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HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zum Atomgipfel

Geschrieben am 22-03-2011

Hamburg (ots) - Ein Kommentar von Egbert Nießler

Eine der ehernen Weisheiten der Politik lautet: "Wenn du nicht
mehr weiter weißt, dann gründe einen Arbeitskreis." Werden - wie
jetzt von der Kanzlerin in Sachen Atompolitik - gleich zwei
Beratungszirkel bemüht, muss die Not besonders groß sein. Zugegeben,
den einen, die Reaktor-Sicherheitskommission, gibt es schon. Sie soll
die technischen Fragen klären, die mit dem dreimonatigen
Merkel-Moratorium für die erst im Herbst beschlossene
Laufzeitverlängerung zusammen hängen. Fragt sich, was die Kommission
bisher gemacht hat und welche Erkenntnisse ihr schon vorliegen. Der
zweite heißt natürlich nicht einfach Arbeitskreis, sondern
Ethikkommission und ist besetzt mit ebenso prominenten wie klugen
Köpfen, quasi ein "Rat der Weisen". Eine Menge Weisheit wird auch
nötig sein, um einer Debatte, die seit Jahrzehnten geführt wird, noch
neue Erkenntnisse hinzufügen zu können. Nirgendwo sonst auf der Welt
trifft die Kernenergie auf so viel Ablehnung wie in Deutschland.
Nirgendwo sonst ist der Glaube so groß, dass in kürzester Zeit alle
Atomkraftwerke abgeschaltet werden können und die Alternativen für
Klima, Umwelt und Zukunftsfähigkeit ausschließlich positive bis
rosige Effekte hätten. Die Argumente über Risiken und Folgen,
Potenziale und Grenzen von Nukleartechnik, fossilen Brennstoffen,
Fotovoltaik, Windenergie und Biokraftstoff sind aus allen Winkeln
beleuchtet und durchdebattiert. Daran hat auch die Katastrophe von
Fukushima nichts geändert. Alles, was der Mensch baut, kann auch
kaputtgehen. Entweder durch eigenes Versagen oder durch
Naturgewalten, die ohnehin nicht beherrschbar sind. Das war auch
schon vor dem Beben in Japan bekannt, und daran wird sich nichts
ändern. Das alles hat einmal zum rot-grünen Ausstiegsbeschluss
geführt, den ja auch Schwarz-Gelb nicht revidiert, sondern lediglich
zeitlich gestreckt hat. Das erschien der Koalition einmal als ein
gutes Geschäft, hat sich aber angesichts der wiederauflebenden
Protestbewegung eher als formidables Eigentor entpuppt, das nun durch
eine zumindest angetäuschte Rolle rückwärts wieder wettgemacht und
philosophisch begründet werden soll. Da ist guter Rat teuer.
Bahnbrechend neue Einsichten sind kaum zu erwarten. Mit ihnen wird
die naturwissenschaftlich bewanderte Kanzlerin auch nicht rechnen. Im
Vordergrund dürfte denn wohl eher der Zeitgewinn denn der
Erkenntnisgewinn stehen.



Pressekontakt:
HAMBURGER ABENDBLATT
Ressortleiter Meinung
Dr. Christoph Rind
Telefon: +49 40 347 234 57
Fax: +49 40 347 261 10
christoph.rind@abendblatt.de meinung@abendblatt.de


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