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BERLINER MORGENPOST: Der Fluch der Bankenlobby - Leitartikel

Geschrieben am 30-10-2011

Berlin (ots) - Eigentlich besteht kein Grund zur Aufregung: Dass
sich die Bad Bank der Hypo Real Estate mal kurz um 55,5 Milliarden
Euro verrechnet hat, hat keinen Einfluss auf Gewinn oder Verlust. Bei
der Abwicklungsanstalt, in der die giftigen Wertpapiere der Hypo Real
Estate lagern, ändert sich bloß die Bilanzsumme. Man hatte halt
vergessen, eingehende und ausgehende Zahlungen mit ein und demselben
Geschäftspartner gegen zu rechnen. Der Fehler ist nun behoben - der
deutsche Steuerzahler bekommt weder Geld zurück, noch muss er mehr
zahlen. So weit, so belanglos. Doch der zumindest peinliche Vorgang
legt Grundsätzliches offen: Man wird den Eindruck nicht los, dass die
Finanzindustrie die eigenen Bilanzen nicht mehr versteht. Und da ist
die HRE-Abwicklungsanstalt - die im Übrigen keine Bank, sondern eine
Einrichtung öffentlichen Rechts ist - keine Ausnahme. Überraschungen
dieser Art sind Folge von gezieltem Lobbying: Indem sich die Banken
immer größere Spielräume bei der Bilanzierung erkämpft haben, fiel es
ihnen zunehmend leichter, unliebsame Posten in der Bilanz zu
verstecken. Die Branche schuf sich Schritt für Schritt mithilfe so
genannter "Finanzinnovationen" eine hochkomplexe Geschäftswelt, die
selbst von den Bankenaufsehern kaum mehr zu verstehen ist. Und das
ist tatsächlich erschütternd. Indem ständig neue Produkte entworfen
werden, ist sichergestellt, dass die Aufsicht stets einen Schritt
hinterher ist. In guten Zeiten war das für die Banken bequem, da es
die lästigen Aufseher abhielt. Doch die Branche hat inzwischen selbst
erkannt, welcher Fluch in ihrer Lobbyarbeit liegt. So sagte jüngst
der Vorstandsvorsitzende eines großen deutschen Finanzinstituts, dass
die Bankbilanzen selbst für Kenner der Materie so undurchschaubar
seien, dass man die quartalsmäßigen Übungen auch gleich sein lassen
könne. Es sei eine Welt der "Scheintransparenz", in der wir uns
bewegen. Auch wenn in diesem Satz ein gewisser Sarkasmus mitschwingt,
so wirft er doch ein Schlaglicht auf die aktuelle Krise: Wenn selbst
Banker ihren Bilanzen nicht mehr trauen, ist es kein Wunder, wenn sie
sich gegenseitig kein Vertrauen mehr schenken. Sobald ein rauer Wind
weht, leihen sich die Institute gegenseitig kein Geld mehr. Das war
bei der Pleite des US-Investmenthauses Lehman Brothers der Fall - und
ist jetzt, im Zuge der europäischen Verschuldungskrise ähnlich. Mit
diesem Misstrauen wird die Krise allerdings noch verschärft: Denn auf
diese Art und Weise kommen manche Banken in Bedrängnis, weil sie vom
Geldfluss abgeschnitten werden - und nicht, weil sie schlecht
gewirtschaftet haben. Der Geldkreislauf kommt ins Stocken und die
Europäische Zentralbank muss gegensteuern, indem sie den Banken unter
die Arme greift. Es ist höchste Zeit, dass sich die Regulatoren an
die Arbeit machen und Finanzprodukte wieder auf den Boden
zurückholen. Komplizierte Bankgeschäfte müssen einfacher werden, für
Bankbilanzen muss es mehr Transparenz geben. Auch das würde Vertrauen
in die Banken zurückbringen - und es wäre wesentlich billiger als die
milliardenschwere Rekapitalisierung, die derzeit vorangetrieben wird.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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