(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel "Mittelbayerische Zeitung" (Regensburg) zu Seligsprechung

Geschrieben am 01-05-2011

Regensburg (ots) - Johannes Paul II. war ohne jeden Zweifel eine
herausragende Gestalt der Weltgeschichte. Der polnische Papst hat
nicht nur durch sein politisches Wirken entscheidend zum friedlichen
Ende des Kalten Krieges beigetragen. Vielmehr hat er dem Christentum
insgesamt, weit über die Grenzen des Katholizismus hinaus, zu einer
Präsenz verholfen, die es 2000 Jahre nach seiner Entstehung ohne
Johannes Paul II. nie und nimmer gehabt hätte. Wo auch immer dieser
Papst auf seinen mehr als 100 Pilgerreisen auftrat, da schlug er die
Menschen durch sein persönliches Charisma in den Bann Gottes. Karol
Wojtyla war ein Mann der gelebten Nächstenliebe. Er liebte das Leben
- bis in seinen spektakulären, öffentlich ausgetragenen Todeskampf
hinein. All das machte ihn und seine Kirche im Wortsinne
glaub-würdig. Umso verblüffender ist es zu sehen, wie schnell der
Glanz des Jahrhundert-Papstes verblasst ist. Die Rede ist nicht von
der Million Pilger aus aller Welt, die sich auf den Weg nach Rom
machten, um der Seligsprechung beizuwohnen. Sie sind aufs Ganze
gesehen nur ein harter Kern, den es in der katholischen Kirche auch
ohne Johannes Paul II. gegeben hätte und noch immer gibt. Es geht um
die erkaltete Masse der einst feurigen Papst-Anhänger. Am
deutlichsten zeigt sich dieses Desinteresse in Wojtylas polnischer
Heimat. Dort hakten viele Menschen die sonntäglichen Feiern wie einen
Routinetermin ab. Vor sechs Jahren noch, nach dem Tod des
Kirchenoberhauptes, hatten Trauernde weltweit "Santo subito!"
skandiert und die sofortige Heiligsprechung ihres Lieblings
gefordert. In der Rückschau betrachtet war dies allerdings kaum mehr
als der zum Scheitern verurteilte Versuch, Karol Wojtyla bei sich
behalten zu wollen. Einen Toten zu verehren, ist aber etwas anderes,
als einem lebenden Idol nachzustreben. Deshalb war es ein Fehler des
Vatikans, dem Drängen der Gläubigen nachzugeben und Johannes Paul II.
im Eiltempo seligzusprechen. Die Inszenierungen gestern, ob auf dem
Petersplatz in Rom oder dem Pilsudski-Platz in Warschau, waren ein
Abklatsch dessen, was der nun selige Papst zu Lebzeiten selbst zu
zelebrieren vermochte. Sie waren der misslungene Versuch, wenigstens
einige Strahlen vom Glanz Johannes Pauls einzufangen - auf dass sein
spätes Licht auf seinen Nachfolger und dessen Brüder fallen möge.
Aber so einfach ist es nicht. Die rasante Seligsprechung wird dem
Geehrten selbst nicht gerecht. Weit wichtiger wäre eine inhaltliche
Auseinandersetzung mit den Lehren und dem Wirken Johannes Pauls II.
Der Pole ist ja nicht nur durch die Welt gejettet und hat mit den
Menschen Messen gefeiert. Er war ein herausragender Philosoph und
Theologe, der dem von Gott gegebenen Leben einen extrem hohen
Stellenwert eingeräumt hat. Schon wahr: Johannes Paul verteufelte
Abtreibung und Verhütung. Kondome blieben auch angesichts Millionen
Aidskranker verboten. Doch niemand muss Johannes Paul II. in all dem
bis zuletzt folgen. Diskussionswürdig bleibt der päpstliche
Standpunkt gleichwohl. Denn der Stellenwert, den die Menschheit dem
Leben heutzutage beimisst, ist nicht sonderlich hoch. Das zeigt sich
nicht nur in chinesischen Todeszellen und iranischen
Foltergefängnissen. Es zeigt sich auch an der unreflektierten
Schnelligkeit, mit der westliche Staaten Kampfflugzeuge nach Libyen
schicken. Und es zeigt sich tagtäglich in unserem Umgang mit Alten,
Kranken und Gebrechlichen. Johannes Paul II. lebte und lehrte gegen
diese Herabwürdigung des Lebens an. Er war mehr als ein Papst. Er war
ein großer Mensch.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

329078

weitere Artikel:
  • HAMBURGER ABENDBLATT: Vorabmeldung Hamburger Abendblatt, Cornelie Sonntag-Wolgast zu Sarrazin Hamburg (ots) - Die SPD habe die Turbulenzen um Thilo Sarrazin noch nicht beendet, trotz der raschen Entscheidung der Berliner Schiedskommission, das umstrittene Mitglied in der Partei zu belassen, schreibt die SPD-Politikerin und frühere Staatssekretärin im Bundesinnenministerium Cornelie Sonntag-Wolgast in einem Namensbeitrag für das Hamburger Abendblatt (Montag-Ausgabe). Die Parteiführung hätte besser daran getan, "sich mit einer scharf formulierten Distanzierung zu begnügen". Denn zum einen seien die Hürden für einen Ausschluss mehr...

  • HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zu Anti-Terror-Gesetzen Hamburg (ots) - Ein Kommentar von Roman Heflik Eines vorweg: Die Anschuldigungen gegen die festgenommenen mutmaßlichen Terroristen sind noch nicht bewiesen. Sollte sich jedoch tatsächlich herausstellen, dass die drei Männer an einem Attentat gehindert worden sind, muss man all den Sicherheitsexperten recht geben, die seit Jahren in nervtötender Penetranz vor der Terrorbedrohung in Deutschland warnen. Nur wer absichtlich wegschaut, kann dann noch behaupten, dass diese Warnrufe lediglich Ausdruck von Hysterie oder Panikmache sind. mehr...

  • Märkische Oderzeitung: Märkische Oderzeitung Frankfurt (Oder) zur Reaktion in Polen auf die Seligsprechung von Johannes Paul II.: Frankfurt/Oder (ots) - In seiner Heimat Polen ist diese Begeisterung besonders groß, weil er seinen Landsleuten seinerzeit die Zuversicht gab, ein totalitäres System zu überwinden. Auch heute sehnen sich nicht nur Gläubige nach Werten, die höher sind als die Macht von Geld und Besitz. Freilich gelten die Mystik, der Pomp und die starren Regeln, mit denen sich gerade die katholische Kirche umgibt, vielen Heutigen als ungeeignet, um Nächstenliebe oder Unterstützung für Arme und Schwache zu wecken. Und evangelische Christen würden mehr...

  • Märkische Oderzeitung: Märkische Oderzeitung Frankfurt (Oder) zum NATO-Einsatz in Libyen: Frankfurt/Oder (ots) - Die NATO, angetrieben von Großbritannien, Frankreich und den USA, hat das eigentliche Mandat von Beginn an nach eigenem Ermessen interpretiert. Dabei trat immer deutlicher zutage, dass das eigentliche Ziel der Militäraktion ein Regimewechsel ist. Da dieser mit Attacken aus der Luft nicht erreicht werden kann und der Einsatz von Bodentruppen dann doch zu riskant erscheint, kaprizieren sich die westlichen Strategen auf die Ausschaltung von Staatsführer Gaddafi. Das wird zwar heftig bestritten, zeigt aber, wie verlogen mehr...

  • Mitteldeutsche Zeitung: zu Papst Halle (ots) - Das politische Wunder aber, für das sich der Priester Karol Wojtyla lange bevor er in Rom zum Kirchenoberhaupt gewählt wurde, unerschrocken eingesetzt hatte, war das Ende des sowjetisch diktierten Staatskommunismus und der Mauer. Dafür sind wir dem polnischen Papst durchaus Dank schuldig. Dass es nun mit Joseph Ratzinger, Wojtylas engem Mitarbeiter und direktem Nachfolger, ein Deutscher sein durfte, der gestern den kämpferischen und gütigen Polen selig gesprochen hat, ist deshalb noch von besonderem Gewicht. Pressekontakt: mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht