Mittelbayerische Zeitung: Zur Familienpolitik: Deutschland nimmt für Kinder viel Geld in die Hand, doch das allein reicht nicht.
Geschrieben am 03-08-2011 |
Regensburg (ots) - Was ist schon die Armut in Deutschland,
angesichts des stummen Sterbens der Kinder in Somalia? Natürlich geht
es bei uns nur um die sogenannte relative Armut. In Deutschland muss
kein Kind verhungern, jedes Kind kann eine Schule besuchen, und
gebrauchte Kleidung, die den Träger nicht sofort als
Hartz-IV-Empfänger brandmarkt, gibt es schon für ein paar Euro auf
dem Second-Hand-Basar. Armut im reichen Deutschland ist versteckter.
Und doch bedeutet sie Ausgrenzung und Isolation von Anfang an. Die
gestern vorgelegte Statistik zur Lebenssituation von Kindern und
Jugendlichen ist das Armutszeugnis einer Gesellschaft, die ihren
tragenden Mittelbau verliert, und einer Politik, die lieber zahlt,
als neue Wege zu gehen. Dass in Deutschland jedes sechste Kind in -
relativer - Armut lebt, ist keine aufrüttelnde Neuigkeit. Die Zahlen
werden jährlich vorgelegt und sagen uns seit Jahrzehnten, dass etwas
falsch läuft. Trotzdem hat sich an der Ausgabenpolitik des Bundes
nichts geändert. Seit Jahren fließen in der Bundesrepublik annähernd
drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Ausgaben für Kinder und
Familien. Kein schlechter Wert im europaweiten Vergleich. Doch das
Ergebnis dieses Aufwands ist miserabel. Bei ähnlichen Leistungen
familienpolitisch weit erfolgreicher sind Länder wie Frankreich,
Dänemark, Großbritannien und Schweden. Dort wird wesentlich mehr in
Dienstleistungen wie Krippen und Kindergärten gesteckt, statt in
reine Geldleistungen. Vielleicht sollten die Politiker doch noch
einmal ganz genau hinschauen, was etwa die Franzosen besser machen,
die nicht ohne Grund eine deutlich höhere Geburtenrate haben. Eine
Spitzenposition hält Deutschland lediglich bei den Familienleistungen
in Form von Steuererleichterungen. Da gerade Alleinerziehende ein
besonderes Armutsrisiko tragen, könnte die Politik hier ein
deutliches Signal setzen, dass sie sich nicht nur solche Kinder, die
in vermeintlich "geordneten" Verhältnissen aufwachsen, etwas kosten
lässt. Eine Abschaffung des Ehegattensplittings, von dem ja auch
kinderlose Paare profitieren, brächte dem Bund nach Berechnung des
Deutschen Kinderschutzbunds mindestens sieben Milliarden Euro
Mehreinnahmen. Der Aufschrei wäre groß, doch die Kinderlobbyisten
sagen zu Recht: Angesichts der Kinderarmutszahlen darf es keine Tabus
geben. Ein Tabu sollten vielmehr gut gemeinte, aber bürokratisch
aufgeblähte und wirklichkeitsfremde Aktionen wie das Bildungspaket
sein. Vor dem Mini-Zuschuss für Klavierstunden und Fußballtraining
steht ein typisch deutsches Antragsverfahren. Und schlimmstenfalls
erhält das Kind dann einen Gutschein, den es in der Musikschule oder
dem Sportverein abgeben kann. Das ist stigmatisierend. Fehlte nur
noch, dass "arm" und "Hartz-IV" gleich mit aufgedruckt sind. Arm und
reich, das sind die Begriffe, die unsere Gesellschaft in den
kommenden Jahren noch deutlicher prägen werden. Über zehn Prozent der
Bevölkerung bewahren nur Transferleistungen wie das Kindergeld vor
dem Absturz in die Armut. Die Zahl derer, denen der Staat unter die
Arme greifen muss, weil ihr Lohn unter der Grundsicherung bleibt, ist
in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Wer wirksam gegen
Kinderarmut vorgehen will, muss also auch etwas gegen prekäre
Beschäftigungsverhältnisse der Väter und Mütter tun, etwa durch die
Einführung von Mindestlöhnen. Kinder sind in mehr als einer Hinsicht
die Zukunft des Landes. Die Wirtschaft braucht motivierte,
qualifizierte Fachkräfte, die sich gewiss nicht aus einem
"abgehängten Prekariat" rekrutieren lassen. Denn diese Kinder sind -
neben den schlechten materiellen Verhältnissen - vor allem arm an
Bildung, an Zuversicht und an Selbstwertgefühl.
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Mittelbayerische Zeitung
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