Opferschutz hat Priorität
Identifizierende Berichterstattung muss in der Regel unterbleiben
Geschrieben am 25-03-2011 |
Berlin (ots) - Der Deutsche Presserat tagte am 22., 23. und
24.03.2011 in Berlin und sprach insgesamt sechs Rügen aus.
Opferschutz
Für die Veröffentlichung von zwei ungepixelten Fotos zweier
ermordeter Jugendlicher erhielt BILD-Online eine nicht-öffentliche
Rüge. Diese Veröffentlichung verstößt nach Meinung des Gremiums gegen
die Persönlichkeitsrechte der Jugendlichen. Der Ausschuss betonte,
dass das Wissen um die Identität der Opfer für das Verständnis des
Verbrechens unerheblich ist und daran kein öffentliches Interesse
besteht. Auch wenn es sich hier um einen bundesweit berichteten Fall
handelt, geht es um jugendliche Opfer, die besonderen Schutz
genießen.
Mit dieser Entscheidung betont der Ausschuss den insbesondere bei
Jugendlichen dringend gebotenen Opferschutz, der im Pressekodex
verankert ist:
Richtlinie 8.1. Absatz 2:
Opfer von Unglücksfällen oder von Straftaten haben Anspruch auf
besonderen Schutz ihres Namens. Für das Verständnis des
Unfallgeschehens bzw. des Tathergangs ist das Wissen um die Identität
des Opfers in der Regel unerheblich. Ausnahmen können bei Personen
der Zeitgeschichte oder bei besonderen Begleitumständen
gerechtfertigt sein.
Informationelle Selbstbestimmung
Die Lünepost wurde vom Beschwerdeausschuss Redaktionsdatenschutz
für die regelmäßige Veröffentlichung von Fotos gerügt, auf denen
jeweils eine Szene aus dem Straßenleben der Stadt gezeigt wird.
Darauf ist stets eine Menschengruppe zu sehen. Das Gesicht einer der
dort abgebildeten Personen wird von der Zeitung gelb eingekreist und
damit durch einen so genannten "Glückskreis" hervorgehoben. Unter dem
Foto wird der Aufenthaltsort der Person zum Zeitpunkt der Aufnahme
genannt und es wird ein Einkaufsgutschein von 25 Euro versprochen,
wenn sie sich innerhalb von vier Wochen bei der Zeitung meldet. In
einem Fall wurde der vorherige Gewinner namentlich genannt und
geschildert, dass er seinen Gewinn bei einem Waffengeschäft eingelöst
hat. Mit dieser Praxis verstößt die Lünepost gegen das in Ziffer 8
des Pressekodex verbriefte Recht auf informationelle
Selbstbestimmung. Der Beschwerdeausschuss hält es für ethisch nicht
vertretbar, dass die betreffenden Personen ohne ihr Wissen in der
Zeitung veröffentlicht werden. Durch die Einkreisung werden die
Personen derart individualisiert, dass die Bilder nicht mehr den
Charakter einer Übersichtsszene haben. Durch die Bildunterschrift
wird außerdem der Aufenthaltsort der Person zu einer bestimmten Zeit
bekannt gegeben. Dies sind Angaben zum Privatleben der Abgebildeten.
Ohne deren Einverständnis verletzen diese Angaben die
Persönlichkeitsrechte und den redaktionellen Datenschutz. Auch ein
überwiegendes öffentliches Interesse ist nicht ersichtlich. Dies gilt
gleichermaßen für die Frage, wo ein Gewinner seinen Einkaufsgutschein
einlöst.
Ziffer 8 - Persönlichkeitsrechte
Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des
Menschen. Berührt jedoch das private Verhalten öffentliche
Interessen, so kann es im Einzelfall in der Presse erörtert werden.
Dabei ist zu prüfen, ob durch eine Veröffentlichung
Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter verletzt werden. Die Presse
achtet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und
gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.
Unschuldsvermutung
BILD (Bremen) erhielt eine nicht-öffentliche Rüge für zwei Artikel
über die Vorwürfe bzw. die Gerichtsverhandlung gegen einen ehemaligen
Spieler der Amateurmannschaft von Werder Bremen sowie einen weiteren
Verdächtigen wegen versuchten Totschlags. Durch die in den Beiträgen
erfolgten Fotoveröffentlichungen und Namensnennungen wurden beide
Angeklagten identifizierbar. Damit verletzte die Zeitung ihr
Persönlichkeitsrecht. Ziffer 8, Richtlinie 8.1, Abs. 1 hält hierzu
fest:
(1) Bei der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten,
Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (s. auch Ziffer 13 des
Pressekodex) veröffentlicht die Presse in der Regel keine
Informationen in Wort und Bild, die eine Identifizierung von Opfern
und Tätern ermöglichen würden. Mit Rücksicht auf ihre Zukunft
genießen Kinder und Jugendliche einen besonderen Schutz. Immer ist
zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem
Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen. Sensationsbedürfnisse
allein können ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht
begründen.
Die Berichterstattung war zudem vorverurteilend, da durch mehrere
Formulierungen der Eindruck erweckt wurde, es sei bereits bewiesen,
dass die Angeklagten die Ihnen zur Last gelegte Tat begangen haben.
Ziffer 13 - Unschuldsvermutung
Die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren, Strafverfahren
und sonstige förmliche Verfahren muss frei von Vorurteilen erfolgen.
Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse
Ergänzend wird in RL 13.1 ausgeführt:
[...] Zwischen Verdacht und erwiesener Schuld ist in der Sprache
der Berichterstattung deutlich zu unterscheiden.
Trennung von Redaktion und Werbung
Wegen Schleichwerbung gerügt wurde tv Hören und Sehen. Die
Programmzeitschrift hatte vier Beiträge über Krankheitsbilder
veröffentlicht. In jedem der Artikel wurde dabei ein Markenprodukt
als Heilmittel genannt. In diesen Hinweisen erkannte der
Beschwerdeausschuss Schleichwerbung, da jeweils ein einzelnes Produkt
ohne nachvollziehbaren Grund aus einer Palette ähnlicher Präparate
mit gleichen Wirkstoffen hervorgehoben wurde. Dadurch entstand ein
publizistisch nicht begründbarer Wettbewerbsvorteil für einzelne
Anbieter. Damit wurde gegen Richtlinie 7.2 Pressekodex verstoßen.
Richtlinie 7.2 - Schleichwerbung
Redaktionelle Veröffentlichungen, die auf Unternehmen, ihre
Erzeugnisse, Leistungen oder Veranstaltungen hinweisen, dürfen nicht
die Grenze zur Schleichwerbung überschreiten. Eine Überschreitung
liegt insbesondere nahe, wenn die Veröffentlichung über ein
begründetes öffentliches Interesse oder das Informationsinteresse der
Leser hinausgeht oder von dritter Seite bezahlt bzw. durch geldwerte
Vorteile belohnt wird. Die Glaubwürdigkeit der Presse als
Informationsquelle gebietet besondere Sorgfalt beim Umgang mit
PR-Material.
Ebenfalls wegen Schleichwerbung gerügt wurde die Zeitschrift
Premius für einen Artikel über ein Fünf-Sterne-Hotel in Portugal. In
dem Beitrag wurde in den höchsten Tönen von dem Hotel geschwärmt.
Beigestellt waren dem Artikel zudem Hinweise auf spezielle
Aktionsangebote des Hauses inkl. der jeweiligen Preise. Mit diesen
Darstellungen und Angaben wurde die Grenze zwischen einer von
öffentlichem Interesse noch gedeckten Berichterstattung und
Schleichwerbung nach Richtlinie 7.2 überschritten.
Wegen Schleichwerbung missbilligt wurde die Veröffentlichung der
redaktionellen Zusammenfassung einer Lesertelefonaktion zum Thema
'Berufsunfähigkeitsversicherung' in der Online-Ausgabe einer
Tageszeitung. In der Veröffentlichung wurde zweimal ein konkreter
Produktbegriff genannt, der ausschließlich von einer bestimmten
Versicherungsgruppe verwendet wird. Mitarbeiter dieser Versicherung
waren zudem Ansprechpartner im Rahmen der Telefonaktion. Bei der
Behandlung der Beschwerde stellte der Ausschuss fest, dass offenbar
die komplette Berichterstattung kostenlos von einer PR-Agentur
zugeliefert wurde. Der Presserat betont in diesem Zusammenhang, dass
die Redaktionen bei zugeliefertem Material unbedingt prüfen müssen,
ob es sich um ein unabhängiges journalistisches Produkt handelt oder
ob wirtschaftliche Interessen damit transportiert werden sollen.
Einen Hinweis wegen einer Verletzung der Ziffer 7 erhielt eine
weitere Lokalzeitung, die zur Weihnachtszeit das Foto eines Kindes
mit seinem Adventskalender auf der ersten Seite veröffentlichte.
Darauf war das Logo eines Schokoladenherstellers deutlich zu sehen.
Der Beschwerdeausschuss weist daraufhin, dass Redaktionen auch bei
solchen Symbolfotos die Trennung von Redaktion und Werbung beachten
müssen. Das Logo des Schokoladenherstellers hätte hier nicht
erscheinen dürfen.
Sorgfaltspflichten
Die Zeitschrift Schifffahrt Hafen Bahn und Technik erhielt eine
öffentliche Rüge wegen Verstöße gegen die in Ziffer 2 des Pressekodex
festgeschriebene journalistische Sorgfaltspflicht und den in Ziffer 9
des Pressekodex definierten Schutz der Ehre. Die Zeitschrift hatte
in einem Beitrag über die deutsche Wasser- und Schifffahrtsverwaltung
berichtet und einem Amtsleiter schwere Vorwürfe bei der Ausschreibung
und Abwicklung von Aufträgen gemacht. Ihm wurden darüber hinaus
Interessenvermengung vorgeworfen. Die aufgestellten Behauptungen
konnte die Zeitschrift nicht mit Fakten belegen. Die Vorwürfe waren
ferner dazu geeignet, den Betroffenen in seiner Ehre zu verletzen.
Statistik
Insgesamt wurden in den drei Beschwerdeausschüssen 125 Beschwerden
behandelt. Neben den vier öffentlichen und zwei nicht-öffentlichen
Rügen gab es 21 Missbilligungen und 28 Hinweise. In 62 Fällen wurden
die Beschwerden als unbegründet erachtet. In sechs Fällen wurde die
Beschwerde als begründet angesehen, auf eine Maßnahme wurde jedoch
verzichtet. In zwei Fällen gab es mehrere Beschwerdeführer gegen eine
Publikation, die Maßnahme wird hier jedoch nur einmal gezählt.
Ansprechpartner für die Presse: Edda Kremer und Arno Weyand, Tel.
030-367007-0
Pressekontakt:
Deutscher Presserat
Telefon: 030-367 00 7-0
Fax: 030-367 00 7-20
E-Mail: info@presserat.de
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