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Nikolaus Schneider: "Frieden hat viele Wurzeln"/ EKD traf in Genf ÖRK-Generalsekretär Olav Fykse Tveit

Geschrieben am 07-04-2011

Hannover (ots) - Eine Delegation des Rates der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD) ist am gestrigen Mittwoch in Genf mit dem
Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), Olav Fykse
Tveit, zusammengetroffen.

Bei einem ersten Gespräch im Ökumenischen Zentrum gab der
Vorsitzende des Rates der EKD, Präses Nikolaus Schneider, seiner
Wertschätzung für die "überaus notwendige Arbeit" des ÖRK Ausdruck.
Schneider erinnerte an die Jahre der NS-Diktatur, als das Zeugnis der
deutschen Kirchen "nicht ausreichte". Umso dankbarer sei er, dass die
deutschen Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg tatkräftige
Unterstützung erfahren hätten. "Wir wären heute schwächer, wenn uns
damals die ökumenische Bewegung nicht geholfen hätte," so Schneider.

Generalsekretär Olav Fykse Tveit dankte Schneider für den Besuch
des Rates der EKD und das Engagement der EKD. Es sei nicht immer
einfach bei der großen Vielfalt aller Mitgliedskirchen voranzukommen.
Tveit verteidigte in diesem Zusammenhang das Prinzip des
"differenzierten Konsens" bei der Entscheidungsfindung in den
ökumenischen Gremien. So sei der ÖRK zwar "kein Tröster" aber doch
"ein sicherer Raum für die Zusammenarbeit in Vielfalt". Tveit
betonte: "Der ÖRK ist so stark, wie die Mitglieder uns machen".

Nach der Begegnung mit der Spitze des ÖRK hielt Schneider unter
dem Titel "Friede als Aufgabe der Kirche, der Staaten und der
Religionen" einen öffentlichen Vortrag in der deutschen Gemeinde in
Genf. "Wer den ,Kampf der Kulturen' vermeiden will, der muss von
Anfang an den Dialog der Kulturen führen - im Bereich der
Elementarbildung, aber ebenso auch in den Schulen, in der
Konfirmanden- und Jugendarbeit, im Wachstumsfeld der
Freiwilligendienste, in den Einrichtungen der Erwachsenenbildung -
ja, überall dort, wo Kirche die Menschen erreicht"; betonte der
Ratsvorsitzende. "Immer und überall" sei die Kirche gefordert, die
Menschen an das "Licht aus der Höhe" zu erinnern, dass sie dazu
befähige, ihre "Füße auf den Weg des Friedens" zu richten (Lukas 1,
78f). Deshalb sei der Friede eine "Gabe Gottes und eine Aufgabe für
die Menschen", der sich die Kirche als Bildungsinstitution auf allen
Ebenen zu stellen habe. Sie wolle durch ihre Angebote Gewissen bilden
und zur Gewissensbindung einladen, damit der Frieden "tief im
Menschen selbst" eine Verankerung finden könne, so Schneider.

Die in der Friedensdenkschrift der EKD spezifizierten und
differenzierten Kriterien einer Ethik rechtserhaltender Gewalt dienen
dazu, dem Einsatz militärischer Gewalt klare Grenzen zu setzen.
Gewalt, so Schneider weiter, sei der Ausnahmefall, sei "ultima
ratio", ein Grenzfall, der Grenzfall bleiben müsse. Prävention gehe
stets vor Intervention, und Ziviles habe Vorrang vor dem
Militärischen, so Schneider weiter.

Jedoch stünde es schlecht um den Frieden auf der Welt, wenn nur
die Christen für ihn einträten. Doch auch in den anderen großen
Weltreligionen gäbe es eine "tiefe Sehnsucht nach dem Frieden". Dies
sei ihm wichtig zu betonen, so Schneider, denn "angesichts des
gewaltbereiten islamistischen Terrorismus, der sich in den
Terroranschlägen des 11. September 2001 öffentlich zeigte" gäbe es
bei vielen Christen den Eindruck, der Islam oder andere
Weltreligionen seien deutlich weniger am Frieden interessiert als das
Christentum. Das aber, so der Ratsvorsitzende, sei "ein Irrtum". Für
keine der großen Weltreligionen bestehe ein "notwendiger oder gar
unvermeidlicher Zusammenhang" zwischen Religion und Gewalt. Doch
trage häufig die Verbindung kultureller und religiöser Faktoren mit
anderen, machtpolitischen, sozialen oder ökonomischen Anliegen zum
Ausbruch von Gewalt oder zur Eskalation von Konflikten bei. Solche
Konflikte, so der Ratsvorsitzende, könnten sich zwar "religiös
artikulieren" oder können "religiös legitimiert werden", hätten aber
in aller Regel "weder religiöse noch kulturelle Ursachen".

Hannover/Genf, 7. April 2011

Pressestelle der EKD

Reinhard Mawick

"Friede als Aufgabe der Kirche,

der Staaten und der Religionen"

Präses Nikolaus Schneider,

Vorsitzender des Rates der EKD

Vortrag in der deutschen Gemeinde in Genf am 6. April 2011:

Im Jahr 1795 veröffentlichte der Königsberger Philosoph Immanuel
Kant sein Buch "Vom ewigen Frieden". Im Gang der Argumentation weist
er implizit und am Ende des Buches ganz explizit die Auffassung ab,
der ewige Friede könne eine bloße, leere Idee sein. Dieser Friede
sei, so Kant, keine leere Idee, sondern "... eine Aufgabe, die, nach
und nach aufgelöst, ihrem Ziele [...] beständig näher kommt." Der
Friede ist also eine Aufgabe, und zwar eine solche, die gelöst werden
kann. Er ist somit kein Werk des Sisyphos, nicht einmal eines
glücklichen, um es mit Camus zu sagen. Er ist vielmehr ein Werk für
jedermann, für jede und jeden von uns. Der Friede ist eine Aufgabe
der einzelnen Menschen, der Staaten und der Kirchen. Und ich füge
hinzu: Er ist selbstverständlich auch eine Aufgabe für die Vertreter
nicht-christlicher Religionen. Der Friede geht uns alle an. Aber
reden wir zunächst einmal von uns selbst, also von den Christen.

I. Der Friede als Aufgabe der Christen und Kirchen

Der Friede ist nach unserem christlichen Selbstverständnis eine
Aufgabe für Christen und Kirchen. Er ist aber nicht nur Aufgabe, er
ist vielmehr zuerst und vor allem Gabe. Der Friede wird uns
geschenkt, nämlich der Friede Gottes. So vollzieht sich die
Denkbewegung in unserer Friedensdenkschrift aus dem Jahr 2007. Ihr
Titel zeigt diese Bewegung an: "Aus Gottes Frieden leben - für
gerechten Frieden sorgen". Der primäre Ort des Friedens ist für
Christen dabei der Gottesdienst. In ihm erfahren sie die den Frieden
schenkende Nähe Gottes. Predigt und Liturgie erschließen den Frieden
Gottes, der höher ist als alle Vernunft, aber der Vernunft auch nicht
widerspricht, sondern ihr neue Perspektiven eröffnet. Auf diese Weise
werden der Vernunft auch neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet, die
sowohl für den einzelnen Menschen wie für den Staat Relevanz gewinnen
können. Kirche lädt durch den Gottesdienst schließlich Menschen ein,
sich auf den Weg des Friedens zu begeben.

Um dies exemplarisch an einem kirchlichen Handlungsfeld zu
veranschaulichen: bereits in den Einrichtungen der Elementarbildung
begegnen sich verschiedene Kulturen und Religionen, und es gilt
einzuüben, dass sie auf friedliche und freundliche Weise miteinander
umgehen lernen. Wer den "Kampf der Kulturen" (Samuel P. Huntington)
vermeiden will, der muss von Anfang an den Dialog der Kulturen führen
- im Bereich der Elementarbildung, aber ebenso auch in den Schulen,
in der Konfirmanden- und Jugendarbeit, im Wachstumsfeld der
Freiwilligendienste, in den Einrichtungen der Erwachsenenbildung -
ja, überall dort, wo Kirche die Menschen erreicht. Immer und überall
ist sie gefordert, die Menschen an das "Licht aus der Höhe" zu
erinnern, dass sie dazu befähigt, ihre "Füße auf den Weg des
Friedens" zu richten (vgl. Lukas 1, 78f). Deshalb ist der Friede eine
Gabe Gottes und eine Aufgabe für die Menschen, der sich die Kirche
als Bildungsinstitution auf allen Ebenen zu stellen hat. Sie will
durch ihre Angebote Gewissen bilden und zur Gewissensbindung
einladen, damit der Frieden tief im Menschen selbst eine Verankerung
finden kann.

In der aktuellen Friedensdenkschrift heißt es hierzu: "Wer aus dem
Frieden Gottes lebt, tritt für den Frieden in der Welt ein. Das
christliche Friedenszeugnis konkretisiert sich in Verkündigung und
Gottesdienst, in Bildung und Erziehung, im Eintreten für das
Grundrecht der Gewissensfreiheit, für Versöhnung statt Vergeltung und
für einen gerechten Frieden als Leitbild einer kooperativen
Weltordnung. Friede ist ein - immer erneut zu gewährleistender -
Prozess der Förderung der Freiheit, des Schutzes vor Gewalt, des
Abbaus von Not und der Anerkennung kultureller Verschiedenheit. Er
basiert auf der Fähigkeit, unausweichliche Konflikte konstruktiv
bearbeiten zu können. Die Einübung in diese Fähigkeit beginnt im
alltäglichen Leben der Menschen. Vertrauensbildung und
Verständigungsversuche sind Wege dazu." (Aus Gottes Frieden leben -
für gerechten Frieden sorgen, Gütersloh 2. Aufl. 2007, S.124)

II. Der Friede als Aufgabe der Staaten und der Staatengemeinschaft

Der Friede ist eine Aufgabe der einzelnen Staaten und der
Staatengemeinschaft. Ob er deshalb auch schon der Inbegriff der
Politik selbst ist, wie Dolf Sternberger vor einem Vierteljahrhundert
("Die Politik und der Friede", Frankfurt am Main 1986) meinte, steht
dahin. Auf jeden Fall ist er ein vorrangiges Ziel und eine prioritäre
Aufgabe für die Staatenwelt, wie das schon Immanuel Kant in seiner
eingangs bereits genannten visionären Friedensschrift von 1795 mit
den Begriffen des "Völkerrechts" und des "Völkerbundes" beschrieben
hat. Kant antizipierte damit ja das heute vorhandene und in der
UNO-Charta niedergelegte Völkerrecht. Dessen Artikel 1 beschreibt
sehr differenziert die Aufgabe, die sich damit in der Gegenwart
stellen:

"Artikel 1

Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele: 1. den
Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem
Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des
Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere
Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder
Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch
friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des
Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen; 2. freundschaftliche, auf
der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und
Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den
Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung
des Weltfriedens zu treffen; 3. eine internationale Zusammenarbeit
herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher,
sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung
vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied
der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern
und zu festigen."

Als Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) unterstützen wir
dieses große Projekt der Weltgemeinschaft der Staaten und erwarten
und erhoffen uns von ihm den entscheidenden Beitrag zur Wahrung,
Förderung und Erneuerung des Weltfriedens. Für uns ist die UNO heute
die wichtigste multilaterale Institution mit globaler Reichweite.
Ihre Zuständigkeit umfasst neben der Friedenssicherung jedoch auch
den Menschenrechtsschutz, die Entwicklungshilfe, den Umweltschutz,
ferner auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Fragen. Manchmal
wird den Vereinten Nationen ein Versagen als Gesamtorganisation
angelastet, obwohl dies vor allem den ständigen Mitgliedsstaaten des
Sicherheitsrats zuzurechnen ist, so etwa, wenn diese nicht bereit
sind, ihrer Verantwortung für den Weltfrieden rechenschaftspflichtig
nachzukommen ─ wie im Falle von Ruanda, Kosovo, Tschetschenien,
Darfur und andernorts.

Unterhalb der Ebene der UNO sind aber auch multilaterale
Organisationen von begrenzter regionaler, politischer oder
rechtlicher Reichweite - wie die NATO, die KSZE oder die Europäische
und die Afrikanische Union - jedenfalls dann von Bedeutung bei der
weltweiten Sicherung des Friedens, wenn sie den vom Völkerrecht
gesetzten Rahmen respektieren und nach seinen Regeln wirken.
Grundsätzlich gilt dabei: Universal geht vor multilateral, und
multilateral geht vor unilateral.

Von solch grundsätzlichen Überlegungen ausgehend, hat die EKD in
ihrer Friedensdenkschrift - anknüpfend an den biblischen
Friedensbegriff, an klassische theologische Friedenskonzeptionen und
an philosophische Überlegungen auf der Linie Immanuel Kants - eine
Kriteriologie für eine Ethik rechtserhaltender Gewalt entwickelt.
Damit ersetzte sie das alte Leitbild vom "Gerechten Krieg" durch das
neue Leitbild vom "Gerechten Frieden", das die Friedensdenkschrift
prägt. Die in ihr enthaltenen Kriterien lassen sich im Blick auf die
Grenzen des rechtserhaltenden militärischen Gewaltgebrauchs
konkretisieren. Sie ziehen Grenzen für das Selbstverteidigungsrecht
der Völker: Die Anwendung von Massenvernichtungsmitteln wie
Nuklearwaffen sind ethisch in der Gegenwart nicht zu rechtfertigen.
Grenzen gibt es auch bei der kollektiven Schutzverantwortung bei
innerstaatlichen Bedrohungen. Hierbei spielt als Kriterium ein von
der UNO erteiltes Mandat eine ganz entscheidende Rolle. Ohne Mandat
sollten Interventionen unterbleiben. Im Kosovo 1999 und im Irak 2003
lag keine Mandatierung durch die UNO vor. Das war im Falle
Afghanistans 2001 und ist im aktuellen Fall Libyen anders. Aber auch
wo ein Mandat vorliegt, muss in jedem Einzelfall abgewogen werden, ob
ein Staat sich an einer Intervention in einem anderen Staat
beteiligen sollte. Gilt es, ein Menschheitsverbrechen zu verhindern
wie einen Genozid, ein Massaker an ethnischen Gruppen oder einen
Massenmord an Minderheiten? In diesem Falle - aber eben auch nur in
diesem Falle - ist die Weltgemeinschaft unbedingt zum Handeln
verpflichtet. Auch alle internationalen bewaffneten Friedensmissionen
sind Grenzen unterworfen. So gilt etwa, dass militärische Maßnahmen
jederzeit Bestandteil einer kohärenten Friedenspolitik unter dem
Primat des Zivilen bleiben müssen (Aus Gottes Frieden leben - für
gerechten Frieden sorgen, Ziffer 118, S.78).

Die seitens der EKD spezifizierten und differenzierten Kriterien
einer Ethik rechtserhaltender Gewalt dienen somit dazu, dem Einsatz
militärischer Gewalt klare Grenzen zu setzen. Gewalt ist der
Ausnahmefall, ist "ultima ratio", ein Grenzfall, der Grenzfall
bleiben muss. Prävention geht stets vor Intervention, und Ziviles hat
Vorrang vor dem Militärischen.

Das sind Grundsätze, die aus der Idee des neuen Leitbildes vom
"gerechten Frieden" folgen. Dieses Leitbild, das als "vision of a
just peace" in diesem Frühjahr auch auf der Friedenskonvokation des
Ökumenischen Rates der Kirchen auf Jamaika diskutiert werden.

So lässt sich an dieser Stelle festhalten: Die EKD tritt ein für
den gerechten Frieden und die Überwindung von Gewalt. Sie steht für
den Vorrang der zivilen Konfliktbearbeitung vor der militärischen
Gewalt. Sie macht sich stark für Prävention und ist skeptisch
gegenüber Interventionen in fremde Staaten und Kulturen. Sie vertritt
den Grundsatz: "Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten"
anstelle des aus der Antike überkommenen Prinzips "Si vis pacem, para
bellum!". Die Friedenskonvokation des Ökumenischen Rats der Kirchen
zeigt, dass immer mehr christliche Kirchen sich für das neue Leitbild
öffnen und sich von ihm überzeugen lassen.

III. Der Friede als Aufgabe der Religionen

Wenn nur die Christen für den Frieden auf der Welt eintreten
würden, stünde es schlecht um ihn. Aber es gibt auch in den anderen
Religionen, und ich rede hier von den fünf großen Weltreligionen, -
Gott sei Dank! - eine tiefe Sehnsucht nach dem Frieden. Auch der
Islam, auch das Judentum, auch Hinduismus und Buddhismus lehren, dass
der Weltfriede ein hohes Gut ist. Ich betone das, weil es
insbesondere angesichts des gewaltbereiten islamistischen
Terrorismus, der sich in den Terroranschlägen des 11. September 2001
öffentlich zeigte, bei vielen Christen den Eindruck gibt, der Islam
oder andere Weltreligionen seien deutlich weniger am Frieden
interessiert als das Christentum. Das ist aber ein Irrtum.

An dieser Stelle ist es wichtig, zwischen der Weltreligion Islam
einerseits, dem Islamismus als einer politisierten,
fundamentalistischen Interpretation dieser Religion andererseits und
schließlich dem gewaltbereiten und auf Zerstörung ausgerichteten
islamistischen Terrorismus zu unterscheiden. Auch gilt es, die Motive
der Attentäter und ihrer Hintermänner zu kennen. Aus deren Sicht
stehen die Terroranschläge gegen zivile Ziele als Krieg des Islams
gegen "den Westen", gegen "Juden und Kreuzfahrer" in der Tradition
des Dschihad, verstanden als religiös motivierte gemeinsame
Anstrengung zur Verteidigung und Ausbreitung des Islam. Der Terror
ist in dieser Perspektive ein Kampf gegen die Ungläubigen, der sich
auch gegen die "Ungläubigen" unter den Muslimen richtet. In diesem
Zusammenhang ist zu beachten, dass dieser Legitimation des
Terrorismus in den vergangenen Jahren weltweit sehr viele Muslime zum
Opfer gefallen sind. Wie Muslime hervorheben, beruft sich die
propagierte religiöse Begründung des Terrorismus zu Unrecht auf die
ursprünglichen islamischen Traditionen. Schon der Grundbegriff des
"Dschihad" ist jedenfalls nicht einfach synonym mit "Heiliger Krieg",
sondern meint ganz allgemein eine "Anstrengung auf dem Wege Gottes".
Diese kann die eigene moralische Vervollkommnung, den Kampf gegen
Hunger, Durst oder Krankheiten ebenso wie eine
Alphabetisierungskampagne umfassen. Die meisten islamischen
Regierungen und Menschen muslimischen Glaubens lehnen vor diesem
Hintergrund einen sich auf den Gedanken des Dschihad berufenden
Terror ab.

Worauf es ankommt, ist daher, dass wir erkennen: Für keine der
großen Weltreligionen besteht ein notwendiger oder gar
unvermeidlicher Zusammenhang zwischen Religion und Gewalt. Doch trägt
häufig die Verbindung kultureller und religiöser Faktoren mit
anderen, machtpolitischen, sozialen oder ökonomischen Anliegen zum
Ausbruch von Gewalt oder zur Eskalation von Konflikten bei. Solche
Konflikte können sich zwar religiös artikulieren oder können religiös
legitimiert werden, haben aber in aller Regel weder religiöse noch
kulturelle Ursachen. Religion ist vielmehr das Medium, mit dem
einfache und schnelle Lösungen dieser Konfliktlagen angeboten werden
können. Die Gewaltanwendung erlangt eine "höhere" Legitimation und
Menschen lassen sich tiefer binden und einfacher zu rücksichtsloser
Gewaltanwendung anstacheln. Dabei ist immer in Rechnung zu stellen,
dass es Konflikte nicht nur oder sogar nicht einmal vorrangig
zwischen Kulturen und Religionen gibt, sondern dass auch innerhalb
von Kulturkreisen und zwischen Vertretern ein und derselben Religion
heftige Spannungen bestehen und Auseinandersetzungen stattfinden
können. Dass auch Christenmenschen sich in den letzten zweitausend
Jahren im Hinblick auf die Anwendung und Ausübung von zerstörerischer
Gewalt nicht selten auf der Täterseite befanden, gehört zu den
traurigen Aspekten der Geschichte unserer eigenen Religion, die zu
einer selbstkritischen Aufarbeitung dieser Geschichte nötigen und
auch Anlass geben, immer neu nach Möglichkeiten und Wegen einer
nachhaltigen Überwindung von Gewalt und der Stiftung des Friedens zu
suchen.

Sehr interessantes Material für die These, dass alle
Weltreligionen das Potenzial haben, zum Weltfrieden beizutragen,
liefert die Dissertation von Markus Weingardt: "Religion Macht
Frieden: Das Friedenspotential von Religionen in politischen
Gewaltkonflikten" (2007). Weingardt belegt etwa an dem Gewaltkonflikt
in Ruanda im Jahr 1994, dass es gerade die Muslime unter den Hutu und
Tutsi waren (und nicht etwa die Christen), die in diesem Konflikt auf
Verständigung und Versöhnung setzten und Gewalt ablehnten.

Andererseits zeigt ein Blick auf Europa und insbesondere
Deutschland, dass es zwar sehr viele "zivile Friedensdienste" mit
christlichem Hintergrund gibt (allein die "Aktionsgemeinschaft Dienst
für den Frieden" zählt 35 Mitgliedsorganisationen), andererseits
bisher aber eher wenige zivile Friedensdienste mit einem islamischen
oder jüdischen Hintergrund. Ich persönlich halte zivile
Friedensdienste für ein besonders geeignetes Instrument, um Frieden
einzuüben, weil alle Aspekte menschlichen Handelns und Denkens in den
Friedensdiensten thematisiert werden und außerdem vor allem jungen
Menschen die Möglichkeit angeboten wird, in fremden Ländern gemeinsam
mit anderen Jugendlichen im Alltag zu buchstabieren, was Frieden
bedeutet.

Von daher dürfen wir mit guten Gründen gemeinsam mit Immanuel Kant
davon ausgehen, dass der Friede eine Chance hat. Er hat diese Chance,
weil er viele Wurzeln hat: bei Christen und Kirchen, in den
Religionen, in den Staaten und Staatengemeinschaften. Und vor allem:
in den Herzen der Menschen.



Pressekontakt:
Evangelische Kirche in Deutschland
Reinhard Mawick
Herrenhäuser Strasse 12
D-30419 Hannover
Telefon: 0511 - 2796 - 269
E-Mail: reinhard.mawick@ekd.de


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