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Medizinische Versorgung von Migrantenkindern: Von Chancengleichheit noch weit entfernt

Geschrieben am 08-12-2010

Düsseldorf (ots) - Migrantenkinder und ihre Familien müssen in
Deutschland vermehrt Hindernisse ausräumen, um an den für sie
notwendigen Leistungen des Gesundheitswesens teilhaben zu können.
Diese Barrieren sind aber häufig aus eigener Kraft kaum zu
überwinden. Dabei wäre so viel mehr möglich, zumal es bereits
gelungene zielgruppenbezogene Unterstützungsangebote gibt.

Über 30 Prozent der Kinder in Deutschland haben einen
Migrationshintergrund, jährlich wandern über 70000 Kinder und
Jugendliche mit ihren Familien zu. Ihr Status bestimmt sich meist
über ihre Eltern, die im Rahmen von Arbeits- oder Bildungsmigration
oder aber auch als undokumentierte Migranten oder als Flüchtlinge
kommen. Im Vergleich zu deutschen Kindern sind Kinder mit
Migrationshintergrund häufiger von Adipositas und Anämien betroffen
und leiden vermehrt - auch bedingt durch ihren Status - an
psychischen Störungen. Besonders problematisch ist die Versorgung von
chronisch kranken oder behinderten Migrantenkindern.

Kinder- und Jugendärzten kommt nach Einschätzung von
Privatdozentin Dr. Erika Sievers vom Fachausschuss Transkulturelle
Pädiatrie in der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und
Jugendmedizin (DGSPJ) eine Schlüsselrolle zu, um auch alle
Migrantenkinder auf der Grundlage der UN-Kinderrechtskonvention gut
medizinisch versorgen und in ihrer Entwicklung fördern zu können.
Dies ist aber in der Praxis häufig schwierig. Unmittelbar nach der
Immigration bestehen zumeist sprachliche und kulturelle
Teilhabebarrieren. Bei der Vorsorge, der Früherkennung und der
Prävention ist der Zugang oft nicht bekannt. Zudem fehlen häufig in
den kinderärztlichen Praxen oder anderen gesundheitlichen
Einrichtungen, in denen Kinder betreut werden, grundlegende
Möglichkeiten zur (fremd)-sprachlichen Kommunikation. Noch seltener
sind Dolmetscher- und Kulturmittlerdienste. Und gerade Familien mit
chronisch kranken oder behinderten Kindern oder kranken Eltern aus
Minderheiten und Migrantengruppen stehen oft besonders bürokratischen
Herausforderungen gegenüber, die nur schwer zu bewältigen sind.
Schließlich sind alle zuwandernden Familien davon betroffen, dass
Maßnahmen zur Kindergesundheit bisher kaum systematisch mit Maßnahmen
des Integrationsplans verknüpft werden.

Die DGSPJ fordert deshalb im Sinne des "Bewusstseins für Kinder"
gerade für Migrantenfamilien die Umsetzung der folgenden Punkte:

- Die sprachliche Bildung von Kindern mit Migrationshintergrund
muss von Anfang an ein Schwerpunkt der gesamten
Integrationsförderung sein. Nur so ist auch die angestrebte
Inklusion für Migrantenkinder möglich. Mehrsprachigkeit stellt
besondere Anforderungen an die Diagnostik und Therapie von
Sprachstörungen. Hierfür sind wohnortnahe entsprechende Angebote
erforderlich.
- Fachkräfte in der gesundheitlichen Versorgung müssen sich mehr
kulturelle Kompetenz aneignen können. Die Möglichkeiten hierzu
sind weder in der Aus-, Fort- und Weiterbildung ausreichend
entwickelt worden.
- Allen Migranten - auch zugewanderten Kinder mit unklarem
Aufenthaltsstatus - müssen altersgerechte Gesundheitsangebote
offen stehen. Im Kindesalter verpasste gesundheitliche Maßnahmen
der Gesundheitsförderung oder Prävention können oft nicht mehr
nachgeholt werden.

Dies sind keine utopischen Forderungen. Positive Beispiele, wie
Migranten in die gesundheitliche Versorgungstruktur eingebettet
werden können, gibt es bereits. Ein großes Münchner Klinikum etwa
richtete ein "Fachreferat Interkulturelle Versorgung" ein und schuf
einen hausinternen Dolmetscherdienst. Schon die Bereitstellung von
fremdsprachigem Informationsmaterial über Filme oder Broschüren kann
das Verständnis von Gesundheitsthemen fördern; dies zeigen die
Gesundheitsleitfäden der Länderprojekte Mit Migranten - Für Migranten
(MiMi). Vorbildhaft sind auch Projekte mit Gesundheitslotsen, die
inzwischen in mehreren Bundesländern erfolgreich durchgeführt werden.
Hier werden gut integrierte und engagierte Migrantinnen und
Migranten, die über überdurchschnittliche Deutschkenntnisse verfügen,
zu interkulturellen Gesundheitslotsen ausgebildet. Diese Mediatoren
können somit Brücken bauen zwischen Familien mit ihren Kindern und
den verschiedenen Sektoren und Leistungsangeboten des deutschen
Gesundheitssystems.

Dies sind allerdings alles Einzelprojekte, die kaum systematisch
zusammengeführt und schon gar nicht flächendeckend angeboten werden.
Sie sind deshalb nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen
Stein. Die DGSPJ fordert deshalb eine stimmige Gesamtstrategie zur
besseren Gesundheitsförderung und -Versorgung aller Migrantenkinder
in Deutschland. Diese Investitionen, so meint Erika Sievers, würden
sich lohnen, weil sie zu einer besseren Teilhabe von Migrantenkindern
führen und damit auch über die gesundheitliche Versorgung hinaus
gesamtgesellschaftlich von übergreifender Bedeutung sind.

Weitergehende Informationen zum Thema unter
http://www.dgspj.de/media/Stellungnahme-Transkulturell.pdf

Originaltext: Dt. Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55202
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_55202.rss2

Pressekontakt:
PD Dr. Erika Sievers MPH
c/o Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen
Düsseldorf
sievers@akademie-oegw.de


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