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BERLINER MORGENPOST: Kollektive Momente befreiten Lachens - Leitartikel

Geschrieben am 23-08-2011

Berlin (ots) - Wer wirklich etwas bedeutet in diesem Land, der
schafft es zu Weihnachten ins deutsche Wohnzimmer. Der
Bundespräsident zum Beispiel. Oder Loriot. Die Hoppenstedts ("Ein
Klavier, ein Klavier") heitern zuverlässig auch die tristeste
Familienrunde auf, so wie die Nudel ("Hildegard ..."), das
Quietsche-Entchen ("Herr Müller-Lüdenscheid ...") und Meredith
Hesketh-Fortescue (aus Nether Addlethorpe). Je mehr Comedians die
Bühnen bevölkerten, desto einzigartiger wurde Vicco von Bülow. Mochte
Mario Barth das Olympiastadion füllen - nicht einer seiner Gags wird
es bis in unser Gedächtnis schaffen, dorthin, wo Loriot bei fast
allen von uns siedelt; Bausteine unserer Kultur, auf die wir wegen
ihrer sentimentalen Leichtigkeit, wegen der großzügigen Gelassenheit,
wegen ihrer heiteren Verzweiflung am Dasein gar nicht stolz genug
sein können. Ob Heinz Erhardt, Otto Waalkes oder Bulli Herbig - nur
Vicco von Bülow hat Generationen von Deutschen geprägt, wie es sonst
allenfalls der Fußball schafft. Er hat uns Gemeinsamkeit geschenkt:
kollektive Momente befreiten Lachens. Loriot war kein einfacher
Spaßmacher, sondern ein umfassend gebildeter Herr, der zeichnen
konnte, reimen, schauspielern, musizieren, dirigieren, der
einzigartige Reden hielt und sich dezent kleidete. Loriot zeigte
wahre Größe, denn seine Späße gingen auf eigene Kosten. Ob er
Menschen mit Hund veräppelte, Adelige oder Schrankwand-Bürger - immer
war er sein Protagonist, sein eigenes Opfer. Bernhard Victor
Christoph Carl von Bülow war unser nationales Bollwerk, wenn die
Briten mal wieder kamen, um uns Humorlosigkeit vorzuwerfen. Der
Spross einer preußischen Offiziersfamilie erreichte alle
Generationen, alle Schichten, er spielte so hingebungsvoll mit unser
aller Spießigkeit, dass wir Deutsche uns zeitweilig gar nicht mehr so
schlimm fanden, wie alle sagten. Klar, dass der Mann aus Brandenburg
an der Havel stets Ost wie West im Blick hatte und auf beiden Seiten
der Mauer funktionierte. Loriots Bedeutung allerdings reicht weit
über die Humorebene hinaus. In jedem seiner Gags wurde spürbar, dass
dieser Mann mehr vom Leben wissen musste. Er hat 1941 Notabitur
gemacht, war Oberleutnant im Russland-Feldzug, schlug sich als
Holzfäller durch, fand erst spät zur Kunst. Seine Erfahrungen
geronnen weder zu Besserwisserei noch Grummelei wie oft bei älteren
Herrschaften, sondern äußerten sich in bescheidener Zurückhaltung.
Vicco von Bülow setzte auch bei seinen Auftritten in der
Öffentlichkeit Maßstäbe. Er gehörte nicht zum Talk-Ensemble des
deutschen Fernsehens, er überlegte genau, wo er sich überhaupt
blicken ließ. Statt schneller Kasse beließ er es bei zwei Kinofilmen
und etwa 100 TV-Sketchen. Wer würde sich so viele scheinbare Chancen
heute entgehen lassen? Dafür zitierte er Thomas Mann und Voltaire auf
der Bühne, die ihm vermutlich deutlich näher waren als Dicki
Hoppenstedt. Mit Vicco von Bülow geht ein Charakter, von dem dieses
Land ein paar mehr brauchte. Aber Loriot war einzigartig.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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