Mittelbayerische Zeitung: Probleme nicht vertagen
Geschrieben am 29-07-2011 |
Regensburg (ots) - Wenn es um soziale Belange geht, werden selten
schnelle und umfassende politische Entscheidungen getroffen, die
langfristigen Entwicklungen Rechnung tragen. Anstatt Missstände bei
der Wurzel zu packen, wird das Thema vertagt oder nur das Symptom
bekämpft, und das natürlich möglichst kostengünstig. Meist, indem
Risiken privatisiert werden. Das aber verstärkt die soziale
Schieflage, die in Deutschland ohnehin besteht. Jüngstes Beispiel ist
das von Ex-Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) ausgerufene "Jahr
der Pflege 2011". Seit sechs Monaten finden in unregelmäßigen
Abständen sogenannte "Pflegegipfel" statt, bei denen sich der
Gesundheitsminister mit Verbänden, Experten und - besonders beliebt -
mit Betroffenen ablichten lässt und sich mehr oder weniger ausgiebig
deren Anliegen anhört. Um danach mitzuteilen, dass durchaus
vernünftige Vorschläge präsentiert worden seien, man allerdings nicht
alles, was wünschbar ist, am Ende auch ermöglichen könne. Reiner
Aktionismus also? Gehen am Ende die pflegenden Angehörigen und
Dementen, auf die der Gesundheitsminister einen Schwerpunkt legen
wollte, doch leer aus? Gibt es eine Idee, wie die Pflege in Zukunft
finanziert werden soll? Skepsis ist zumindest angebracht. Denn immer
dann, wenn die Politik einen "Dialog" führt, ein Aktionsjahr ausruft
oder eine Kommission einrichtet, werden seit Jahren bekannte Fakten
eruiert und Lösungen gesucht, über die sich Spezialisten längst einig
sind. Echte Reformen lassen aber auf sich warten. Grund: Leider nicht
finanzierbar. So hat Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) die
Präsentation der Eckpunkte für die Pflegereform vorsorglich schon mal
auf September verschoben. Ein kleiner Vorgeschmack: Sicher ist, dass
der Staat allzu viel nicht investieren will. Das sollen Arbeitnehmer
und Rentner tun. In Zukunft soll jeder verpflichtet werden, privat
für den Fall einer Pflegebedürftigkeit vorzusorgen. Darüber freut
sich die private Versicherungswirtschaft - und der Staat ist fein
raus. Doch Geringverdiener und viele Rentner dürften große Probleme
haben, von dem Wenigen, was sie haben, auch noch etwas abzuzwacken.
Apropos Geringverdiener: Nach der Sommerpause startet die
Bundesregierung einen "Regierungsdialog Rente", den Experten wie der
Armutsforscher Dr. Christoph Butterwegge jetzt schon als
Showveranstaltung bezeichnen. Dieser Vorwurf ist nicht ganz von der
Hand zu weisen. Denn auch hier liegen die Fakten längst auf dem
Tisch. Auch hier muss die Politik umgehend handeln - bevor sich die
Altersarmut weiter ausbreitet. Seit vielen Jahren warnen Demografen,
dass die Überalterung der Gesellschaft früher oder später das
Rentensystem überfordern wird. Vor allem die Kommunen, die immer mehr
Rentnern Grundsicherung im Alter auszahlen, spüren, wie es um die
finanzielle Situation vieler Ruheständler bestellt ist, dass die Zahl
armer Senioren immer stärker steigt. Dass Massenarbeitslosigkeit
sowie die Ausbreitung des Niedriglohnsektors zu gravierender
Altersarmut führen, dürfte ebenfalls ein schnell zu durchblickender
Zusammenhang sein. Doch die Rentenbeiträge für Langzeitarbeitslose
wurden gestrichen - und ein gesetzlicher Mindestlohn steht für
Schwarz-Gelb natürlich keinesfalls zur Debatte. Wir brauchen eine
Politik, deren Haltbarkeitsdatum über die nächste Legislaturperiode
hinaus geht und Entwicklungen antizipiert. Dafür müssen Tabus fallen,
ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt und die Einnahmenbasis des
Sozialversicherungssystems verbreitert werden, z. B. durch die
Miteinbeziehung von Beamten und Gutverdienern oder einen
Risikostrukturausgleich zwischen privaten und gesetzlichen
Versicherungen. Echte Lösungen sollten Inhalt diverser
Regierungsdialoge, Aktionsjahre und Kommissionen sein, und nicht
reiner Aktionismus.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
344936
weitere Artikel:
- BERLINER MORGENPOST: Kein demokratisches
Lehrstück in Stuttgart
Jochim Stoltenberg zum Schlichtungsverfahren und Stresstest des neuen Bahnhofs Berlin (ots) - Das hat es in Deutschland noch nie gegeben: Ein
örtliches Bahnhofsprojekt spaltet ein ganzes Land.
Stuttgart21 mit dem dicken roten Strich ist zum Synonym für
das Aufbegehren von Bürgern gegen den Bau von Großprojekten geworden.
Erst in Schwaben, dann in Berlin gegen die Flugrouten und in München
gegen eine dritte Start- und Landebahn. Als sich Befürworter und
Gegner über Sinn und Unsinn der Verlegung des Stuttgarter
Kopfbahnhofs unter die Erde hoffnungslos bis hin zu Gewaltausbrüchen
zerstritten hatten, fiel mehr...
- Neue Westfälische (Bielefeld): Komentar
Kein Ende bei Stuttgart 21
Eine Glaubensfrage
ALEXANDRA JACOBSON, BERLIN Bielefeld (ots) - Dem Dauerbrenner Stuttgart 21 geht die Luft
nicht aus. Die Bahn hat zugestimmt, den Stresstest zum Teil zu
wiederholen. Offenbar soll dem Tiefbahnhof in Stuttgart zu einer
Präzision verholfen werden, die Zugverspätungen ausschließt. Das wäre
in Deutschland dann einmalig. Doch auch das wird wohl nichts nützen,
denn die Gegner des Tiefbahnhofs lassen sich nicht überzeugen. Trotz
neun Schlichtungsrunden und unzähliger Veranstaltungen ist die Frage
von Stuttgart 21 zu einer Art Glaubenskrieg ausgeartet. Argumente
zählen mehr...
- Neue OZ: Kommentar zu S 21 Osnabrück (ots) - Ein bisschen für jeden
Als Heiner Geißler noch CDU-Generalsekretär war, legte er sich
gern an. Mit der Opposition sowieso - aber auch seinem Parteichef
Helmut Kohl biss er häufig und kräftig in die Wade. Politisch blutige
Szenarien fürchtete Geißler nie.
Seit S 21 schlägt der inzwischen 81-Jährige leisere Töne an. Zwar
energisch, aber immer voller Diplomatie stellte er sich als
Schlichter zwischen die Fronten. Eine Einigung gab es dabei nicht. Zu
gegensätzlich waren die Vorstellungen von Gegnern und Befürwortern. mehr...
- Neue OZ: Kommentar zu Norwegen Osnabrück (ots) - Die Menschen hinter der Opferzahl
Nach dem hilflosen Entsetzen der ersten Tage und den
Demonstrationen von Solidarität im ganzen Land hat für die Norweger
gestern eine neue Phase der Bewältigung ihres Traumas begonnen: Das
Land lernt die Opfer der Anschläge kennen. Die Polizei hat die noch
fehlenden Namen der Getöteten öffentlich gemacht - und so lange haben
die Medien gewartet.
Jetzt aber erzählen sie alle gleichzeitig: wer die Verstorbenen
waren, wofür sie sich engagiert haben in ihrem jungen Leben, welche mehr...
- Neue OZ: Kommentar zu Libyen / General Osnabrück (ots) - Höchstmaß an Misstrauen
Der dubiose Tod des Generals nährt die Zweifel an der
Zuverlässigkeit der libyschen Rebellen. Waren es Gaddafi-Schergen,
die den Ex-Innenminister erschossen haben? Oder wurde er doch von den
eigenen Leuten in einen Hinterhalt gelockt? Allein die Tatsache, dass
sich diese Frage nicht zweifelsfrei beantworten lässt, zeigt: Dem
libyschen Übergangsrat muss mit großer Skepsis begegnet werden.
Die Rebellenarmee ist eine reine Chaostruppe aus 40 Milizen, die
allesamt eigene Ziele verfolgen mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|