BND versorgte Informanten jahrelang trotz erwiesener Lüge Bundestagsabgeordneter Ströbele fordert Aufklärung
Geschrieben am 01-12-2010 |
Hamburg (ots) - "Panorama" und "Die Lügen vom Dienst",
Donnerstag, 2. Dezember, 21.45 Uhr und 22.45 Uhr, Das Erste
Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat seinen ehemaligen
Informanten Rafid al-J., Deckname "Curveball", noch Jahre nach der
Aufdeckung von dessen Lügen mit Geld und anderen Vergünstigungen
versorgt. Nach Recherchen der "Panorama"-Redaktion des NDR gehörte
dazu eine monatliche Zahlung von 3000 Euro. Im Jahr 2008 erlangte
"Curveball" auch aufgrund der BND-Hilfe dann einen deutschen Pass.
Das berichten das Politik-Magazin "Panorama" und die 30-minütige
Dokumentation "Die Lügen vom Dienst - der BND und der Irakkrieg" am
Donnerstag, 2. Dezember um 21.45 Uhr und um 22.45 Uhr im Ersten.
Der BND-Informant hatte über ein angebliches Biowaffenprogramm des
Irak berichtet und damit die Begründung für die US-amerikanisch
geführte Invasion im Jahre 2003 geliefert. "Panorama" hat den
43-jährigen Mann irakischer Herkunft mehrfach in Karlsruhe getroffen
und gesprochen. Ein Interview vor der Kamera scheiterte daran, dass
"Curveball" dafür Geld verlangte.
Nach den "Panorama" -Recherchen zahlte der BND über eine Münchener
Tarnfirma namens "Thiele und Friedrichs" bis Ende 2008 monatlich 3000
Euro netto an seinen früheren Informanten, getarnt als Gehalt. Die
tatsächliche Gegenleistung geht aus dem Arbeitsvertrag nicht hervor.
Offenbar verpflichtete sich "Curveball" im Gegenzug gegenüber dem
BND, nicht mit den Medien über seinen Fall zu sprechen. Ende 2008
kündigte der BND den Arbeitsvertrag, der offenbar eine Laufzeit von
mehr als zehn Jahren hatte. Wie "Panorama" herausfand, klagte
"Curveball" gegen die Kündigung vor dem Arbeitsgericht München und
erstritt so eine Nachzahlung von knapp 2000 Euro. Seitdem bezieht
"Curveball" monatlich Sozialleistungen, vor kurzem noch in der Höhe
von 1590,82 Euro.
Der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, Mitglied des
Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste (PKG), ist
empört über die staatliche Alimentierung des betrügerischen
Informanten. "Wenn der BND Unterstützungszahlungen leistet,
Unterstützung leistet für Herrn 'Curveball', dann halte ich das
überhaupt nicht mehr für vertretbar. Dafür sind die deutschen
Steuergelder eigentlich nicht da. Das muss auch (...) parlamentarisch
untersucht werden."
"Panorama" enthüllt außerdem, wie der BND seinem Ex-Informanten,
der die größte nachrichtendienstliche Blamage der vergangenen
Jahrzehnte verkörpert, zur deutschen Staatsbürgerschaft verhalf.
Demnach avisierten zwei BND-Beamte "Curveball" als
Einbürgerungsbewerber bei der Stadt Karlsruhe. Der
Bundesnachrichtendienst begleitete den Recherchen zufolge das
Verfahren bis zum Ende und half bei der Beibringung der
erforderlichen Unterlagen. Ströbele zweifelt an der Rechtmäßigkeit
auch dieses Vorgehens des BND. "Wieso er die deutsche
Staatsangehörigkeit bekommen hat, das müsste auch geprüft werden
(...). Spätestens von dem Zeitpunkt an, als der
Bundesnachrichtendienst wusste aus den Meldungen der Amerikaner, dass
die Meldungen von 'Curveball' erfunden waren, spätestens da hätte man
sagen müssen: jetzt ist wirklich Feierabend," meint PKG-Mitglied
Ströbele. Der Bundesnachrichtendienst wollte sich gegenüber
"Panorama" dazu nicht äußern.
"Curveball" war 1999 als Rafid Ahmad Alwan aus dem Irak nach
Deutschland geflüchtet und bekam im Aufnahmelager Zirndorf in Franken
Zugang zum Bundesnachrichtendienst. In Dutzenden Befragungen
berichtete er dem deutschen Auslandsgeheimdienst, dass er als
Chemieingenieur in einem irakischen Unternehmen Augenzeuge des
Biowaffenprogramms von Diktator Saddam Husein gewesen sei. Unter
anderem gab er Auskunft über mobile Biowaffenlabore auf Lastwagen,
die den Waffeninspektoren angeblich leicht ausweichen konnten. Der
damalige US-Präsident George Bush und sein Außenminister Colin Powell
beriefen sich direkt auf die Informationen des BND-Informanten, um
den Krieg vor der Öffentlichkeit zu begründen. Der BND hatte
Protokolle der Befragungen an die US-amerikanischen Geheimdienste
weitergegeben, diesen jedoch keinen direkten Zugang zu "Curveball"
gewährt. Unmittelbar nach der Invasion des Irak 2003 stellte sich
heraus, dass die Informationen über biologische
Massenvernichtungswaffen frei erfunden waren.
Neues Licht werfen die "Panorama"-Recherchen auch auf die Frage,
inwiefern deutsche Entscheidungsträger die US-amerikanische Seite vor
der möglichen Unzuverlässigkeit "Curveballs" warnten. Mit Blick auf
die Rede des US-Außenministers vor dem UN-Sicherheitsrat am 5.2.2003,
in der er sich auf "Curveball" stützte, sagte der ehemalige
CDU-Bundestagsabgeordnete Friedbert Pflüger dem ARD-Magazin:
"Zentrale Äußerungen Powells gehen auf Informationen unseres
Bundesnachrichtendienstes zurück. Wir hörten vom BND in einer
geheimen Unterrichtung, dass allerhöchstwahrscheinlich der Irak über
Massenvernichtungswaffen wieder verfügt. Es wurden uns Charts gezeigt
von Biowaffenlaboren." Pflüger war vor dem Krieg Mitglied des
Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, der mehrfach vom damaligen
BND-Präsidenten August Hanning über "Curveballs" Informationen
unterrichtet wurde.
Pflüger regt im "Panorama"-Interview an, die Geheimdienstpleite
aufzuarbeiten und die geheimen Protokolle der Sitzungen des
Auswärtigen Ausschusses von 2002 und 2003 publik zu machen. "Die
Tonbänder sind vorhanden. Ich gehe davon aus, dass auch die Charts
dazu vorhanden sind. Ich fordere, dass wir zur Klärung der ganzen
Debatte diese Dinge jetzt veröffentlichen."
Dieser Text ist auch in englischer Fassung verfügbar über NDR
Presse und Information, Ralph Coleman, 040/4156-2300,
r.coleman@ndr.de
Fotos: www.ard-foto.de
1. Dezember 2010 / RC
Originaltext: NDR / Das Erste
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Pressekontakt:
NDR / Das Erste
NDR Presse und Information
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Fax: 040 / 4156 - 2199
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