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WAZ: Besser volle als leere Kirchen - Leitartikel von Ulrich Reitz

Geschrieben am 23-12-2010

Essen (ots) - Weihnachtschristen. Ein treffendes Wort. An
Weihnachten sind die Kirchen voll, weil Menschen dorthin gehen, die
im übrigen Jahr die Gotteshäuser meiden. Ist das schlecht, etwa, weil
es nur von einem halbherzigen Glauben zeugt? An Weihnachten kann man
in Kirchen sogar Atheisten antreffen. Und wenn dann Stille Nacht
gesungen wird, kann man beobachten, wie auch ihnen die Tränen kommen.
Sie sind gerührt. Aber warum? Die reine Vernunft wärmt eben nicht.
Und die Vorstellung vom eigenen Ende als bloßem Nichts ist kalt wie
eine Hundeschnauze. Also weshalb nicht wenigstens ein Mal im Jahr
dieses warme, tröstliche Gefühl von Gemeinschaft, Communio, spüren,
das Aufgehobensein hinter schützenden Kirchenmauern?
Weihnachtschrist. Man sollte sich diese Sorte Mensch besser nicht als
halbfertig, unvollendet, defizitär vorstellen. Sondern als zweifelnd,
skeptisch. Als Menschen, die Dogmen weniger mögen als ihre Freiheit.
Und die froh sind, nach Weihnachten diese von ihnen so empfundene
Dogmenwelt auch wieder hinter sich lassen zu können. Gerade der
Christenmensch hat doch seine Freiheit, wird der überzeugte
Christenmensch einwenden. Sogar eine weitgehende Freiheit, nämlich
selbst zur Sünde. Die kann, Einsicht vorausgesetzt, vergeben werden.
Der Herrgott hat viel zu tun. Und weiter: Des Menschen Beziehung zu
Gott ist doch seine Sache. Wäre es anders, wozu gäbe es ein gutes
oder schlechtes Gewissen? Zum evangelischen oder katholischen
Menschen gehört das Bekenntnis zur evangelischen und katholischen
Gemeinde. Aber Christ kann man auch ohne Kirche sein. Es gibt
Ausgetretene, die würden sich ihren Glauben niemals nehmen lassen.
Sie treten aus der Kirche aus, nicht aus dem Glauben. In diesem Jahr
sind viele Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten, aus
Protest gegen fehlbare Kleriker, die die Ideale des Glaubens verraten
haben. Und was denkt die Mehrheit, also die Dringebliebenen?
Vielleicht beharren sie darauf, sich ihr Verhältnis zur Kirche nicht
von versagenden Amtsinhabern bestimmen zu lassen. Wäre das Versagen
Einzelner sozusagen kirchenstrukturell, müssten die Dinge anders
beurteilt werden. Aber es gibt keine direkte Linie vom Zölibat zum
Kindesmissbrauch. Fazit: Weihnachtschrist. Der Fundamentalist, der
mit diesem Wort beleidigen will, wünscht sich eine Kirche von
vollendeten Gläubigen herbei. Also eine leere Kirche.



Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de


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