Börsen-Zeitung: Relative Stärke, Börsenkommentar "Marktplatz" von Thorsten Kramer
Geschrieben am 17-06-2011 |
Frankfurt (ots) - Die Griechenland-Krise belegt einmal mehr, dass
an den Märkten vor allem Erwartungen gehandelt werden und nicht die -
in diesem Falle dramatische - Realität. Während sich unter dem
Eindruck teils gewaltsamer Proteste in Athen und der darauf
basierenden Spekulationen über einen Rücktritt des Regierungschefs
Giorgos Papandreou die Sorge über den Bankrott des kleinen
EU-Mitglieds in der nun abgelaufenen Woche von Tag zu Tag
vergrößerte, gingen Aktieninvestoren mit dem Thema letztendlich
routiniert um. Am Freitag zogen die wichtigen Indizes wie Dax und
EuroStoxx50 sogar kräftig an, als Signale aus Berlin und Paris
zugunsten der Wiener Initiative für Athen die Hoffnung schürten, dass
die erwartete Einigung auf die notwendige Griechenland-Hilfe nun doch
schneller kommen könnte als gedacht. Eine Umschuldung ist laut
Anlagestrategen ohnehin schon in den Kursen eingepreist.
Vor allem der deutsche Leitindex Dax lieferte damit einen neuen
Beleg für seine relative Stärke. Gegenüber dem Jahresbeginn notiert
der Index immerhin noch rund 4% höher, allein seit dem Quartalsanfang
legte er um 1,9% zu. Der US-Benchmarkindex S&P500 sackte hingegen
seit Anfang April um rund 4% ab. Gemessen am Stand von Jahresbeginn
behauptet er somit gerade mal ein minimales Plus von etwa 1,5%.
Hauptgrund für die Abkoppelung des deutschen Aktienmarktes vom
amerikanischen, die nur selten zu beobachten ist, sind die in den USA
grassierenden Konjunkturängste. Viele Frühindikatoren in den
Vereinigten Staaten fielen zuletzt schwächer als erwartet aus, sodass
nun schon wieder das Gespenst der Rezession an die Wand gemalt wird.
In der Tat deuten etwa die negativen Signale vom Immobilienmarkt und
der sehr schleppende Aufbau neuer Arbeitsplätze darauf hin, dass der
private Konsum, der zwei Drittel der US-Konjunktur trägt, weiterhin
schwächeln wird. Die Industrie profitiert allerdings vom Anstieg der
Ausrüstungsinvestitionen, die Produktivität hat deshalb das
Vorkrisenniveau längst erreicht. Zudem läuft der Export der
US-Unternehmen recht gut, sodass die Konjunktur auch von dieser Seite
Unterstützung erhalten dürfte. Bis sich das in den Frühindikatoren
abbildet, dürfte der US-Aktienmarkt jedoch weiterhin vergeblich um
den Anschluss kämpfen, schließlich gibt die hohe US-Verschuldung
vielen Anlegern zunehmend zu denken. Hinzu kommt, dass nun die zweite
Runde der quantitativen Lockerung der Fed ausläuft und mit einer
dritten Runde, die für einen neuen Liquiditätsschub sorgen würde,
zurzeit nicht zu rechnen ist.
An Europas Aktienmärkten, allen voran am deutschen, überwiegt
hingegen die Zuversicht, dass die Firmengewinne im zweiten Halbjahr
trotz der zurzeit nachlassenden konjunkturellen Dynamik weiter
steigen werden und damit zum attraktiven Umfeld für Aktieninvestments
beitragen. Die Hoffnung lautet, dass dies mit der Berichtssaison zum
zweiten Quartal sichtbar wird und die Notierungen anschließend, aber
spätestens im Herbst aufs Neue anziehen. Ist die Einschätzung
richtig, dass die Konjunktur aktuell lediglich eine typische
Abkühlung zur Mitte eines Zyklus durchläuft, dürften dann auch wieder
verstärkt zyklische Aktien gefragt sein. Zuletzt waren vorrangig
Papiere aus defensiven Sektoren gefragt, was Pessimisten bereits als
Signal für eine anstehende Korrektur auch am deutschen Aktienmarkt
werteten. Die Vielzahl der Stimmen, die von steigenden Notierungen
zum Jahresende sprechen, deutet aber darauf hin, dass auf Käuferseite
genügend Interesse vorhanden ist. Dies hat auch die Kursentwicklung
an den vergangenen Tagen gezeigt, als der Dax spätestens dann einen
neuen Impuls erfuhr, wenn er unter 7000 Zähler zu rutschen drohte.
Die Sorge über die US-Wirtschaft wird zurzeit auch sehr
eindrucksvoll am Ölmarkt deutlich. Am Terminmarkt wuchs der Abstand
zwischen den Preisen für ein Fass US-Leichtöl der Sorte West Texas
Intermediate und für ein Fass der Nordseesorte Brent auf das
Rekordniveau jenseits von 20 Dollar.
Daran hat allerdings auch die Entwicklung in Nahost und Nordafrika
einen bedeutenden Anteil. Durch die anhaltenden Kämpfe in Libyen
fürchten Marktteilnehmer eine unzureichende Versorgung Europas mit
Rohöl hoher Qualität. Der fehlgeschlagene Versuch Saudi-Arabiens, die
Opec-Staaten zu einer Anhebung der Fördermenge zu veranlassen, tat
dabei ein Übriges. Die Entwicklung in Libyen legt den Schluss nah,
dass dieser Konflikt noch länger andauern wird. Damit ist zu
erwarten, dass auch die auffällige Differenz am Ölmarkt Bestand haben
wird.
(Börsen-Zeitung, 18.6.2011)
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