Börsen-Zeitung: Fünf nach zwölf, Kommentar von Detlef Fechtner zum bevorstehenden Euro-Sondergipfel
Geschrieben am 19-07-2011 |
Frankfurt (ots) - In Brüssel gibt es optimistische und
pessimistische Wetten auf den morgigen Euro-Sondergipfel. So rechnen
einige damit, dass sich die Beratungen lange hinziehen, ein
Befreiungsschlag trotzdem nicht gelingt und sich die Regierungschefs
gerade mal auf ein paar interpretationsbedürftige Eckpunkte eines
Griechenland-II-Pakets verständigen. So weit die Optimisten.
Wenn es gestern noch eines Beweises bedurft hätte, dass sich
Europa in eine unglaublich vertrackte Lage hineinmanövriert hat, so
lieferte ihn Kanzlerin Angela Merkel. Sie dämpfte die Erwartungen an
den Sondergipfel und appellierte an die Geduld. Das muss als
Eingeständnis verstanden werden, dass in den Vorgesprächen noch immer
keine Annäherung gelungen ist.
Längst geht es nicht mehr um neue, gute Ideen. Denn alles, was
denkbar ist, ist bereits durchdacht worden. Gegen jeden Vorschlag
gibt es eine Reihe von Einwänden und eine Gruppe von Gegnern - mal
die Europäische Zentralbank, die partout nicht mitspielen möchte, mal
die Triple-A-Länder, die nicht mehr bereit sind, ohne private
Beteiligung neue Schecks zu schreiben, und mal die
Euro-Krisenstaaten, die endlich eine Lösung mit geringer
Erschütterungsdynamik fordern.
Häufig ist zu lesen, Italien und Spanien fürchteten die
Ansteckungsgefahr. Das ist Schönfärberei. Italien und Spanien haben
sich längst infiziert. Ihre Ausleihsätze von mehr als 6% werden die
Länder langfristig überfordern. Eine Beruhigung der Situation am
Anleihemarkt ist für sie dringlich. Insofern ist es nicht fünf vor
zwölf, sondern bereits fünf nach. Es geht nicht mehr darum, die
Schuldenkrise abzuwenden, sondern darum, ihre Auswirkungen zu
dämpfen. Und zwar indem sich bei den Verhandlungen jemand bewegt.
Im Vorblick auf den Sondergipfel bedeutet das, dass eine Vertagung
der Probleme unter Umständen Verwerfungen auslöst, die es
anschließend gar nicht mehr erlauben, an dieser Vertagung
festzuhalten - sondern bereits am Freitag oder am Wochenende zu
Folgesitzungen zwingen. Was zunächst paradox klingt, heißt nichts
anderes, als dass es überhaupt kein risikoloses Szenario mehr gibt.
Für die Regierungschefs ist die Situation hochgefährlich, selbst und
gerade wenn sie noch länger abwarten. Leider ist es bislang nicht
einmal gelungen, dem normalen Gang diplomatischer Verhandlungen
folgend die Zahl der Lösungsvarianten zu verringern. Ganz im
Gegenteil: Auf dem Tisch liegen noch mehr Optionen als vor zwei
Wochen.
In der Diskussion gibt es zwei radikale Positionen, die aber beide
wenig Aussicht auf Erfolg haben, zumindest bis auf Weiteres noch
nicht: einerseits der Austritt Griechenlands aus der Eurozone,
andererseits der jähe Übergang zu einer gemeinschaftlichen
Schuldenfinanzierung über Euroland-Bonds. Über beide Optionen wird
bislang mehr von Volkswirten und Oppositionspolitikern debattiert als
von Ministern und Beamten.
Die Hauptakteure befassen sich derweil mit verschiedensten
Kombinationen immer gleicher Bausteine: Laufzeitverlängerungen,
Bankenabgaben, Rückkaufprogramme - flankiert von großvolumigen
Finanzspritzen des Euro-Schirms. Bei aller Verwirrung, die sich durch
die ständig neuen Kombinationen ergibt, ist die Auswahl dabei
letztlich recht übersichtlich.
Entweder erstens: Die Staaten würden die Zeche erneut allein mit
Steuerzahlergeld begleichen - eine Variante, die Deutschland,
Finnland, die Niederlande und Österreich in Regierungskrisen stürzen
und nebenbei das eigene Rechtsgefühl korrumpieren würde.
Oder zweitens: Europa beteiligte die Privaten, täte aber alles, um
einen Zahlungsausfall zu vermeiden, etwa in Form einer Bankenabgabe
zur Finanzierung von Teilen des Hilfspakets oder mit dem Vertrauen in
freiwillige Verlängerungen des Kreditengagements privater Gläubiger.
Der Nachteil wäre, dass die Kosten des Hilfsprogramms weitgehend an
den Steuerzahlern hängen blieben und das Aufkommen einer Bankenabgabe
sehr begrenzt sein dürfte - worunter letztlich die Überzeugungskraft
des Pakets am Finanzmarkt leiden würde. Denn die Tragfähigkeit der
griechischen Schulden würde damit nicht wirklich vergrößert, das
Vertrauen in das Land kaum gestärkt.
Bliebe drittens ein Programm, das die privaten Gläubiger stärker
zur Kasse bäte - sei es über ein Roll-over der Laufzeiten, sei es
über einen Rückkauf mit Abschlägen oder über den von Martin Blessing
vorgeschlagenen Tausch in abgesicherte Papiere - mit weniger Zins,
langer Laufzeit, niedrigerem Nennwert.
Gewiss, eine Kombination aus diesen Varianten würde die Gefahr in
sich bergen, über den mindestens vorübergehenden Zahlungsausfall eine
Kettenreaktion auszulösen. Gerade deswegen wäre es notwendig, ein
solches Paket durch zusätzliche Päckchen zu ergänzen - etwa zur
Überbrückungsfinanzierung für griechische Banken oder zypriotische
Kreditnehmer.
Die dafür nötige Aufstockung des Griechenland-II-Pakets dürfte den
Politikern zu Hause Kritik einbringen - sogar aus eigenen Reihen. Sie
müssten den politischen Mut aufbringen, diese Widerstände zu ertragen
- leider ohne Garantie, dass damit die Märkte beruhigt und die
Probleme gelöst würden. Aber immerhin böte dieses Vorgehen die
Chance, wieder eine Schneise zu Spanien und Italien zu schlagen und
die Krise über den Sommer abzufedern - und diese Währungsgemeinschaft
doch noch vor dem Zerfall zu retten.
(Börsen-Zeitung, 20.7.2011)
Pressekontakt:
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Telefon: 069--2732-0
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