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Börsen-Zeitung: Fragen an Francioni, Börsenkommentar "Marktplatz" von Dieter Kuckelkorn

Geschrieben am 11-02-2011

Frankfurt (ots) - Bislang halten sich die Reaktionen am
Finanzplatz auf die angestrebte Fusion von Deutscher Börse und Nyse
Euronext in engen Grenzen. Dafür gibt es einen guten Grund: Es sind
bislang noch kaum Details bekannt gegeben worden. Dies betrifft nicht
nur externe Beobachter. Auch der Aufsichtsrat der Deutschen Börse
tappt im Dunkeln. Er war vollkommen überrascht worden, als der Deal
am Donnerstag vorzeitig bekannt gegeben wurde.

Für die Geheimniskrämerei gibt es sicher ein plausibles Argument:
Am Donnerstag standen nur wenige Grundzüge des Deals fest. Für das
Agieren im Verborgenen mag es aber noch ein weiteres Motiv geben:
Offenbar haben Börsenchef Reto Francioni und sein New Yorker Pendant
Duncan Niederauer vor, die Öffentlichkeit und die zuständigen Gremien
vor vollendete Tatsachen zu stellen. Ein solches Fait accompli würde
die Möglichkeit ausschließen, dass sich Widerstand formiert und die
ganze Angelegenheit in der Folge schlicht zerredet wird.

Eine solche Taktik scheint sogar gegenüber dem Aufsichtsrat
gefahren zu werden. Dabei ist dieser das Gremium, das die
Entscheidungsgewalt hat. Der Aufsichtsrat soll erst am Dienstag
informiert werden und dann gleich dem Deal zustimmen, der kurz danach
der staunenden Öffentlichkeit in einer Pressekonferenz am späten
Nachmittag präsentiert wird.

Diese Vorgehensweise ist äußerst bedenklich. Die
Aufsichtsratsmitglieder dürften kaum in der Lage sein, sich binnen
weniger Stunden über alle Konsequenzen einer solch weitreichenden
Transaktion ein Urteil zu bilden. Insofern sind Aufsichtsrat, aber
auch Börsenaufsicht und die Öffentlichkeit gut beraten, Reto
Francioni viele Fragen zu stellen, detaillierte Antworten zu
verlangen und eine vorschnelle Zustimmung zu vermeiden. Und was die
Antworten betrifft, so gilt es klar zu unterscheiden, was reine
Absichtserklärungen sind und was in den Verträgen rechtlich bindend
verankert wird.

Ein abschreckendes Beispiel ist die Übernahme von Euronext durch
die New York Stock Exchange (Nyse) 2006. Auch bei diesem Deal war von
zwei Zentren des neuen Börsengiganten die Rede, nämlich New York und
Paris. Und es gab dieselbe Führungsstruktur: Der CEO - kein anderer
als Niederauer - kam von der Nyse, der Chairman Jean-François
Théodore vom europäischen Partner. Nach relativ kurzer Zeit war
Théodore abgetreten, der Konzern wird allein von New York aus
geführt, und der Finanzplatz Paris hat seine Bedeutung weitestgehend
eingebüßt.

Nachzuforschen ist also, welche Garantien es gibt, dass der
Deutschen Börse und Frankfurt nicht dasselbe Schicksal droht. Wird
die für den Konzern so wichtige Terminbörsensparte dauerhaft von
Frankfurt aus geleitet? Ist irgendwo festgelegt, dass der Chief
Financial Officer auch in ein paar Jahren noch in Frankfurt (oder
genauer gesagt in Eschborn) residieren wird? Für welche der
Aktivitäten des Konzerns am Finanzplatz Frankfurt wird es Garantien
geben und für welche nicht? Und wie genau sehen die Garantien aus?
Was ist mit der Besetzung der Gremien und der Schlüsselpositionen?
Wird es dort in ein paar Jahren noch Europäer geben?

Diese Fragen sind nicht nur aus Sicht des Finanzplatzes von
Interesse. Aufsichtsräte als Vertreter der Aktionäre sollten
ebenfalls ein Auge darauf werfen, schließlich gibt es genug Beispiele
von Missmanagement europäischer Tochterunternehmen durch
Europa-unerfahrene Manager amerikanischer Muttergesellschaften.

Zu hinterfragen sind auch die in Aussicht gestellten Synergien von
nicht weniger als 300 Mill. Euro. Diese dürften zweifellos durch
Stellenabbau und die Zusammenlegung von Kapazitäten realisiert
werden. Wo sollen die Streichungen stattfinden? Da Börsen
mittlerweile in erster Linie IT-Unternehmen sind, dürften
Einsparungen in diesem Bereich im Mittelpunkt stehen. Zu diesem Punkt
ist die Information interessant, dass Nyse Euronext große Summen in
ein Datenverarbeitungszentrum in der Nähe von London investiert hat
und praktisch die gesamten zunächst in Paris beheimateten
IT-Aktivitäten dorthin verlagert hat. Liegt nicht die Vermutung nahe,
dass den Frankfurter IT-Bereichen dasselbe Schicksal droht?

Über eines sollten sich alle Beteiligten im Klaren sein: Die
US-Manager von Nyse Euronext fühlen sich dem Finanzplatz Frankfurt in
keiner Weise verbunden. Aber auch Reto Francioni scheint in Frankfurt
emotional nicht allzu tief verwurzelt zu sein, wie der Umzug der
Deutschen Börse nach Eschborn dokumentiert hat.

(Börsen-Zeitung, 12.2.2011)



Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion

Telefon: 069--2732-0
www.boersen-zeitung.de


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