck, dass die Regierung denjenigen nachgibt,
die am lautesten rufen. Das mag die Atomlobby sein, die
energieintensiven Betriebe, die Hotelbesitzer oder wer auch immer.
Das Sparpaket wird aufgeweicht, wenn es um die Wirtschaft geht. Für
die Hartz-IV-Bezieher bleibt es hingegen beim einmal Beschlossenen,
zum Beispiel bei der Streichung des Elterngelds. Schnell wird nun
auch das Elterngeld für die Handvoll Superreicher im Land gestrichen.
An der sozialen Schieflage ändert das nichts, hier handelt es sich um
pure Symbolpolitik. Schwarz-Gelb macht nicht nur Murks. Zweifellos
könnte aus der Wehrreform des Ministers zu Guttenberg ein großer Wurf
werden. Und auch Arbeitsministerin von der Leyen ist immer noch eine
der besten Erklärpolitiker in diesem Land. Und mag der Aufschwung vor
allem durch die richtige Wirtschaftspolitik der Vorgängerregierungen
vorbereitet worden sein: Aktiv verhindert hat ihn Schwarz-Gelb
jedenfalls nicht. Dass die Bürger die gute Konjunktur nicht mit
Schwarz-Gelb verknüpfen, liegt am Grundfehler dieser Konstellation:
Es mangelt an Vertrauen. Diese Grundwährung der Politik ist nicht nur
schwach, sondern kaputt. Das liegt weniger an Kanzlerin Angela
Merkel. Aber FDP-Chef Guido Westerwelle und vor allem der
CSU-Vorsitzende Horst Seehofer stehen derart mit dem Rücken zur Wand,
dass sie zu häufig auf eigene Rechnung arbeiten. Es gibt kein
stimmiges Bild der Gemeinsamkeiten. Sollen mehr Fachkräfte aus dem
Ausland kommen dürfen oder gar keine? Soll die Mehrwertsteuerregelung
reformiert werden oder lieber doch nicht? Wird es noch
Steuerentlastungen geben oder nicht? Woran merkt der normale Bürger
den angeblichen Vorrang für die Bildung? Es entsteht der Eindruck,
dass diese Regierung noch übt. Soll das wirklich noch drei Jahre so
weitergehen?
Originaltext: Neue Westfälische (Bielefeld)
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