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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Positive Entwicklung am Arbeitsmarkt Bedrohung nicht aus der Welt MARTIN KRAUSE

Geschrieben am 29-10-2010

Bielefeld (ots) - Welche Fähigkeiten muss ein Mensch haben, der in
Deutschland arbeiten will? Verblüffend: Hilfsbereitschaft und Geduld
sind in unserer von Ehrgeiz zerfressenen Gesellschaft wieder solide
Voraussetzungen. Denn weil die Menschen immer älter werden, wächst in
der Kranken- und Altenpflege der Fachkräftemangel. Der deutsche
Arbeitsmarkt erlebt kurz nach der Finanzkrise eine unverhoffte
Renaissance - und man muss nicht einmal Ingenieur sein, um eine
Stelle zu finden. Der Mut vieler Unternehmer, auf Kündigungen zu
verzichten, war für die Erholung ebenso wichtig wie die Maßnahmen der
Bundesregierung. Doch die Wirtschaft ist zum Teil auch aus
schmerzlicher Erfahrung klug geworden. Weil sich dubiose Investments
am Finanzmarkt nicht ausgezahlt haben, erscheinen weniger riskante
Investitionen am Standort Deutschland wieder attraktiv. Daraus ergibt
sich die Hoffnung, dass wieder mehr Kapital im Inland Stellen
schafft. Schon wird wieder von Vollbeschäftigung geredet. Ist das
Ideal, dass nahezu jeder gebraucht wird, in einem Hightech-Land
realistisch? Jahrzehntelang hat wachsende Arbeitslosigkeit unsere
Gesellschaft mitgeprägt. Zukunftsangst hat verunsicherte Arbeitnehmer
(und schon Schulkinder) zu höchsten Leistungen angetrieben. Häufige
Depressionen und die negative demographische Entwicklung sind
Indizien dafür, dass die Gesellschaft dem Druck nicht standhält. Denn
Gestresste bekommen keine Kinder, und Verzagte wagen keine Abenteuer.
Wie immer birgt die Krise die Chance zum Wandel. Ironischerweise
hilft gerade der Geburtenmangel dabei, die Arbeitslosigkeit zu
senken. Die Brisanz der Diskussion über die Verteilung der Arbeit und
eine gerechte Entlohnung besteht nicht in der Frage, ob wir 35 oder
45 Stunden pro Woche arbeiten wollen oder ob der Rentenanspruch mit
67 oder 70 gewährt wird. Flexible, zunehmend individuelle Lösungen
sind sinnvoll. Dies ist in immer neuen Verhandlungen zu klären. VW
etwa hat mit kurzer Wochenarbeitszeit Erfolg. Entscheidend ist die
Arbeitsproduktivität, die durch Innovationen weiter wächst. Bleiben
wir also verhandlungsbereit. Verhandlungen über Preise und Löhne sind
das wirtschaftliche Urprinzip. Arbeitnehmer sind dafür auf starke
Gewerkschaften angewiesen. Dies gilt, zumal die Bedrohung am
Arbeitsmarkt ja nicht aus der Welt ist - viele der gefeierten neuen
Arbeitsverhältnisse sind prekär und bringen neue Sorgen. Zwar werben
Politiker reihenweise für höhere Löhne, aber die Wirtschaftsführer
warnen umso hektischer vor mutigen Forderungen. Das alte Spiel.
Brisanz liegt in den Verteilungskämpfen an immer neuen Fronten.
Akzeptieren wir, dass Teile der Bevölkerung vom Aufschwung
ausgeschlossen bleiben? Die Frage, wie viele Menschen in den
Arbeitsmarkt integriert werden, hängt in der sozialen Marktwirtschaft
nicht allein vom Effizienzkalkül ab. Bildung ist die wichtigste
Stellschraube. Geduld und Hilfsbereitschaft müssen wir uns leisten.

Originaltext: Neue Westfälische (Bielefeld)
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65487
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65487.rss2

Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de


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