Kölner Stadt-Anzeiger: Historiker Hobsbawn: Euro ist die Schwachstelle der europäischen Einigung - "Kapitalismus hat die moralischen Konventionen ausgehöhlt"
Geschrieben am 03-11-2011 |
Köln (ots) - Köln. Der britische Historiker Eric Hobsbawm (94)
sieht in der gemeinsamen Währung von europäischen Ländern den
Schwachpunkt der europäischen Einigung. "Die Engländer wollten nie
hinein und auch jetzt gehört nur ein Teil der 27 Mitglieder zur
Euro-Gruppe." Ob sich der Euro halten lasse, wisse er nicht, sagte er
und fügte hinzu: "Ich glaube, wahrscheinlich ja." Für die meisten der
Nationalstaaten habe es "wenig Sinn, sich vom Euro wieder auf die
Nationalwährun-gen zurückzuziehen, das ginge für Deutschland oder
Frankreich, aber schon nicht mehr für Italien oder Österreich", sagte
er in einem Interview mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger"
(Donnerstag-Ausgabe). Das Problem sei, "solange die Entscheidungen in
Europa von Nationalregierungen getroffen werden, sind keine raschen
Entscheidungen möglich". Ein Vereinigtes Europa mit einer
Nationalregierung in der Zukunft hält Hobsbawm, der als einer der
letzten Universalgelehrten gilt und zu den bedeutendsten
Intellektuellen des 20. Jahrhunderts zählt, jedoch für
unwahrscheinlich. Hobsbawm erkennt eher reale Gefahren, dass die
derzeitige Politiker-Generation das Erbe ihrer Vorgänger verspielen
würde, auch wenn nicht ganz klar sei, was die damaligen Politiker
auf-bauen wollten. Der Kapitalismus im letzten halben Jahrhundert
habe die moralischen Konventionen ausgehöhlt, sagte der in London
lebende Wissenschaftler, der unter anderen in Stanford, Paris,
Cambridge und an der University of London lehrte und dessen Bücher
weltweit verlegt wurden. "Die Regeln, welche die menschliche Existenz
eingrenzen, wurden durch den grenzenlosen Kapitalismus allesamt
zerstört. Genau das war es ja, was Karl Marx über den Kapitalismus
vo-rausgesagt hatte. Jetzt neue Regeln zu schaffen, lässt sich nicht
durch Moralpredigte¬¬n verwirkli-chen. Gemacht werden muss es aber."
Als Schüler erlebte Hobsbawm in Berlin die massive Arbeitslosigkeit,
die ihn zum "lebenslängli-chen Marxisten" machte. Im Alter von 94
Jahren hat er ein neues Buch geschrieben, das den Titel trägt: "How
to Change the World" und der Geschichte von Marx und Marxismus
gewidmet ist.
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Kölner Stadt-Anzeiger
Politik-Redaktion
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