Bain-Studie: Strategische Herausforderung Solvency II / Europäische Versicherer brauchen noch Anlauf zu Solvency II
Geschrieben am 04-07-2011 |
München/Zürich (ots) -
- Exklusive Simulation von Bain & Company und Towers Watson zeigt
Handlungsbedarf in allen europäischen Kernmärkten
- Unterschiedliche Problemfelder in einzelnen Märkten und Sparten
- Aktuell verdienen nur wenige Versicherungssparten ihre
Kapitalkosten
Mit dem neuen EU-Regelwerk Solvency II rückt Kapital als knappe
Ressource in den Mittelpunkt der strategischen Überlegungen aller
europäischen Versicherer. Die Unternehmensberatung Bain & Company
analysierte gemeinsam mit Towers Watson in den vergangenen Monaten
die Auswirkungen von Solvency II auf die wichtigsten Versicherer in
den vier großen EU-Märkten Deutschland, Frankreich, Italien und
Großbritannien für das Leben-, Kranken- und Schaden-/Unfallgeschäft.
Dazu wurde ein einheitliches Modell auf Basis öffentlicher Daten und
gemäß der QIS5-Spezifikationen verwendet. Die Studie "Solvency II -
eine strategische und kulturelle Herausforderung" konzentriert sich
auf zwei entscheidende Kennzahlen: die Solvenzquote und die
risikoadjustierte Profitabilität. Damit bietet die Studie deutlich
mehr Informationen als die im April veröffentlichten Ergebnisse der
Europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA. Die Studie zeigt deutlich: Viele
Unternehmen sind noch unzureichend auf Solvency II vorbereitet, so
dass selbst eine Verschiebung der Einführung auf 2014 für viele
Unternehmen keine Entwarnung bedeutet. Daher steht bei den
Unternehmen in den nächsten Jahren nicht nur die operative
Vorbereitung auf der Agenda, sondern auch die Optimierung und
gegebenenfalls Neuausrichtung ihres Geschäftsmodells.
Lebensversicherer: Schwächen vor allem in Deutschland und
Großbritannien
Die Solvenzquoten insbesondere der deutschen und britischen
Lebensversicherer sind unter Solvency II kritisch: für 25 Prozent der
deutschen und 21 Prozent der britischen Unternehmen führt die
Simulation zu einer Solvenzquote gemäß QIS5 von weniger als 100
Prozent. Die wesentliche Ursache für dieses im europäischen Vergleich
schwache Ergebnis ist der hohe Anteil von Rentenversicherungen mit
langen Laufzeiten in Deutschland und Großbritannien. Jede vierte
deutsche Lebensversicherung ist heute als Rentenversicherung
ausgestaltet, mit deutlich steigender Tendenz; in Frankreich und
Italien sind es weniger als zehn Prozent. Diese langlaufenden,
traditionellen Lebensversicherungen mit einer garantierten Verzinsung
erfordern unter Solvency II eine hohe Kapitaldeckung. Erschwerend
kommt hinzu: Verglichen mit anderen europäischen Ländern ist in
Deutschland die Diskrepanz zwischen den Laufzeiten der
Versicherungsverträge und des angelegten Vermögens besonders hoch;
manches Haus fährt mit Blick auf die deutsche Rechnungslegung nach
HGB nach wie vor kurze Durationen. Zum Vergleich: In Frankreich,
Italien und Großbritannien ist der Duration Mismatch in der Regel
kein Thema, weil die Verbindlichkeiten deutlich kurzfristiger sind
oder bei Sofortrenten durch entsprechende Langläufer gedeckt werden.
Schaden- und Unfallversicherer: Geringe Solvenzquoten in Italien
Ein anderes Bild ergibt sich bei den Schaden- und
Unfallversicherern; hier stehen die deutschen und britischen Häuser
vergleichsweise gut da. Lediglich acht Prozent der simulierten
Versicherer in Großbritannien und kein einziger der untersuchten
deutscher Versicherer hat Solvenzquoten gemäß QIS5 von unter 100
Prozent, obwohl europaweit in dieser Sparte das benötigte Kapital im
Vergleich zu Solvency I um mehr als 200 Prozent steigen wird.
Ganz anders die Lage in Italien: Die Hälfte der italienischen
Sachversicherer weist in der Simulation eine Solvenzquote von weniger
als 100 Prozent aus. Der Grund ist der ungünstige Produktmix: In
Italien ist der Anteil der Kfz-Versicherungen in dieser Sparte mit
rund 50 Prozent erheblich größer als in den anderen europäischen
Märkten. Und die Gesamtkostenquote liegt in diesem hart umkämpften
Versicherungszweig in Italien bei nahezu 110 Prozent der Prämien -
das belastet die Eigenmittel und damit die Solvenz.
Viele Versicherer verdienen ihre Kapitalkosten nicht
Die zweite entscheidende Kennzahl unter Solvency II ist die
erwirtschaftete Rendite auf das eingesetzte Kapital. Hier fällt die
Differenz zwischen den einzelnen Versicherungssparten auf. So gibt es
in der Lebensversicherung erhebliche Unterschiede zwischen
traditionellen und fondsgebundenen Produkten. Während die
traditionellen Produkte im europäischen Durchschnitt eine leicht
negative risikoadjustierte Rentabilität von minus einem Prozent
ausweisen, glänzen die fondsgebundenen mit zum Teil zweistelligen
Renditen. Noch attraktiver ist aus Ertragssicht die
Risikolebensversicherung; im Durchschnitt ergab die Simulation hier
Renditen von 17 Prozent. Wollten sich Lebensversicherer in Zukunft
auf diese beiden Produktgattungen beschränken, würden sie jedoch
deutlich zu kurz denken. Vielmehr sind neue, kapitalschonende aber
dennoch von Banken und Fondsgesellschaften klar abgrenzbare
Garantiekonzepte gefragt.
Bei den Sachversicherern bewahrheitet sich eine landläufige
Meinung: Mit Kfz-Haftpflicht ist kein Geld zu verdienen. Die
risikoadjustierte Rentabilität liegt im europäischen Durchschnitt bei
minus drei Prozent; mit Ausnahme von Großbritannien liegt sie auch
bei der Versicherung von Eigentum und Gebäuden im negativen Bereich.
Mit anderen Versicherungsprodukten wie der Haftpflicht lassen sich
dagegen zumindest in einigen europäischen Märkten durchaus attraktive
Renditen erwirtschaften.
Zeit zu handeln
"Unsere Analyse deckt die zum Teil erheblichen Schwächen der
europäischen Versicherer bei Solvenzquote und risikoadjustierter
Profitabilität unter Solvency II auf", kommentiert Dr. Gunther
Schwarz, Partner bei Bain & Company und Leiter der
Versicherungs-Praxisgruppe für Europa, die Ergebnisse der Studie.
"Bevor das neue EU-Regelwerk eingeführt wird, müssen sich die
Unternehmen intensiv mit ihrer Kapital- und Risikooptimierung
beschäftigen." Doch diese Maßnahmen zur Entlastung des
Solvenzkapitals sind nur ein Teil der Hausaufgaben: "Die Versicherer
müssen ihre Unternehmensstrategie an die neuen Rahmenbedingungen
anpassen, ebenso Organisation und Kultur", so Schwarz. "Das ist eine
Herkulesaufgabe!" Zugleich eröffne dieser Umbruch gerade für kapital-
und ertragsstarke Häuser neue Chancen, so Gunther Schwarz: "Der
gesamte Versicherungsmarkt kommt in Bewegung. Das ist die ideale
Gelegenheit für Branchenführer, ihre Marktposition weiter
auszubauen."
Nach Überzeugung von Frank Schepers, Director bei Towers Watson,
müssen sich die Versicherungen jetzt den neuen strategischen
Herausforderungen stellen: "Es geht bei Solvency II nicht nur um die
Berechnung neuer Kennzahlen. Die neuen Regeln erfordern ein Umdenken
im gesamten Unternehmen und zum Teil völlig neue Prozesse. Im
Reporting wird eine weitgehende Industrialisierung unumgänglich
sein." Schepers warnt davor, solche Arbeiten noch länger
aufzuschieben: "Schon bei mittelgroßen Unternehmen dauert die
Einführung neuer Prozesse angesichts der Komplexität rund zwei Jahre.
Und selbst bei einer Verschiebung auf 2014 ist es ambitioniert, das
Geschäftsmodell in dieser Zeit neu auszurichten."
Begriffserklärungen:
Die Solvenzquote ist eine entscheidende Kennzahl unter Solvency
II. Sie misst, in wie weit das Vermögen einer Versicherung durch
Solvenzkapital gedeckt ist. Unter Solvenzkapital versteht man das
Kapital, das Versicherer vorhalten müssen, um eingegangene Risiken
abzudecken.
QIS5 (Quantitative Impact Study 5) bezeichnet die fünfte
offizielle Auswirkungsstudie der Europäischen Kommission zur
Bestimmung der Solvenzkapitalanforderungen der Versicherer unter
Solvency II vor der endgültigen Einführung des neuen Regelwerks.
Bain & Company ( http://www.bain.de , http://www.joinbain.de )
Strategische Beratung, operative Umsetzung, messbare Ergebnisse:
Mit diesem unternehmerischen Ansatz ist Bain & Company eine der
weltweit führenden Strategieberatungen. Gemeinsam mit seinen Kunden
arbeitet Bain darauf hin, klare Wettbewerbsvorteile zu erreichen und
damit den Unternehmenswert nachhaltig zu steigern. Im Zentrum der
ergebnisorientierten Beratung stehen das Kerngeschäft der Kunden und
Strategien, aus einem starken Kern heraus neue Wachstumsfelder zu
erschließen. Seit Gründung 1973 lässt sich Bain dabei an den
Ergebnissen seiner Beratungsarbeit finanziell messen. Bislang waren
Bain-Berater weltweit für über 4.600 große und mittelständische
Unternehmen tätig. Insgesamt unterhält die Strategieberatung 44 Büros
in 29 Ländern und beschäftigt 5.000 Mitarbeiter, rund 500 davon im
deutschsprachigen Raum.
Towers Watson ( http://www.towerswatson.de )
Als eines der weltweit führenden Beratungsunternehmen unterstützt
Towers Watson Unternehmen bei der Optimierung ihrer Performance durch
effektive Lösungen im Personal-, Finanz- und Risikomanagement. Die
ca. 14.000 Mitarbeiter in allen wichtigen Ländern der Welt beraten
Sie zu allen Aspekten der betrieblichen Altersversorgung, des Talent-
und Vergütungsmanagements sowie des Risiko- und Kapitalmanagements.
Pressekontakt Bain & Company:
Leila Kunstmann-Seik
Karlsplatz 1, 80335 München
Tel: +49 89 5123 1246, E-Mail: leila.kunstmann@bain.com
Pressekontakt Tower Watson:
Corinna Bause, VOCATO Public Relations
Tel: +49 2234 6019 819, E-Mail: cbause@vocato.com
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