Weser-Kurier: Der "Weser-Kurier" (Bremen) kommentiert in seiner Ausgabe vom 30. November 2010 die neuesten Enthüllungen von Wikileaks zur US-Außenpolitik:
Geschrieben am 29-11-2010 |
Bremen (ots) - Die Last mit dem Leck
von Joerg Helge Wagner "Enthüllt - wie Amerika die Welt sieht"
brüllt uns seit gestern die Schlagzeile an. In Großbuchstaben,
natürlich. Im Blatt-Inneren erfahren wir dann, dass "Amerika" -
gemeint ist die US-Regierung - "die Welt" offenbar genauso sieht wie
Millionen aufmerksame Zeitungsleser, Internet-Surfer und
Nachrichtenverfolger auch. "Enthüllt" wird, dass die US-Botschaft in
Berlin Westerwelle für keinen Genscher hält. Zudem haben die
Diplomaten bemerkt, dass Merkel das Risiko meidet und ihre interne
Machtpolitik methodisch, rational und pragmatisch betreibt. Ach ja,
und Andrea Nahles steht deutlich links von Frank-Walter Steinmeier,
Seehofer ist unberechenbar, Schäuble ziemlich konservativ, Guttenberg
ziemlich helle und Niebel ziemlich schräg. Was die
"Spiegel"-Redakteure allen Ernstes schreiben ließ: "Amerika, daran
besteht kein Zweifel, weiß mehr über die Geheimnisse der deutschen
Politik als viele deutsche Politiker" - da konnte man nach lauter
Gähnen doch einmal erfrischt auflachen. Staaten unterhalten
Botschaften aus genau drei Gründen: Man vertritt die Belange der
eigenen Landsleute im jeweiligen Staat, man sammelt Informationen
über das Land und leitet diese an die eigene Regierung weiter, man
repräsentiert den eigenen Staat auf politischer, wirtschaftlicher,
kultureller und militärischer Ebene. Dossiers über maßgebliche
Persönlichkeiten und Einschätzungen von Entwicklungen sind also kein
Bruch diplomatischer Gepflogenheiten, sondern ihr Bestandteil. Dass
dabei nicht höflich geschwafelt, sondern Klartext geschrieben wird,
kann niemand bedauern: Schließlich sind die Berichte Grundlage für
Regierungshandeln - im vorliegenden Fall einer Supermacht. Also alles
kein Grund zur Aufregung? Oh doch, denn im "Spiegel" steht auch ein
überaus relevanter Satz: "Das Vertrauen in die Fähigkeit der
Amerikaner, ihre Botschaftspost zu schützen, ist erschüttert."
Allerdings! Denn wie kann es sein, dass jemand unbemerkt eine
Viertelmillion vertrauliche bis geheime Dokumente des State
Department herunterlädt und einem dubiosen Internet-Portal zur
Verfügung stellt? Verrückt: Die Angst vor Terroristen hat die
Datensicherheit eher geschwächt als erhöht. Die Suche nach dem großen
Leck konzentriert sich nicht etwa auf einen Geheimdienstchef in der
Sinnkrise (gab es in der bundesdeutschen Geschichte ja auch schon),
sondern auf Bradley Manning, einen US-Obergefreiten. Das ist der
drittniedrigste Rang beim Militär - aber offensichtlich schon hoch
genug, um Zugang zu hunderttausenden vertraulichen Dokumenten der
US-Regierung zu haben. Man mag sich gar nicht vorstellen, was erst
ein labiler Generalstäbler alles bei Wikileaks abladen könnte. Auf
das Verantwortungsgefühl der mysteriösen Internet-Enthüller und ihres
charismatischen Oberhaupts Julian Assange sollte man sich lieber
nicht verlassen. Schon die vertraulichen Einschätzungen arabischer
Machthaber zum iranischen Atomprogramm sind grenzwertig. Jedenfalls
werden sie kaum dazu beitragen, die ebenso wichtige wie verwundbare
Golfregion sicherer zu machen. Die Motive von Assange und seinen
Mitstreitern sind längst nicht von der Transparenz, für die sie
angeblich kämpfen. Zumindest fällt auf, dass sie ihre beeindruckenden
Fähigkeiten nahezu ausschließlich dazu einsetzen, die US-Regierung zu
schwächen. Nun muss man mit einer Supermacht kein Mitleid haben, die
durch eigene Unfähigkeit verwundbar geworden ist. Aber die Frage ist
erlaubt, wem eine so vorgeführte und geschwächte US-Regierung nützt -
und ob uns das nicht am Ende sehr schadet.
joerg-helge.wagner@weser-kurier.de
Originaltext: Weser-Kurier
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/30479
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_30479.rss2
Pressekontakt:
Weser-Kurier
Produzierender Chefredakteur
Telefon: +49(0)421 3671 3200
chefredaktion@Weser-Kurier.de
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
303551
weitere Artikel:
- Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Stuttgart 21: Bielefeld (ots) - Stuttgarts Polizeichef Siegfried Stumpf musste
gestern den von ihm geführten Polizeieinsatz vom 30. September an der
Bahnhofsbaustelle erklären. Baumfällarbeiten ohne Polizeischutz seien
nicht zu verantworten, sagte er im Untersuchungsausschuss des
Landtags. Wer will dem widersprechen? Auch den Vorwurf, die Polizei
sei gegen Schüler vorgegangen, konnte er widerlegen. Deren Demo sei
längst aufgelöst gewesen. Schließlich habe es Aktionen Dritter
gegeben, die der Polizeioffizier als »reine Verhinderungsblockaden« mehr...
- Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Wikileaks: Bielefeld (ots) - Vertrauen ist die Währung des Lebens. Das gilt
im Privaten, in der Finanzwelt, in Politik und Diplomatie. Ohne
Vertrauen wird kein ehrliches Wort gesagt, wird kein Geld verliehen,
kann kein Kompromiss geschlossen werden. Vertrauen ist Grundlage
konstruktiver Kommunikation. Deshalb ist ein verantwortungsvoller
Journalismus auch konstitutiv für moderne Mediengesellschaften und
ist die Pressefreiheit auch zu Recht, wie das
Bundesverfassungsgericht schon vor gut 50 Jahren betont hat,
»konstitutiv für unser Staatsgefüge«. mehr...
- Rheinische Post: Schwaches Europa Düsseldorf (ots) - Die schlechte Nachricht aus Brüssel ist nicht,
dass wir Irland aus der Patsche helfen. Das ist nötig, um den Euro zu
retten. Die schlechte Nachricht aus Brüssel ist, dass Euro-Land
nichts aus seinen Krisen lernt. Obwohl Irland sich selbst in Not
brachte, indem es mit Dumping-Steuern einen aufgeblähten
Banken-Sektor heranzüchtete, den es später retten musste, bekommt das
Land 85 Milliarden Euro, ohne die Wurzel des Übels beseitigen zu
müssen. Die Steuern werden nicht erhöht, betont Irland. Das müsse man
respektieren, mehr...
- Rheinische Post: Wikileaks Bombenabwurf Düsseldorf (ots) - Wer als Arzt, Anwalt oder Geistlicher die
Vertraulichkeit des mit ihm Besprochenen bricht, verhält sich
schändlich, unehrenhaft, standeswidrig. Die auf Geheimnisverrat
erpichte Internet-Plattform Wikileaks belässt es nicht bei einer
privaten Lumperei. Was Wikileaks macht, gleicht einem Bombenabwurf
mit Dokumenten albernen, wichtigen, staatswichtigen, jedenfalls
vertraulichen Inhalts. Hier ist zu besichtigen, wohin
verantwortungslose Freiheit führt, oder, anders ausgedrückt, was die
dunkle Kehrseite des prinzipiell mehr...
- Rheinische Post: Rückfälliger Täter Düsseldorf (ots) - Ein aus der Sicherungsverwahrung entlassener
Sexualverbrecher soll sich in Duisburg-Homberg an ein Mädchen
herangemacht haben. Menschen im Ortsteil sind empört. Mütter lassen
ihre Kinder nicht mehr alleine zur Schule oder mt dem Bus fahren.
Denn im benachbarten Duisburg-Rheinhausen hat sich vor kurzem ein
zweiter kürzlich entlassener Schwerverbrecher niedergelassen. Beiden
Tätern hat ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte zur Freiheit verholfen. Die Straßburger Richter halten
die nachträgliche mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|