BERLINER MORGENPOST: Auch "und" gilt bald als abgeschrieben - Leitartikel
Geschrieben am 13-04-2011 |
Berlin (ots) - Ja, ich gestehe: Garantiert nicht jedes Zitat ist
supersauber belegt. Kann gut sein, dass eigene und fremde Gedanken
irgendwann durcheinander gegangen sind. Ich habe Leute um Hilfe
gebeten, die sich auf bestimmten Gebieten besser auskannten als ich.
Nach den Maßstäben von Internet-Fahndern wäre ich wahrscheinlich ein
Plagiator. Völlig zu Recht wurde es übrigens kein "summa cum laude",
sondern ein eher gnadenvolles "gut". Der Doktorvater war von
herzlicher Unbarmherzigkeit; alle paar Wochen wollte er das nächste
Kapitel. Es waren fast vier Jahre Arbeit, und am längsten dauerte die
Phase, als das Ufer des Startes nicht mehr zu sehen war, das Ziel
aber auch noch nicht. An diesem Punkt geben übrigens die meisten auf,
bei Kilometer 25 des Marathons, wenn es weh tut, noch lange dauert
und man sich die Sinnfrage stellt. "Diss" steht eben auch für
Durchhalten. Und inzwischen auch für "Dissen". Seit Beginn der
Guttenberg-Festspiele habe ich mich wohl tausend Mal entschuldigen
müssen für diesen Titel, der viel Nerven, Zeit und Geld gekostet und
meiner Familie nicht immer den liebevollsten Vater und Partner
beschert hat. Es ist völlig in Ordnung, akademische Meriten und ihr
Zustandekommen zu hinterfragen. Was nicht okay ist, das ist die mehr
oder weniger sportliche Häme, mit der jeder Promovierte inzwischen
überzogen werden. Zur Realität gehört, dass Professoren, die sich als
Wissenschaftler sehen, zwar Wert auf korrekte Fußnoten legen, sich
aber nicht unbedingt um das letzte Prozent Fußnote scheren. Der Wert
einer Arbeit liegt eher in ihrer originellen Fragestellung, der
Beweisführung und dem schlüssigen Zusammenfassen der Ergebnisse. Ein
guter Forscher ist mindestens ebensoviel Kreativer wie Finanzbeamter.
Das Penible ist wichtig, keine Frage, aber es waren nicht immer die
Peniblen, die die Welt mit ihren Gedanken nach vorn gebracht haben.
Vor die Wahl gestellt, ob er eine vor Fußnotenfehlern strotzende,
aber genial gedachte Arbeit bevorzuge oder eine strunzlangweilige,
die zu 100 Prozent korrekt zitiert, würden die meisten Professoren
sich wohl für das kreative Werk entscheiden. Wissenschaft ist mehr
als Korinthenlese. Wenn wie im Falle der FDP-Politikerin Koch-Mehrin
so banale Passagen wie "bahnte den Weg auch zur Wiederherstellung der
früheren Handelsbeziehungen" oder "Seit den 1880er Jahren
konzentrierte sich die Expansion der europäischen Staaten auf den
afrikanischen Kontinent" als Belege fürs Plagiieren herhalten, dann
ist klar: Der Wert von 15 Prozent und mehr ist Mumpitz, hat mit
wissenschaftlichen Kriterien nicht viel zu tun, sondern legt den
Verdacht nahe, dass da jemand fertig gemacht werden soll. Solche
Stellen finden sich in - geschätzt - jeder zweiten Dissertation und
sind in etwa so releveant wie die Farbnasen, die dem
Lackiererlehrling bei der Prüfung unterlaufen. Sollte nicht, kann
aber passieren, und stellt das Ergebnis nicht grundsätzlich in Frage.
Es wird der Tag kommen, da gelten auch "und" und "aber" als
abgeschrieben.
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de
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