Keine Opferfotos
Amoklauf in Oslo: Presserat betont Persönlichkeitsrechte
Geschrieben am 16-09-2011 |
Berlin (ots) - Der Deutsche Presserat tagte vom 13. bis 15.09.2011
in Berlin und sprach insgesamt vier Rügen aus.
Amoklauf in Oslo
Insgesamt 16 Beschwerden lagen dem Presserat zur Berichterstattung
über den Bombenanschlag in Oslo sowie den Amoklauf auf Utoya vor.
Mehrere Beschwerden waren bereits im Vorverfahren als offensichtlich
unbegründet abgelehnt worden. In anderen Fällen mussten die
Ausschüsse entscheiden.
Der Presserat kritisierte zwei Veröffentlichungen, in denen eine
Vielzahl von Opfern mit Bild und vollem Namen dargestellt wurde und
sprach jeweils einen Hinweis aus. Das Gremium diskutierte bei der
ethischen Bewertung intensiv die Frage, ob es nach einer derart
außergewöhnlichen Tat gerechtfertigt ist, die Opfer zu zeigen. Viele
Medien hatten die Fotos veröffentlicht, weil die Redaktionen den
Opfern "ein Gesicht geben" wollten, um den Lesern das Ausmaß dieses
schrecklichen Verbrechens begreifbarer zu machen. Diese Intention
stößt sich allerdings mit dem Persönlichkeitsrecht der Opfer. Nur
weil Menschen zufällig Opfer eines schrecklichen Verbrechens werden,
rechtfertigt dies nicht automatisch eine identifizierende
Berichterstattung über ihre Person. Bei der Abwägung gelangte das
Gremium zu dem Ergebnis, dass das Persönlichkeitsrecht der Opfer im
konkreten Fall ein mögliches Informationsinteresse der Leser
überlagert. Die durch die Fotos entstehende Emotionalisierung ist
lediglich eine erweiterte Information, die vom ethischen Standpunkt
her zum sachlichen Verständnis des Amoklaufs so nicht erforderlich
war.
Eine nicht-öffentliche Rüge erhielten BILD und BILD-Online für die
Veröffentlichung eines Fotos, auf dem neben dem Attentäter selbst
auch dessen Mutter so wie eine Freundin abgebildet waren. Nach Ziffer
8 sind die Persönlichkeitsrechte von nicht Beteiligten zu schützen.
Die Richtlinie 8.1 erläutert im Absatz 3:
Bei Familienangehörigen und sonstigen durch die Veröffentlichung
mittelbar Betroffenen, die mit dem Unglücksfall oder der Straftat
nichts zu tun haben, sind Namensnennung und Abbildung grundsätzlich
unzulässig.
Kein Journalismus
Die Zeitschrift LEA erhielt eine öffentliche Rüge, weil sie einen
frei erfundenen Text als journalistisch-redaktionellen Beitrag zu
einem medizinischen Thema veröffentlicht hatte. Die Zeitschrift
teilte dem Presserat aufgrund einer Leserbeschwerde zwar mit, dass
man sich von der Autorin, einer freien Mitarbeiterin, getrennt habe.
Die Redaktion unterließ es jedoch, die Leserschaft über die grobe
Irreführung zu unterrichten. Veröffentlichungen dieser Art schädigen
das Ansehen der Presse, urteilte der Presserat. Leserinnen und Leser
haben einen Anspruch darauf, über erkannte redaktionelle
Fehlleistungen unterrichtet zu werden.
Persönlichkeitsrechte von Opfern
Eine nicht-öffentliche Rüge sprach der Ausschuss gegen BILD aus.
Die Boulevardzeitung hatte in der Regionalausgabe Berlin/Brandenburg
das Foto eines jungen Mädchens veröffentlicht, das vor zwei Jahren
bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Das Foto erschien zu
einem Beitrag über den damaligen Freund des Mädchens, der Anfang
dieses Jahres ebenfalls bei einem tragischen Unglück zu Tode kam. Der
Ausschuss erkannte in der Veröffentlichung des Bildes, das ohne
Einverständnis der Hinterbliebenen erfolgte, einen schweren Verstoß
gegen die Persönlichkeitsrechte nach Ziffer 8, Richtlinie 8.1 des
Pressekodex.
(1) Bei der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten,
Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (s. auch Ziffer 13 des
Pressekodex) veröffentlicht die Presse in der Regel keine
Informationen in Wort und Bild, die eine Identifizierung von Opfern
und Tätern ermöglichen würden. Mit Rücksicht auf ihre Zukunft
genießen Kinder und Jugendliche einen besonderen Schutz. Immer ist
zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem
Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen. Sensationsbedürfnisse
allein können ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht
begründen.
Trennungsgebot
Keinen Servicecharakter - sondern mangelnde journalistische
Distanz und einen Verstoß gegen die in Ziffer 7 festgehaltene klare
Trennung von Redaktion und Werbung - erkannte der Ausschuss im Fall
des MÜNCHNER MERKUR. Die Zeitung hatte in ihrer Online-Ausgabe über
die Wiedereröffnung einer bekannten Einkaufspassage berichtet und
dabei detailliert die einzelnen Geschäfte, ihre Angebote und Preise
genannt. Für den Ausschuss gingen diese Beschreibungen verbunden mit
der werblichen Sprache ("Gaumenfreuden", "Wohlfühlessen") über ein
öffentliches Interesse hinaus. Damit wurde die Grenze zur
Schleichwerbung nach Ziffer 7, Richtlinie 7.1 überschritten.
Richtlinie 7.1 - Trennung von redaktionellem Text und Anzeigen
Bezahlte Veröffentlichungen müssen so gestaltet sein, dass sie als
Werbung für den Leser erkennbar sind. Die Abgrenzung vom
redaktionellen Teil kann durch Kennzeichnung und/oder Gestaltung
erfolgen. Im Übrigen gelten die werberechtlichen Regelungen.
Statistik
Insgesamt wurden in den drei Beschwerdeausschüssen 84 Beschwerden
behandelt. Neben den zwei öffentlichen und zwei nicht-öffentlichen
Rügen gab es 16 Missbilligungen und 18 Hinweise. In 37 Fällen wurden
die Beschwerden als unbegründet erachtet. In sieben Fällen wurde die
Beschwerde als begründet angesehen, auf eine Maßnahme wurde jedoch
verzichtet. In einem Fall gab es mehrere Beschwerdeführer gegen eine
Publikation, die Maßnahme wird hier jedoch nur einmal gezählt.
Ansprechpartner für die Presse: Edda Kremer und Ella Wassink, Tel.
030-367007-0
Pressekontakt:
Deutscher Presserat
Telefon: 030-367 00 7-0
Fax: 030-367 00 7-20
E-Mail: info@presserat.de
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