Nikolaus Schneider: Deutsche Soldatinnen und Soldaten nicht allein lassen/
EKD-Ratsvorsitzender predigt im ZDF-Gottesdienst
Geschrieben am 15-05-2011 |
Hannover (ots) -
Sperrfrist: 15.05.2011 10:00
Bitte beachten Sie, dass diese Meldung erst nach Ablauf der
Sperrfrist zur Veröffentlichung freigegeben ist.
Eine ernsthafte und ausführliche Diskussion über die
Auslandseinsätze der Bundeswehr hat der Vorsitzende des Rates der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider,
gefordert. Zugleich sprach er sich für eine größere Aufmerksamkeit
für die deutschen Soldatinnen und Soldaten aus: "Es ist wichtig, dass
die Menschen, die unser Land in einen solchen Einsatz schickt, nicht
allein gelassen werden", sagte Schneider in seiner Predigt am
Sonntag, 15. Mai, im ZDF-Gottesdienst in der Abflughalle des
Militärflughafens Köln-Wahn.
Als Kirche und als Mitmenschen seien wir gefragt, den Soldatinnen
und Soldaten zur Seite zu stehen, die mit belastenden Erfahrungen aus
den Kriegs- und Krisengebieten zurückkehren. Dabei gehe es manchmal
nur darum, "das Naheliegende und Lebensdienliche zu tun", so wie der
Engel im 1. Buch der Könige dem Propheten Elia Brot und Wasser
reiche. "Das bedeutet nicht", so der Ratsvorsitzende, "dass wir den
Afghanistan-Einsatz in allen seinen Punkten gutheißen. Oder ihm damit
gar eine Art kirchlichen Segen geben. Es geht uns um die Menschen,
die am Hindukusch ihren schwierigen Dienst tun."
Unter dem Eindruck des 2. Weltkrieges und seiner Kriegs- und
Menschenrechtsverletzungen hätten viele Deutsche eine tiefe
Zurückhaltung gegenüber militärischer Gewalt entwickelt. Die
evangelische Kirche habe sich die theologische Erkenntnis des
Ökumenischen Rates der Kirchen "Krieg soll nach Gottes Willen nicht
sein" nachhaltig zu Eigen gemacht. "Zugleich erkennen
Christenmenschen ganz nüchtern, dass es Situationen gibt, in denen
wir nicht ohne Schuld bleiben können - was immer wir tun oder
unterlassen. So ist es in Afghanistan und so ist es aktuell in
Libyen, wo wir nicht eindeutig wissen, welches politische und
militärische Verhalten den Frieden und die Gerechtigkeit unter den
Menschen fördert."
Mitunter wünsche man sich Gott als eine Macht, die alle
Widerstände hinwegfegt, "auch in unseren politischen Kämpfen gegen
Terror und menschenverachtende Gewalt, um endlich der Gerechtigkeit
und dem Frieden zum Durchbruch zu verhelfen." Doch Jesus Christus
mahne uns: "Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen."
(Matthäus 26,51). "Deshalb kann der Griff zum Schwert immer nur eine
letzte und schuldhafte Option sein. Gottes Wort weist uns darauf hin,
dass es nicht möglich ist, Krieg mit Krieg und Böses mit Bösem zu
überwinden."
Der Gottesdienst in der Abflughalle des Militärflughafens
Köln-Wahn wird am Sonntag, 15. Mai, ab 9.30 Uhr im ZDF live
übertragen.
Hannover, 13. Mai 2011
Pressestelle der EKD
Silke Römhild
Die Predigt im Wortlaut finden Sie im Anhang. Nach Ablauf der
Sperrfrist finden Sie sie auch unter
http://www.ekd.de/predigten/schneider/index.html
Präses Nikolaus Schneider
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
(EKD)
Es gilt das gesprochene Wort!
Predigt über 1. Könige 19, 4-13
im Rahmen des ZDF-Fernsehgottesdienstes zum Thema "Freiheit - am
Hindukusch verteidigt?" 15. Mai 2011 // Abflughalle des
Militärflughafens Köln-Wahn
Liebe Gemeinde hier und liebe Gemeinde an den Bildschirmen,
"Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht
besser als meine Väter" -
dieser Satz aus dem Mund des Propheten Elia bewegt mich in
besonderer Weise. Wir haben ihn in der Lesung gehört.
Elia hatte gekämpft - für Gott und mit Gott gegen falsche Götter
und falsche Propheten. Und Elia hatte einen triumphalen Sieg
errungen. Gott hatte sich mit seiner Macht auf die Seite Elias
gestellt. Das Königspaar Ahab und Isebel hatte den Kult um die
Baals-Götzen ins Land geholt - nicht zuletzt zur Sicherung der
königlichen Macht. Im Rausch seines Sieges wollte Elia den 'totalen
Sieg'. Er ließ alle gegnerischen Propheten ergreifen, um sie
eigenhändig umzubringen.
Nun aber will die Königin Rache und bedroht Elia mit dem Tod. Der
Prophet muss um sein Leben fürchten und läuft davon. Er flüchtet in
die Wüste und legt sich in den Schatten unter einen Wacholderstrauch.
Elia ist leer und ausgebrannt. Er will nicht mehr kämpfen und
nicht mehr streiten. Er will nichts mehr hören, nichts mehr sehen und
nichts mehr reden.
Elia ist müde, sterbens-müde:
"Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht
besser als meine Väter" Auch wenn zwischen dem Propheten Elia und uns
rund dreitausend Jahre liegen - hier kommt er uns als Mensch nahe.
Heutige Psychologen haben für den Zustand des Propheten ein Wort,
das seit einigen Jahren in aller Munde ist: "Burnout". Bevor dieses
Krankheitsbild in den 90er Jahren beschrieben wurde, sprach man
manchmal vom "Elia-Syndrom" - was für eine zutreffende Aufnahme des
biblischen Bildes. Vielleicht könnte man bei Elia auch von einer
"posttraumatischen Belastungsstörung" sprechen, also eine spätere
seelische oder psychosomatische Reaktion auf eine ausgesprochen
belastende Erfahrung.
Wenn heute Soldaten von dieser Halle aus in den Auslandseinsatz
aufbrechen, sind wegen der künftigen Belastungen Psychologen dabei,
die sich mit dem Elia-Syndrom auskennen. Wir hörten es ja vorhin aus
dem Mund eines Soldaten: ständig kann es geschehen, dass am Rande der
Straße ein Sprengsatz gezündet oder ein Konvoi beschossen wird. Und
viele, die aus dem Einsatz zurückkehren, tragen die Erfahrung von
intensiven Gefechten und stundenlangen Kampfhandlungen in sich: Sie
mussten schießen und auch töten. Neben ihnen wurden Kameraden
getroffen. Lebensgefährliche und belastende Erfahrungen, die nicht
spurlos an ihnen vorübergehen.
Es ist wichtig, dass die Menschen, die unser Land in einen solchen
Einsatz schickt, nicht allein gelassen werden. Es ist wichtig, dass
wir als Kirche und Gesellschaft die wahrnehmen, die aus dem Einsatz
zurückkehren - verwundet oder mit belastenden Erfahrungen ihrer
Seele.
Elia bleibt mit seiner Erfahrung und mit seiner Verzweiflung nicht
allein. In einer Situation, in der er an Gott, an den Menschen und am
Sinn seines Lebens zweifelt, schickt Gott ihm einen Engel.
Es ist kein Engel, der mit Heerscharen und Posaunen in Elias Leben
eingreift. Aber es ist ein Engel mit einem guten Blick für das, was
jetzt dran ist - für das in dieser Situation für Elia
"Lebens-Notwendige".
Der Engel bringt Brot und Wasser. Dann spricht er zu Elia: Steh
auf und iss. Er belässt es nicht bei dem einen Mal. Der Engel kommt
wieder. Denn manchmal braucht es Zeit, um wieder ins Leben
zurückgehen zu können.
Liebe Gemeinde, als Kirche und als Mitmenschen sind wir gefragt,
den Soldatinnen und Soldaten zur Seite zu stehen, die mit belastenden
Erfahrungen aus den Kriegs- und Krisengebieten zurückkehren. Und wir
sind als Gemeinden und Nachbarn gefragt, wenn Familien den Verlust
eines Sohnes, einer Tochter, eines Vaters, einer Schwester oder eines
Partners zu beklagen haben. Wir sind gefragt, ihnen nahe zu sein,
zuzuhören und manchmal einfach nur das Naheliegende und
Lebensdienliche zu tun. "Steh auf und iss..." Das bedeutet nicht,
dass wir den Afghanistan-Einsatz in allen seinen Punkten gutheißen.
Oder ihm damit gar eine Art kirchlichen Segen geben.
Es geht uns um die Menschen, die am Hindukusch ihren schwierigen
Dienst tun. Es sind Menschen aus unseren Gemeinden. Sie gehören zu
uns, in unsere Mitte. Es ist richtig und wichtig, für sie zu beten.
Ihnen Seelsorger an die Seite zu stellen, die sie begleiten.
Elia schließt seinen bedenkenswerten Satz mit den Worten: "Ich bin
nicht besser als meine Väter".
Die Älteren unter uns haben noch den 2.Weltkrieg und seine Folgen
erlebt. Nach dem Ende dieses Krieges mussten die Menschen in unserem
Land lernen, sich der Wahrheit zu stellen: Unser Land trägt
Verantwortung für furchtbares Unrecht, ja für Kriegs- und
Menschenrechtsverbrechen. Durch den Krieg, der von unserem Land
ausging, wurde unendliches Leid über viele Völker und zahllose
Menschen gebracht. "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland" -
schrieb der Dichter Paul Celan. Für viele war es eine bittere
Erkenntnis, dass er damit Recht hatte.
Unter dem Eindruck dieser Erfahrung haben viele Deutsche eine
tiefe Zurückhaltung gegenüber militärischer Gewalt entwickelt. Die
evangelische Kirche hat sich in die Verantwortung vor diesem Teil
unserer Geschichte gestellt und sich die theologische Erkenntnis des
ersten Treffens des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 in Amsterdam
nachhaltig zu Eigen gemacht: "Krieg soll nach Gottes Willen nicht
sein." Nein, wir sind nicht besser als unsere Väter. Aber ich denke,
dass wir gelernt haben und auch weiter in der Lage sind zu lernen,
was Gottes Wort von uns fordert, wenn es die Friedfertigen selig
preist!
Zugleich erkennen Christenmenschen ganz nüchtern, dass es
Situationen gibt, in denen wir nicht ohne Schuld bleiben können - was
immer wir tun oder unterlassen. So ist es in Afghanistan und so ist
es aktuell in Libyen, wo wir nicht eindeutig wissen, welches
politische und militärische Verhalten den Frieden und die
Gerechtigkeit unter den Menschen fördert. Es ist nötig, dass in
unserem Land und in unserer Kirche die Frage von Militäreinsätzen
ernsthaft und ausführlich diskutiert wird.
Gottes Geist möge unseren Geist bei diesen Diskussionen bewegen
und leiten. Gottes Geist möge uns anleiten, bei all den notwendigen
politischen und theologischen Diskussionen das Leiden betroffener
Menschen - auch das Leiden unserer Soldaten und Soldatinnen - im
Blick zu behalten.
Für Elia ist es nicht bei seinem Tiefpunkt unter dem
Wacholderstrauch in der Wüste geblieben. Gestärkt durch Brot und
Wasser ist er bereit für neue Gottes- und Menschenerfahrungen. Und so
macht er sich auf den Weg zum Berg Horeb.
Der Gott, liebe Gemeinde, der Elia am Berg Horeb begegnet, ist
ganz anders als erwartet. Nicht in einer Demonstration seiner Macht
begegnet Gott hier dem Elia. Nicht in grandiosen Naturgewalten, nicht
im Feuer, nicht im Sturm.
Ganz sanft nähert sich Gott dem überlebenden Elia. In einer
"Stimme verschwebenden Schweigens" - wie Buber undRosenzweig
übersetzen - spricht Gott zu ihm.
In einem Windhauch, wie er fast überall zu spüren sein kann: wenn
an einem Sommerabend zärtlich der Wind über die Haut streicht; wenn
er in den Wipfeln der Bäume die Blätter leise bewegt. Eine
feinfühlige Begegnung, eine Bewegung als wollte Gott sagen und
zeigen: Ich umgebe dich, ich begleite dich, ich bin immer bei dir.
Auch und gerade, wenn du schwach und verzweifelt bist.
Gott begegnete dem Elia - damals vor 3000 Jahren - nicht als eine
zerstörende und alle Widerstände hinwegfegende Macht. Auch wenn Elia
sich das vielleicht gewünscht hätte, um seine eigenen Machtansprüche
durchzusetzen und seine Autorität als wahrer Prophet zu erweisen.
Auch 1000 Jahre später begegnete Gott den Jüngern und Jüngerinnen
Jesu nicht als eine zerstörende und alle Widerstände hinwegfegende
Macht. Auch wenn die Jünger und Jüngerinnen Jesu das sich vielleicht
gewünscht hätten, als Jesus das Leiden und Sterben am Kreuz auf sich
nahm. Himmlische Heere zum Erweis seiner Wahrheit erschienen manchen
als eine verlockende Alternative.
Und Gott begegnet uns Christenmenschen auch heute nicht als eine
Macht, die alle Widerstände hinwegfegt. Auch wenn wir uns das
sicherlich so manches Mal wünschen, in und für unsere Kirchen und
auch in unseren politischen Kämpfen gegen Terror und
menschenverachtende Gewalt, um endlich der Gerechtigkeit und dem
Frieden zum Durchbruch zu verhelfen.
Das Zusammengehen von Gott und Gewalt, von Gewalt und
Gottesglauben, das uns in den biblischen Geschichten und in unseren
diesbezüglichen Wünschen und Gerechtigkeitsphantasien begegnet, ist
und bleibt zweideutig.
Auch unsere christlichen Kirchen haben - Gott sei es geklagt - oft
genug im Namen Gottes das Wüten und Töten gerechtfertigt. Sie waren
sogar unmittelbar daran beteiligt. Diese leidvolle und schuldbeladene
Geschichte haben wir jedoch - hoffentlich für immer - hinter uns
gelassen.
Jesus Christus mahnte uns:
"Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen." Deshalb
kann der Griff zum Schwert immer nur eine letzte und schuldhafte
Option sein. Gottes Wort weist uns darauf hin, dass es nicht möglich
ist, Krieg mit Krieg und Böses mit Bösem zu überwinden.
Vor wenigen Wochen, liebe Gemeinde, liebe Soldatinnen und
Soldaten, habe ich das deutsche Kontingent in Masar-i-Sharif besucht.
Wir haben dort Gottesdienst gefeiert. In einem Gebäude, das mitten im
Kamp liegt und doch ein Ort der Stille ist. Die Kirche der
Militärseelsorge haben die Soldaten "Haus Benedikt" genannt. An
diesem Ort können sie aufatmen, in die Stille einkehren. Und
vielleicht wurde und wird auch einigen Menschen diese Kirche zu ihrem
"Berg Horeb", zu einem Ort für eine neue, sanfte Gottesbegegnung.
Solche Begegnungen mit Gott verändern nicht auf einen Schlag die
Welt. Und sie werden den Krieg in Afghanistan auch nicht plötzlich
stoppen. Aber sie verändern den Menschen, der sich dieser
Gottesbegegnung öffnet und diese Gottesbegegnung erfährt.
Gottes Wort begegnet Menschen manchmal als eine sehr leise Stimme
oder als ein sehr sanfter Hauch. Und doch kann dieses Wort Menschen
aufrichten und ihnen einen Neuanfang schenken. Es kann Menschen mit
Geduld, Kraft und Mut erfüllen.
Die Begegnung mit Gott in seinem lebendigen Wort schafft in
Menschen eine innere Freiheit. Das stärkt uns und hilft auch,
wenigstens eine begrenzte Zeit lang ungeklärte und ambivalente
Situationen auszuhalten.
Elia hat nach der Gottesbegegnung am Berg Horeb seine Höhle mit
neuem Lebensmut verlassen können. Er ging gestärkt hinaus in seine
Alltagswelt, um dort sein Leben neu zu ordnen und neu zu gestalten.
Mit unseren Verletzungen und Ängsten, mit unseren Zweifeln und
enttäuschten Hoffnungen dürfen wir mit Gottesbegegnungen rechnen,
auch wenn wir davonlaufen. Gottes Wort will uns ermutigen und
stärken, damit wir unsere inneren Fluchten beenden können. Und auch
auf uns wartet der Alltag, der neu gestaltet und geordnet werden
will.
Dazu segne uns Gott!
Amen
Pressekontakt:
Evangelische Kirche in Deutschland
Reinhard Mawick
Herrenhäuser Strasse 12
D-30419 Hannover
Telefon: 0511 - 2796 - 269
E-Mail: reinhard.mawick@ekd.de
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