Westfalen-Blatt: Vorabbericht: Ursache für Entgleisung von zwei Güterzügen in Westfalen ist Pfusch am Bau. Gleisanlagen waren fehlerhaft. Verdacht der Schlamperei auch in drei weiteren Fällen.
Geschrieben am 28-07-2011 |
Bielefeld (ots) - Pfusch am Bau ist die Ursache für zwei
Güterzugunfälle, die sich in Nordrhein-Westfalen, am 5. Januar 2010
in Neubeckum und einen Tag später, am 6. Januar, in Porta
Westfalica-Vennebeck, ereignet haben. Das berichtet das Bielefelder
Westfalen-Blatt (Freitags-Ausgabe) unter Berufung auf die
Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle (EUB) in Bonn. Durch die Unfälle
war es auf der Hauptstrecke Ruhrgebiet - Berlin mehrere Tage lang zu
erheblichen Verzögerungen gekommen. Zudem entstand Sachschaden in
Millionenhöhe.
Nach Angaben der Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle habe in
beiden Fällen eine fehlerhafte Schienenanlage zum Entgleisen der
Güterzüge geführt, schreibt die Zeitung. Mängel an den Zügen seien
nicht festgestellt worden, sagte EUB-Sprecher Moritz Huckebrink dem
Westfalen-Blatt. Die Schienen hätten sich durch Mängel beim Unterbau
verschoben. Die Gleise in Neubeckum waren erst 2008 erneuert worden.
Im Fall Vennebeck könne zudem ein Zusammenhang mit einer neuen Brücke
oder mit früheren Gleisbauarbeiten nicht ausgeschlossen werden. Hier
soll es zu unzulässigen Schweißarbeiten bei bis zu minus 18 Grad
gekommen sein. Die Arbeiten sollten noch nachgebessert werden, da
sich bei Plustemperaturen die Schienen verschieben können. Die
Verantwortlichen für den Pfusch am Bau werden derzeit von der
Bundespolizei ermittelt, berichtet das Westfalen-Blatt. Insgesamt
gebe es in NRW sieben Ermittlungsverfahren nach Bahnunfällen, sagte
der Sprecher der Bundespolizeidirektion St. Augustin, Thomas Rach der
Zeitung. Derzeit warte man auf weitere Gutachten.
Nach dem Zeitungsbericht wird bei insgesamt fünf Güterzugunfällen
mit Sachschäden von mehr als zehn Millionen Euro vermutet, dass ein
maroder Unterbau zu den sogenannten Gleislagefehlern geführt hat.
Außer in Vennebeck und Neubeckum sind dies Unglücke in Wuppertal (20.
Januar 2010), Mönchengladbach-Rheydt (26. Mai 2010) und Hilden (3.
August 2010). Es besteht der Verdacht, dass es bei Gleisbauarbeiten
zu Verstößen gegen Dienstvorschriften gekommen sein könnte. Maroder
Untergrund soll aus Kostengründen nicht verdichtet worden sein. Dies
soll nach dem Zeitungsbericht zumindest in den Fällen Vennebeck und
Neubeckum durch Gutachten und geologische Untersuchungen festgestellt
worden sein. Der Fahrgastverband Pro Bahn hat unterdessen seine
Kritik erneuert, dass die Deutsche Bahn (DB) nicht genug Geld in das
Schienennetz investiert und es »seit Jahren verrotten lässt«,
schreibt das Westfalen-Blatt.
Vor allem in der Ära von Bahnchef Hartmut Mehdorn (Dezember 1999
bis 30. April 2009) sei beim Schienennetz auf Kosten der Sicherheit
gespart worden, sagte der Vorsitzende des Fahrgastverbandes, Karl
Peter Naumann, der Zeitung. Es sei nicht verwunderlich, wenn Experten
bundesweit von möglichen 2000 Gefahrenstellen im Schienennetz
ausgingen. Diese Stellen müssen aus Sicherheitsgründen sofort saniert
werden. Die Bahn investiere jedes Jahr eine Milliarde Euro zu wenig
in das Schienennetz. Ein maroder Unterbau bei Gleisanlagen sei zudem
problematisch, da die Güterzuglasten immer schwerer würden. Der Bund
als hundertprozentiger Eigentümer der Bahn müsse größeren Einfluss
auf die Strukturpolitik des Unternehmens nehmen, sagte Naumann.
Die Bahn selbst wollte sich zu den Untersuchungsberichten zu den
Güterzugunfällen in Neubeckum (Kreis Warendorf) und Porta
Westfalica-Vennebeck (Kreis Minden-Lübbecke) im Hinblick auf die
laufenden Ermittlungen der Bundespolizei nicht äußern. Wenn sich aus
den Berichten Handlungsbedarf ergebe, werde die Bahn dem
selbstverständlich nachkommen, sagte ein Konzernsprecher dem
Westfalen-Blatt. Derzeit investiere die Bahn Jahr für Jahr 4,2
Milliarden Euro in den Erhalt und die Modernisierung der bestehenden
Schieneninfrastruktur.
Bei dem Unfall in Vennebeck am 6. Januar 2010 war ein Güterzug mit
20 leeren Kohlewaggons entgleist. Vier Waggons sprangen aus den
Schienen. Tags zuvor, am 5. Januar, war ein Güterzug bei Neubeckum
entgleist. In Wuppertal-Unterbarmen entgleiste am 20. Januar 2010 ein
mit Kohlenstaub beladener Güterzug. Am Ende des Zuges rissen sieben
Waggons ab, die 50 Meter entfernt neben die Gleise in den Schotter
rutschten. Auch ein Nachbargleis, auf dem S- und Regionalbahnen
verkehrten, musste wegen Schäden gesperrt werden.
Auch in diesem Fall besteht der Verdacht, dass der Untergrund der
Gleisanlagen marode war. Nach Angaben der
Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle (EUB) in Bonn sei das Gleis zum
Zeitpunkt des Unfalls eigentlich wegen defekter Holzschwellen
gesperrt gewesen. Durch fehlerhafte Informationen zwischen Baudienst
und Betriebsdienst sei der Güterzug aber auf das gesperrte Gleis
geleitet worden.
Außerdem hatte sich im Januar 2010 noch ein Güterzugunfall in
Niedersachsen ereignet. Am 28. Januar entgleiste nahe des Dorfes
Schandelah ein mit Autoteilen beladener Zug, der sich auf der Fahrt
von Magdeburg nach Braunschweig befand. Die im Ost-West-Verkehr
wichtige Bahnstrecke wurde komplett gesperrt und zahlreiche
Intercity-Züge mussten umgeleitet werden. Die Untersuchungen in
diesem Fall seien noch nicht abgeschlossen, sagte EUB-Sprecher Moritz
Huckebrink. Gesicherte Erkenntnisse zur Unfallursache lägen daher
nicht vor.
Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261
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