BERLINER MORGENPOST: Die neue Hertha steht für das neue Berlin - Leitartikel
Geschrieben am 15-05-2011 |
Berlin (ots) - Wenn Emotionen auf Reisen gehen, fühlt sich der
Betrachter dem Ereignis oft so herrlich nah und möchte am liebsten
nur noch mittendrin sein. Da lachten und tanzten also gestern die
Hertha-Spieler im übervollen Olympiastadion, und als sie endlich
diese auf ewig gewöhnungsbedürftige Zweitliga-Meisterschale namens
Felge in den Händen hielten, da hatten sie nichts anderes mehr im
Kopf, als die Trophäe so schnell wie möglich den eigenen Fans in der
Ostkurve zu präsentieren. Nein, zu übergeben. Mannschaft und Fans
gemeinsam mit der Schale - die Botschaft, die Hertha BSC zum
Saisonfinale ins Land schickte, war simpel und doch erfrischend
überzeugend: eine Stadt, ein Team. Hertha hat mit dem eleganten Tanz
durch die Zweite Liga verblüffende Choreografien auf den sonst so
schwer zu bespielenden Berliner Fußballrasen gezaubert. Wo der
Hauptstädter einst seine innige Hassliebe zum blau-weißen Klub
pflegte, das Dauernörgeln fröhlich Urständ feierte, scheint nun auf
der Reise durch die Fußballniederungen ein neues Gefühl seinen Platz
gefunden zu haben. Wir leiden, wir lachen, wir feiern zusammen - und
immer liegt die Betonung auf dem Wir. 784.221 Fans kamen zu 17
Heimpartien ins Stadion. Nicht, um allein Paderborn und Co. verlieren
zu sehen, sondern um die neue Hertha zu stützen. Allein dieser
Zuschauerrekord für die Zweite Liga verrät, welches Potenzial der
größte Berliner Verein in den vergangenen Jahren verschenkt hat.
Hertha BSC hat es nach dem grausamen und völlig verdienten Abstieg im
Jahr 2010 geschafft, sich in der Krise neu zu erfinden und Volkes
Nähe endlich in den Klub zu integrieren. Aber nicht nur die
postulierte Demut und die Abkehr vom größenwahnsinnigen und properen
Hauptstadtklub schafft neue Sympathie. Wir sind arm, aber dennoch
attraktiv - Hertha ist eben ein typisches Stück Berlin. Es gibt nicht
nur faule Millionäre und herzlose Legionäre, die bei Erfolg Embleme
küssen und beim ersten Gegenwind das Weite suchen. Manager Michael
Preetz und Trainer Markus Babbel haben dem Verein und seinem
kickenden Personal eine neue Bodenständigkeit verordnet. Die Mission
Aufstieg konnte nur erfüllt werden, weil das Herz mitspielte, das
Team Charakter zeigte. Ronny, Friend, Raffael, Ebert, Aerts - sie
alle boten Stoff für Skandalgeschichten. Und? Fast geräuschlos und
ohne die dicken Rabaukenschlagzeilen gelang das Comeback. Doch wo
gestern Zweitklassigkeit war, steht sofort die Frage, wie sich der
Verein künftig in der Ersten Liga aufstellen wird. Geld für Transfers
ist nicht vorhanden, es drücken weiter rund 35 Millionen Euro
Schulden. Klar ist, dass Hertha im August als krasser Außenseiter
seine Reise fortsetzen wird. Aber die Mannschaft ist jung und
entwicklungsfähig, es gibt dazu passend eine neue, junge
Fangeneration. Gehört nicht der Jugend die Zukunft? Hier zu erwähnen,
dass der neue Deutsche Meister Dortmund den jüngsten Kader der
Bundesliga hat, soll nicht erneut Ansprüche schüren, die dem alten
Hertha-Größenwahn folgen. Es ist nur als Beleg dafür gemeint, dass
mit jugendlicher Begeisterung, Leidenschaft und Bescheidenheit
manchmal mehr zu erreichen ist als mit dem höchsten Saisonetat.
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
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