Mittelbayerische Zeitung: Chaotische Sammelwut
Leitartikel zur Vorratsdatenspeicherung
Geschrieben am 18-04-2011 |
Regensburg (ots) - Deutschland wird das Gespenst nicht los. Erst
voriges Jahr kippte das Bundesverfassungsgericht die Berliner
Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Gestern nun
die unmissverständliche Drohung aus Brüssel: Wenn Deutschland sich
nicht schleunigst an die Durchführung der Richtlinie macht, droht ein
Vertragsverletzungsverfahren. Was eindeutig klingt, steckt voller
Widersprüche. Denn die EU-Kommission kündigte gestern an, die
Richtlinie aus dem Jahr 2006 wegen ihrer zahlreichen Mängel
überarbeiten zu wollen. Berlin muss jetzt die Chance nutzen und
Einfluss nehmen. Wie man sich gegenseitig das Leben schwer macht,
zeigen derzeit Brüssel und Berlin. Anlass ist die umstrittene
Vorratsdatenspeicherung. Während Brüssel trotz Kritik am eigenen
Gesetz in Deutschland auf eine Umsetzung pocht, blockiert sich die
Berliner Koalition gegenseitig. CDU/CSU drängen auf eine rasche
Umsetzung der EU-Richtlinie, die FDP will hingegen erst einmal
abwarten. Das Hin und Her macht das europäische Durcheinander um die
Datensammelei perfekt. In Tschechien und Rumänien haben die
Verfassungsgerichte das Gesetz ebenfalls gekippt, Schweden weigert
sich komplett die Vorschriften einzuführen. Und in den übrigen
Staaten herrscht bezüglich Speicherdauer, Zugriffsrechte und
Regelungen für Provider Chaos. Jeder nutzt seinen Spielraum maximal
aus, von Harmonisierung keine Spur. Klar, dass dies der EU-Kommission
missfallen muss. Denn wenn sowieso jeder macht, was er will, wozu
braucht es dann ein EU-Gesetz? Die Behörde will nun gegensteuern und
kündigte gestern eine Neuauflage der Richtlinie an. Dennoch muss nach
dem Nutzen solcher Vorschriften gefragt werden. Denn dass mithilfe
der gespeicherten Daten terroristische Aktionen oder schwere
Verbrechen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität aufgeklärt
wurden, konnte Brüssel bis jetzt nicht ausreichend belegen.
Statistiken gibt es keine. Zwar zitiert die Behörde Mitgliedsstaaten,
die Fahndungserfolge dank der gespeicherten Daten vermeldeten. Doch
welche Rolle diese Daten konkret bei der Aufklärung der Verbrechen
gespielt haben, bleibt unersichtlich. Unklar ist damit auch, ob die
Informationen auf anderem Weg hätten beschafft werden können. Die
Datenspeicherei ist nicht verhältnismäßig. Dieser Widerspruch wird
sich auch durch eine Neuauflage nicht lösen lassen. Lediglich klarere
Vorschriften bei den Zugriffsrechten, Speicherdauer sowie dem
Datenschutz werden wohl kommen. Man darf sich nichts vormachen: Die
Mehrzahl der EU-Mitgliedsländer will die Vorratsdatenspeicherung, die
als Reaktion auf die Terroranschläge auf die Madrider und Londoner
U-Bahnen vorgeschlagen wurde. Sie haben 2005 das Gesetz regelrecht
eingefordert. Dass es im Übereifer mit zu heißer Nadel gestrickt
worden ist, hat sich nun gezeigt. Nichtsdestotrotz wollen
EU-Kommission und Mitgliedsstaaten daran festhalten. Damit steht die
Bundesregierung vor einem großen Problem. Denn das Kabinett hat
darüber noch keine gemeinsame Linie gefunden. Während die
Unionsparteien lieber heute als morgen die Richtlinie umgesetzt
hätten, spielt die FDP auf Zeit. Man müsse den EU-Zwischenbericht
abwarten, eventuell werde die Richtlinie gekippt, so die liberale
Justizministerin. Nun liegt der Bericht vor und spielt der Union in
die Hände. Doch Jubelschreie sind fehl am Platz. Denn solange sich
die Koalition gegenseitig blockiert, kann sie auf die Neufassung aus
Brüssel keinen Einfluss nehmen. Damit vertut sie eine wichtige
Chance. Denn dass das Gesetz kommen wird steht außer Frage.
Deutschland muss sich nun für höchstmögliche Bürgerverträglichkeit
und Datenschutz einsetzen.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
327357
weitere Artikel:
- Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu den Wahlen in Finnland Bielefeld (ots) - Wahlen in Finnland interessieren den Rest der
Welt sonst nur am Rande. Doch diesmal haben es die 15 Millionen
Einwohner von Suomi auch ohne Eishockey und Nokia geschafft, im
übrigen Europa in die Schlagzeilen zu kommen. Der mit 19 Prozent
Stimmanteil relative Wahlsieger »Die wahren Finnen« könnte eine
Sprengkraft entfalten, die den Euro und sogar die Europäische Union
auseinandertreiben kann. Dieser Einfluss gründet nicht auf die
wirtschaftliche Macht oder gar Beitragsleistung Finnlands. Gefährlich
sind die wahren mehr...
- Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Pkw-Maut Bielefeld (ots) - Nicht heute und nicht morgen, aber die Pkw-Maut
wird kommen. Es geht nur noch um einen günstigen Zeitpunkt. Auch wenn
die Kanzlerin energisch dementiert. Ganz ohne Auftrag rechnet kein
Ministerialbeamter aus, mit welchen Einnahmen der Bund rechnen kann.
Erst vor wenigen Tagen kamen Forderungen aus CSU, wie in anderen
Ländern Europas für die Nutzung von Autobahnen auch von Pkw-Fahrern
in Deutschland Gebühren zu verlangen. Und jetzt werden die
Modellrechnungen bekannt. Das kann kein Zufall sein. Vielmehr ist
erneut mehr...
- Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Bildungspaket Bielefeld (ots) - Der Amtsschimmel neigt nun einmal nicht zum
spontanen Galopp - erst recht nicht, wenn er sich auf unbekanntem
Terrain bewegt. Übermäßigen Enthusiasmus bei der Umsetzung des
Bildungspakets haben weder der Bund noch die Länder erkennen lassen.
Die ausführenden Behörden vor Ort wurden lange - viel zu lange - über
die Details im Unklaren gelassen. Deshalb ist es gut, dass die
Antragsfrist für die rückwirkende Bewilligung der Leistungen
verlängert werden soll. Denn warum sollte der Bürger dafür büßen,
dass die Behörden mehr...
- RNZ: Versickert - Kommentar zu Plänen für eine Pkw-Maut Heidelberg (ots) - In unschöner Regelmäßigkeit lässt die
Bundesregierung seit Jahren Testballons zur Einführung einer
Autobahn-Maut für Pkw steigen. Frei nach dem Motto: Steter Tropfen
höhlt den Stein. So müssen sich die Autofahrer mittelfristig darauf
einstellen, für die Benutzung der Fernstraßen zu bezahlen. Würde dies
für die Deutschen aufkommensneutral erfolgen - etwa indem der Preis
für eine Vignette von der Kfz-Steuer abgezogen würde - wäre dagegen
auch gar nichts einzuwenden. Doch macht der Aufwand, eine solche Maut
einzuführen mehr...
- Rheinische Post: Ja zur Pkw-Maut Düsseldorf (ots) - Wahlkampfwirksam hatte Kanzlerin Angela Merkel
im Herbst 2009 im Interview mit dem ADAC-Magazin die Einführung einer
Pkw-Maut ausgeschlossen. Richtig wäre sie trotzdem. Das Zauberwort
heißt nutzerabhängige Infrastrukturfinanzierung. Oder: Wer fährt,
zahlt. Im undurchsichtigen System der Kfz-Steuer ist das heute leider
nicht der Fall. Wer sein Auto nur ab und zu bewegt, zahlt an das
Finanzamt so viel wie der Vertriebschef, der 80 000 Kilometer pro
Jahr abspult. Die Steuer richtet sich nach Benzinart und Hubraumgröße mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|