Kunstmarkt : exklusivinterview mit Thierry Ehrmann, Gründer und CEO von Artprice
Geschrieben am 07-11-2011 |
Paris, November 7 (ots/PRNewswire) -
Boursica.com: Herr Ehrmann, wie ist Artprice entstanden?
Thierry Ehrmann: Ganz am Anfang steht vor allem eine enorme
kollektive Arbeit hervorragender Kunsthistoriker. Innerhalb von 14
Jahren haben wir praktisch das gesamte kunstrelevante Verlagsmaterial
in Europa, den USA und seit kurzem auch in Asien erworben. Dieses
umfasst Verlagshäuser, Kunstdokumentationen aus aller Welt und
Vermögenswerte im Wert von über 30 Mio.EUR. Wissenswert ist zudem,
dass wir mit der von mir gegründeten Serveur-Gruppe - der
Muttergesellschaft von Artprice, die sich auf gerichtliche,
juristische und wissenschaftliche Datenbanken spezialisiert - seit
1985 im Internet präsent sind. Wir waren daher in der Lage, uns
vorzubereiten und unsere wichtigsten Zielobjekte im Zuge unseres
Eintritts in den Kunstmarkt in den 1990er-Jahren zu identifizieren
http://www.newscom.com/cgi-bin/prnh/20110609/461260
Boursica.com: Welches waren denn diese Zielobjekte?
Thierry Ehrmann: Wir legten unser Augenmerk auf legendäre
Gesellschaften und Werke, wie z.B. den Guide Enrique Mayer
(1962/1987), den renommierten Dictionnaire des Ventes d'Art 1700-1900
von Dr. H. Mireur, das führende US-Verlagshaus Sound View Press mit
seinen mehr als 50 Datenbanken über die USA (1991), die Editions
Franck Van Wilder (1970), die Schweizer Xylogic, ein globales, auf
Kunstmarktindizes spezialisiertes Unternehmen (1985), die Datenbank
von Bayer zum anglosächsischen Kunstmarkt von 1700 bis 1913, Caplans
Enzyklopädie der Signaturen und Monogramme (USA), ein globales
Referenzwerk (1976), L'Argus du Livre de Collection et des Manuscrits
(France), ein weiteres globales Referenzwerk (1982); usw. und so
fort.... Wir haben sie alle aufgekauft. Seit 14 Jahren betreiben wir
zudem eine systematische Kaufpolitik, in deren Rahmen wir Manuskripte
und Kataloge, vor allem aus der Zeit zwischen 1700 und 1970, aus
aller Welt erwerben. Wir können gar nicht anders als dieses
historische Wissen zu kaufen, denn ohne dieses liesse sich der
Kunstmarkt nicht mit Sicherheit normieren, und die Werke könnten
weder lückenlos zurückverfolgt noch korrekt der Biographie des
betreffenden Künstlers zugewiesen werden. Wir sind weit über die
Millionen Arbeitsstunden der Historiker, Forscher und Journalisten am
Kunstmarkt hinausgegangen, welche die Werke aus diesen Manuskripten
und Katalogen von 1700 bis zum heutigen Tag dokumentiert und
beschrieben haben. Aus diesem Grund verfügen wir heute über die
umfassendste Datenbank zum weltweiten Kunstmarkt. Diese Datenbank
ermöglicht die Verfolgung der Kunstwerke im Laufe der Jahrhunderte.
Sie umfasst 108 Millionen Bilder und Gravierungen von
Kunstgegenständen des genannten Zeitraums sowie von unseren
Kunsthistorikern verfasste Kommentare. Darüber hinaus aktualisiert
Artprice ihre Datenbanken in Echtzeit mit Informationen, die wir von
rund 4'500 Auktionshäusern zusammentragen. Zudem veröffentlichen wir
laufend Beiträge zu den Trends am Kunstmarkt, die wir den wichtigsten
Agenturen und weltweit rund 6'300 Kunstpublikationen zukommen lassen.
Auf diese Weise sind wir mit unserem Copyright und unserer
Internetadresse tagtäglich und völlig kostenlos in der Presse rund um
den Erdball vertreten. Da bleiben in Bezug auf Bekanntheitsgrad und
Kommunikation kaum noch Wünsche offen.
Boursica.com: Wie ging es mit der Entstehungsgeschichte von
Artprice weiter?
Thierry Ehrmann: Wir gingen zu Beginn zu den Ursprüngen des
Kunstmarkts um das Jahr 1700 zurück. Erst um diese Zeit wurden die
Künstler von Aufträgen der Kirche und des Adels unabhängiger und
schufen ihre Werke auf Basis einer weiter gefassten Nachfrage. Die
Entstehung eines Kunstmarkts im ökonomischen Sinn lässt sich auf
diesen Zeitraum festlegen. Seit 14 Jahren verfügen wir über Experten
und Händler, die in der ganzen Welt für uns tätig sind und uns
informieren, wenn sie auf Manuskripte und Kataloge stossen, die wir
erwerben können. Wir haben so viele davon gekauft, dass das Angebot
mittlerweile ziemlich knapp geworden ist. Zu Beginn bezahlten wir
teuer dafür, aber wir etablierten uns zusehends, und die jüngsten
Publikationen erwerben wir jedes Jahr zu äusserst vernünftigen
Preisen ... Dieser Fundus ist weltweit einzigartig. Wir überprüfen in
selbst und machen ihn dann Forschern aus aller Welt zugänglich.
Boursica.com: Worin besteht denn der Mehrwert dieses
Dokumentarfundus?
Thierry Ehrmann: Unsere Arbeit in den Datenbanken von Artprice
gleicht in erster Linie dem Bergbau: Man muss tagtäglich in die Mine
hinabsteigen und schürfen, was wir seit 15 Jahren tun. Mit über
hundert Mitarbeitern stiessen wir so ins neue Jahrtausend vor.
Zurzeit beschäftigen wir noch 45 Mitarbeiter, weil unsere gesamte
Arbeit nun in den Datenbanken stattfindet. Im vergangenen Jahrzehnt
haben wir die Anzahl Mitarbeiter um zwei Drittel reduziert und unsere
Serverkapazität nahezu verdreissigfacht. Um den Kunstmarkt zu
standardisieren, mussten wir zuerst das gesamte bestehende Inventar
an Kunstwerken sowie die Biographien Hunderter von Künstlern vom 4.
Jahrhundert vor Christus bis zum heutigen Tag aufarbeiten. Dabei
stiessen wir bisweilen auf Hunderte von Homonymen, denen es die
jeweils richtigen Werke zuzuordnen galt.
Boursica.com: Wie erstellen Sie Ihre Referenzpreise im Wissen,
dass ein Gemälde seiner Natur nach einzigartig ist?
Thierry Ehrmann: Nehmen wir beispielsweise ein auf das Jahr 1850
datiertes Werk: Wir verfolgen seine Spur von Auktionshaus zu
Auktionshaus und haben damit immer die Sicherheit, dass es sich
tatsächlich um dasselbe Objekt handelt. Wir kennen somit seinen Preis
und seine Rendite Jahr für Jahr. Aus diesem Grund sind wir die
weltweit einzige Instanz, die eine ökonometrisch einwandfreie Methode
für den Kunstmarkt als Ganzes anbieten kann. In der Ökonometrie wird
dies als Repeat-Sales-Methode bezeichnet, weil wir in einem homogenen
Markt arbeiten. Andere Informationsanbieter stützen sich auf
arithmetische Durchschnittswerte und setzen vergleichende Methoden
ein, was aber zu Fehlern führt, weil ihre Studien auf einem
heterogenen Markt basieren.
Boursica.com: Wie haben Sie dieses Problem in so kurzer Zeit
umgehen können?
Thierry Ehrmann: Aus ebendiesem Grund wendeten wir 2000 ein
kleines Vermögen für die Übernahme des renommierten Schweizer
Unternehmens Xylogic auf. Dieses beschäftigte Wissenschaftler, die
seit 1985 sämtliche Algorithmen und Indizes zum Kunstmarkt konzipiert
hatten. Zehn Jahre später waren wir die einzigen, die über derart
gigantische Datenbanken (über 700 Terabytes) verfügen. In unseren
eigenen Informatikräumlichkeiten stehen fast 900 Server, die wir als
Besitzer über unser eigenes Glasfaseroptiknetz betreiben. Wir sind
somit nicht von externen IT-Dienstleistern abhängig, was die extrem
hohe Geschwindigkeit unserer Entwicklungen und unserer F&E-Abteilung
sowie die geringen IT-Aufwendungen erklärt. Für Artprice entscheidend
ist der Umstand, dass es uns gelungen ist, die weltweit grösste
Sammlung an alten Manuskripten und erläuternden Katalogen
zusammenzutragen. Dieser riesige Dokumentenfundus wurde in unserer
Erfolgsrechnung im Übrigen nach äusserst vorsichtigen Prinzipien
unter Ausgaben verbucht. Dies ist für unsere Aktionäre eine gute
Nachricht, zumal diese Aktiven damit in der Bilanz nicht aufgeführt
sind, obschon sie ganz offensichtlich sehr wertvoll sind. Tag für Tag
ergänzen wir unsere Datenbanken mit neuen Fakten aus aller Welt. Wir
haben Datenbanken aus dem anglosächsischen Raum, aus China und
Holland erworben, ohne die wir nicht arbeiten könnten. Selbst wenn
wir die besten Kunsthistoriker auf diese Herausforderung ansetzen
würden, könnten sie nicht dasselbe Resultat erzielen. Nehmen wir
beispielsweise einen holländischen Maler namens Dick Van. Dieses
Patronym ist in Holland derart verbreitet, dass wir ohne unsere
Datenbanken nicht gewährleisten könnten, von ein und demselben
Künstler und seinen Werken zu sprechen.
Boursica.com: Was antworten Sie jemandem, der Sie fragt, weshalb
sich alle bei Artprice informieren?
Thierry Ehrmann: Dem ist ganz einfach so, weil wir keine
wirklichen Konkurrenten haben und die einzigen sind, die über eine
Million Biographien auch bisher nicht beschriebener Künstler führen
und deren Datenbanken 108 Mio. Bilder und Gravierungen von
Kunstobjekten umfassen. Selbst wer Artprice nicht besonders mag,
kommt nicht um unsere Datenbanken herum, wenn er sich für einen
bisher noch nicht sehr bekannten oder sogar gänzlich unbekannten
Künstler interessiert. Dasselbe gilt für die Identifikation eines
seltenen Kunstwerks. Die Menschen sehen lediglich die Spitze des
Eisbergs Artprice, derweil es sich hauptsächlich um eine enorm
aufwändige, nicht immer einfache Arbeit handelt. Ich frage mich
manchmal selbst, woher wir die dazu nötige Kraft genommen haben. Nach
all den Jahrzehnten lässt sich dies rationell wohl nur mit unserer
Leidenschaft für unsere Arbeit erklären.
Boursica.com: Waren die an der Börse beschafften Mittel, neben
dem Kapital der Serveur- und der Bernard-Arnault-Gruppe, für den
Erfolg der Akquisitionen von Artprice verantwortlich?
Thierry Ehrmann: Ja, aber nur teilweise, denn dass Scheckbuch
alleine hätte nicht ausgereicht, um den gesamten Fundus zu erwerben.
Die vormaligen Besitzer waren bekannte Historiker oder Autoren mit
oftmals eher schwierigem Charakter, die bisweilen bereits Schwindel
erregende Angebote erhalten und abgelehnt hatten, weil der
finanzielle Aspekt für diese Persönlichkeiten bestenfalls
nebensächlich war. Wir mussten sie zuerst von unserem Projekt
überzeugen, wie z.B. Frank Van Wilder oder Peter Hastings Falk. Diese
Datenbanken sind die wahren Vermögenswerte von Artprice, und sie sind
in unseren Bilanzen gemäss dem Vorsichtsprinzip nicht mit ihrem
wahren Wert verbucht, obschon sie sehr wertvoll sind. Sie stellen
zudem auch aus Sicht der Aktionäre die hauptsächlichen Aktiven der
kommenden Jahre dar. Die IRFRS-Rechnungslegungsstandards erlauben es
uns nicht, den wahren Wert unserer Gesellschaft anzugeben. Es
erstaunt daher nicht, dass unsere Marktkapitalisierung an der Börse
der Wahrheit sehr viel näher kommt - der Markt täuscht sich in Bezug
auf ein Unternehmen wie Artprice, dass seit mehr als zehn Jahren an
der Börse gelistet ist, nur höchst selten.
Boursica.com: Wie halten Sie es mit den Reproduktionsrechten der
ins Internet gestellten Werke?
Thierry Ehrmann: Die Reproduktionsrechte der Werke sind im Rahmen
unseres spezifischen Vertrags mit der ADAGP abgedeckt. Es handelt
sich dabei um das weltweit repräsentativste Unternehmen in diesem
Bereich, das in mehr als 43 Ländern Nutzungsgebühren einzieht und an
die Inhaber der Nutzungsrechte verteilt. Diese für die digitale
Wirtschaft bahnbrechende Vereinbarung (2007) wird von verschiedenen
Kulturministerien in Europa, darunter jenem Frankreichs, regelmässig
als beispielhaft zitiert. Auch in dieser Hinsicht hat sich Artprice
einen deutlichen Vorsprung im Vergleich zu etwaigen Konkurrenten
verschafft.
Boursica.com: Ist es möglich, Artprice zu kopieren?
Thierry Ehrmann: Nein, unter keinen Umständen. Alles ist
urheberrechtlich geschützt. Ich habe unter anderem eine Ausbildung
als Jurist im Bereich literarisches und künstlerisches Urheberrecht,
und in den 1990er-Jahren gründete ich eine Interessensgruppe für den
Schutz von Datenbanken in Europa, der in das " Sui Generis "-Gesetz
mündete. Dieses Gesetz in Europa entspricht in etwa den
Softwarepatenten in den USA. Vereinfacht gesagt, wäre es jedermann,
selbst wenn ihm Kapital in Höhe von mehreren Hundert Millionen Euro
zur Verfügung stünde, untersagt, Datenbanken oder einen
standardisierten Artprice-Kunstmarktplatz aufzubauen. Er würde wegen
Fälschung verurteilt und mit einer Busse belegt, die sich an der Höhe
der Investitionen orientiert. Zudem würde er mit einem Verbot der
Nutzung seiner Datenbanken belegt. Ein etwaiger Konkurrent müsste
daher nicht nur mit umfassendsten finanziellen Mitteln ausgestattet
sein, sondern auch eine Ergonomie und Struktur erfinden, die sich
grundsätzlich von jener von Artprice unterscheiden. Wenn wir den
Vergleich extrem vereinfachen wollen, könnten wir sagen, dass hier
der Umstand, dass ein Auto Räder hat, urheberrechtlich geschützt
wurde. Ein Konkurrent müsste folglich ein Fahrzeug auf Schienen oder
einer Zahnstange konzipieren, was eine extrem schwierig zu
überwindende Eintrittshürde darstellt.
Boursica.com: Wie können Sie gewährleisten, dass die
Auktionshäuser auf Artprice zurückgreifen werden?
Thierry Ehrmann: Mehr als 80% der internationalen Auktionshäuser
erstellen ihre Kataloge auf Basis unserer Daten in Echtzeit. Sie
verfügen dabei über die Biographie des Künstlers und die
Rückverfolgbarkeit des Werks sowie sämtliche Preise und Indizes des
Künstlers, um den Preis schätzen zu können. Zwischen 2001 und 2003
haben wir mit 3600 Auktionshäusern und 7400 Experten telefoniert oder
diese besucht. Diese Marketing- und Umsetzungsstudie war mit hohen
Kosten für Reisen rund um den Erdball sowie Löhne verbunden. Die
Auktionshäuser selbst hatten keine Datenbanken, und die Auktionatoren
verfügten bestenfalls über Word- oder Excel-Dokumente. Von den
grössten Auktionshäusern verfügen einige selbst heute noch über keine
digitalen, in Datenbanken organisierte Angaben.
Boursica.com: Wie ist es möglich, im Jahr 2011 einen derartigen
Rückstand bezüglich Informatik und Internet zu haben?
Thierry Ehrmann: Es ist an sich unglaublich, aber hier scheint
sich eine alte Informatikregel zu bewahrheiten: Je mehr ein
Berufsstand oder eine soziale Organisation über Macht oder Wissen
verfügt, desto mehr wird die Informationstechnologie geschmäht oder
ignoriert - bis zu jenem Tag, an dem sie sich gezwungen sehen, den
Forderungen ihrer Kunden nachzukommen. Dann kommt Artprice wie
gerufen. Unsere professionellen Kunden sind daher höchst loyal und
nehmen unsere Dienstleistungen über Jahre in Anspruch, was wiederum
unseren Aktionären gelegen kommen dürfte. Wir haben daher ein
Intranet konzipiert, über welches ein Auktionshaus seinen Katalog
rasch in gedruckter und digitaler Form für das Internet erstellen
kann. Es kann gleichzeitig seine künftigen Auktionsangebote mit einem
einfachen Mausklick auf den standardisierten Kunstmarktplatz von
Artprice stellen. Nehmen wir beispielsweise einen Verkauf
zeitgenössischer Kunst von 63 Künstlern: Das Auktionshaus kann für
seine Marktpräsenz einen digitalen Modus wählen, der von unseren 1,3
Mio.Kunden selektiv nur jene anspricht, die diese 63 Künstler
verfolgen und nachfragen. Diese Selektivität lässt sich weiter
eingrenzen, z.B. auf eine bestimmte Schaffensperiode eines bestimmten
Künstlers. Dies ist eine "Killer Application", von der grosse wie
kleine Auktionshäuser, die ein Vermögen für Werbung und Marketing
ausgeben, seit langem träumen. Für eine Auktion der "gehobenen
Klasse" kann sich der Posten Werbung und Marketing für das
Auktionshaus auf 70-80% der Ausgaben belaufen, während er mit
Artprice lediglich auf 4,5% zu stehen kommt.
Boursica.com: Warum haben Sie das Demeure du Chaos als Firmensitz
von Artprice gewählt - Provokation oder Strategie?
Thierry Ehrmann: Weder noch. Das Universum der Demeure du Chaos
("Residenz des Chaos") ist untrennbar mit der Geschichte von Artprice
und der Serveur-Gruppe, die seit 1987 zu den Pionieren des Internets
zählt, verbunden. Beide Gesellschaften haben ihren Firmensitz im
Demeure du Chaos. Das Demeure du Chaos, von der New York Times als
Abode of Chaos bezeichnet, wurde 1999 von mir konzipiert. Das Konzept
fusst auf dem alchimistischen Chaos unseres 21. Jahrhunderts, das
zugleich tragisch und prunkvoll ist und dessen Glut am 11. September
2001 geschürt wurde. Die Demeure du Chaos ist praktisch gleich alt
wie Artprice, die drei Jahre später ins Leben gerufen wurde. Zwölf
Jahre sowie 1890 gedruckte und audiovisuelle Reportagen aus 72
Ländern später ist sie laut der internationalen Kunstpresse zu einer
"Factory" und einem angesagten und weltweit einzigartigen Museum
avanciert. Ein Open-Air-Museum mit Gratis-Eintritt, das über 3.627
Werke ins beste Licht rückt und damit jedes Jahr rund 120.000
Besucher anzieht. Jedes Mal, wenn die internationale Kunstpresse über
das Demeure du Chaos berichtet, wird selbstverständlich auch Artprice
erwähnt. Wie hätte ich Artprice, diese fast schon mythische
Gesellschaft, die 90% der internationalen Presse mit
Kunstmarktinformationen versorgt, aus dem Nichts aufbauen können,
wenn ich nicht selbst mit Fleisch und Blut Plastiker mit einer
Leidenschaft für die Kunstgeschichte wäre? Sie machen sich keine
Vorstellung davon, wie viele Menschen mein Museum besuchen. Nach
Eintritten sind wir bereits die Nummer 2 in Lyon, und die meisten
Besucher sind auch Kunden oder Aktionäre von Artprice. Jedes Jahr
führen wir unsere Generalversammlung im Demeure du Chaos durch, und
seit zehn Jahren erhalten wir nur ermutigenden Zuspruch. Unsere
Kunden im Allgemeinen und die weltweiten Kunstgalerien im Besonderen
arbeiten ganz bewusst mit Artprice zusammen, deren Gründer als
Bildhauer und Plastiker seit mehr als 25 Jahren dem
Urheberrechtsverband angehört. Schlagen Sie meine Biographie im Who's
Who nach, dann werden Sie verstehen, was ich meine. Ich habe weltweit
zahlreiche Werke ausgestellt. Man muss wissen, dass das Kunstmilieu
hoch sensibel ist und dass Artprice in den 1990er-Jahren von gewissen
Puristen als Fremdkörper angesehen wurde, dem die Sensibilität ihres
Milieus fehlt. Als Beleg hierfür wurden unsere Indizes, unsere
Preisangaben, unsere Statistiken und natürlich der Umstand, dass wir
an der Börse gelistet sind, ins Feld geführt. Dank des Demeure du
Chaos sind diese Puristen zu unseren treusten Kunden geworden. Dies
ist die wirkliche Antwort auf Ihre Frage!
Boursica.com: Wie hoch würden Sie den Wert von Artprice ansetzen?
Thierry Ehrmann: Seit fast 120 Jahren gilt gemäss der
Vergleichsmethode , dass sich der Wert eines Auktionshauses zu etwa
80% aus seinem Kundenstamm (zwischen 800$ und 4'000$ pro Kunde) und
zu rund 20% aus seiner Marke ergibt, wenn diese einen hohen
Bekanntheitsgrad geniesst. Um den Unterschied zwischen einem mit 800$
und einem auf 4'000$ geschätzten Kunden zu verstehen, beurteilt man
die Strukturierung der Informationsschichten zum jeweiligen Endkunden
und berechnet den Preis entsprechend.
Boursica.com: Könnten Sie das anhand eines konkreten Beispiels
etwas näher erläutern?
Thierry Ehrmann: Nehmen wir beispielsweise eine Auktion des
Bildhauers Arman (1928/2005). Als Niveau 1 (800 Dollar) könnte z.B.
gelten, wenn Ihnen das Auktionshaus sagt: Wir haben 4500 Kunden,
welche die neuen Realisten wie Yves Klein, César, Arman oder Nikki de
Saint-Phalle usw. kaufen. Niveau 2 wäre, wenn Ihnen das Auktionshaus
jene Kunden nennen kann, die ausschliesslich Skulpturen von Arman
erwerben, obschon dieser auch als Maler und Fotograf tätig ist. Das
Nonplusultra, das zurzeit nur Artprice anbieten kann, ist das Niveau
3: In der Lage zu sein, jene 4500 Kunden weltweit anzusprechen, die
Arman-Skulpturen zum äusserst spezifischen Thema "organische
Abfallkübel" suchen. Derart fein strukturierte Informationen sind für
Auktionshäuser und Kunsthändler so etwas wie der Heilige Gral, denn
sie geben ihnen die Gewissheit, dass die Auktionsgebote Maximalwerte
erreichen werden. Man darf folglich davon ausgehen, dass das Niveau 3
dem oberen Ende der Bewertungsspanne, also rund 4'000$ pro Kunde,
entspricht. Dies ist die älteste Methode zur Bewertung von
Auktionshäusern. Der hohe Mehrwert von Artprice besteht darin, für
eine Auktion jene internationalen Sammler ansprechen zu können, die
durch ihre Präsenz eine Verdoppelung oder Verdreifachung des
Verkaufspreises eines Werks bewirken können. Bei einem
katalogisierten Verkauf von Werken eines bekannten Künstlers können
neue Sammler vom anderen Ende der Welt den Preis um 100% nach oben
schnellen lassen. Artprice ist der einzige Anbieter, der diese
begehrten Sammler aus 210 verschiedenen Ländern identifizieren kann.
Wir können problemlos bestätigen, dass wir auf Artprice zurzeit
sämtliche wichtigen Kunstmarktakteure erfasst haben: die
Grosshändler, die grossen Sammler, die Gesamtheit der Auktionshäuser
und der Experten - kurz: den harten Kern der Marktmacher, welche die
Preise nach oben oder unten drücken. Sie sind systematisch Kunden von
Artprice.
Boursica.com: Sogar Ihre Kritiker sind auf Artprice?
Thierry Ehrmann: Selbst unsere härtesten Kritiker bedienen sich
unserer Daten. Wir haben 1'300'000 Kunden. Man darf davon ausgehen,
dass die Bewertung auf Basis der Nachfrageaktivitäten der Kunden
vorgenommen wird. Je mehr Kunden wir haben, die etwas sehr Bestimmtes
suchen, desto wichtiger wird die Bewertung für diese Kunden. Wir
bieten mit Sicherheit die engsten Suchkriterien an. Je feiner
abgestimmt die Suche, desto stärker ist der Kunde geneigt, die Preise
während der Auktion nach oben zu drücken, und desto interessanter
wird er damit für ein Auktionshaus. Wir haben höchst vollständige
Kundendaten mit über 18 Milliarden Einträgen, die den Vorschriften
der Commission Nationale Informatique et Libertés (CNIL) und weiterer
europäischer und US-amerikanischer Aufsichtsinstanzen entsprechen und
es uns erlauben, genau zu wissen, welcher Kunde welche Kunst besitzt
oder welches Werk er sucht. Mit etwas Abstand betrachtet, bin ich
heute davon überzeugt, dass es sich hierbei um die beste Methode zur
Bewertung eines Auktionshauses handelt, ist sie doch 120 Jahre alt
und trotzdem immer noch aktuell und hat sich weltweit tausendfach
bewährt.
Boursica.com: Wie hoch werden Ihre Provisionen auf die
Transaktionen sein?
Thierry Ehrmann: Wir sind äusserst konkurrenzfähig, denn die
Vermittlungsgebühren liegen gemäss dem Conseil des Ventes Volontaires
, der Aufsichtsbehörde des Kunstmarkts, im Bereich von 37,5%, während
sich unsere auf zwischen 4,5% und 7,0% belaufen. Damit sind wir für
eine Galerie klar vorteilhafter als eine Bank! Wir erheben 4,5% für
die Transaktion selbst, zuzüglich 3,0-4,5% für die Platzierung des
Kundendossiers gemäss den erläuterten Möglichkeiten. Dies erlaubt es
den Auktionshäusern, potenzielle Käufer gezielter anzusprechen. Denn
wir bringen ein Auktionshaus nicht nur in Kontakt mit Käufern, die
ein Arman-Kunstwerk suchen, sondern gezielt mit jenen, die
beispielsweise an seinen "organischen Abfallkübeln" interessiert
sind. Die Gebühren für Verkäufe zwischen Privaten werden ebenfalls im
Bereich von 4,5% liegen.
Boursica.com: Ist Artprice reif für eine Übernahme?
Thierry Ehrmann: Ein feindliches Übernahmeangebot kann
ausgeschlossen werden, weil die Serveur-Gruppe das Kapital von
Artprice kontrolliert. Eine freundliche Übernahme, die aus
Branchensicht sinnvoll ist, z.B. von einem an der Börse gelisteten
Auktionshaus, ist aber denkbar. Zu einem besseren Verständnis von
Artprice trägt ihr Referenzdokument oder ihr Jahresbericht bei. Diese
Berichte sind wahre Goldminen für aufschlussreiche und topaktuelle
Informationen.
Boursica.com: Hat Artprice Konkurrenten?
Thierry Ehrmann: Nein, dies wird auch im Jahresbericht klar
festgehalten. Alles und jedes ist urheberrechtlich geschützt. In
einer gänzlich anderen Liga gibt es lediglich die Gesellschaft
Artnet, die in einem ganzen Börsenjahr dieselben Handelsumsätze
verzeichnet, die wir in einer Woche erreichen. Artnet ist nicht im
selben Bereich tätig wie wir, und sie ist lediglich an einem nicht
reglementierten Markt gelistet, weshalb auch ihre Rechnungslegung
nicht geprüft wird. Wir sehen Artnet als eine Art Luxus-Host, der
seine Produktionsmittel nicht selbst besitzt. Zudem hat die
Gesellschaft in gewissen Ländern die Reproduktionsrechte nicht immer
respektiert. Des Weiteren war Arnet nicht wachsam und hat sich ihre
Marke von mehr als 18 Deponenten in 21 Ländern - davon in einigen
bedeutenden - unter der Nase wegschnappen lassen. Und letztlich sind
ihre Tarife exorbitant, und die monatliche Anzahl der Nachfragen ist
beschränkt, wie das in der Internet-Wirtschaft Anfang der
1990er-Jahre noch gang und gäbe war. Wir glauben, dass man eine
extrem aggressive Tarifpolitik verfolgen muss, um weltweiter
Marktführer zu werden, wie z.B. Dell, die mit ihrem Modell meines
Erachtens die PC- und Serverwelt aufgemischt hat.
Boursica.com: Missbraucht Artprice ihre dominierende Stellung?
Thierry Ehrmann: Nein! Ihre Frage enthält auch gleich die
Antwort: Die Wettbewerbsbehörden bestrafen nicht eine dominierende
Stellung, sondern deren Missbrauch. Wir haben noch nie einen Verkauf
zurückgewiesen, unsere Preise entsprechen der Realität unserer Kosten
und Investitionen, und wir haben keinerlei selektive Verkaufspolitik.
Vor allem aber sind wir die ursprünglichen Schöpfer sämtlicher
Produkte und Dienstleistungen von Artprice, wir pflegen also einen
neuartigen und innovativen Ansatz. Gewisse Gesellschaften haben uns
einzuklagen versucht, aber sie wurden systematisch abgewiesen. Um den
Markt entschieden zu erobern und seine Loyalität zu wahren, sind so
niedrige Preise erforderlich, dass ein hypothetischer Konkurrent
sofort in die roten Zahlen rutschen würde, weil er nicht schon wie
wir sämtliche Investitionen über die letzten 14 Jahre bezahlt hat.
Als Beweis hierfür gilt mir, dass zwischen 2000 und 2010 kein
einziger neuer Konkurrent auf den Plan getreten ist. Derweil haben
wir aufgehört, die Zahl der Internet-Kunstsites zu zählen, die
infolge mangelnder Frequentierung und folglich fehlender Umsätze
Konkurs gehen. Jede Woche erhalten wir rund ein Dutzend Anfragen zur
Übernahme von Marken, Sites oder Domänen-Namen. Meist sind diese für
uns von keinerlei Interesse, vielleicht mit Ausnahme von klar
fokussierten Mikro-Datenbanken zu Schwellenländern.
Boursica.com: Waren Sie je versucht, Artnet zu übernehmen?
Thierry Ehrmann: Wir sind dreimal wegen eines Kaufs von Artnet
angegangen worden. Wir haben daran aber absolut kein Interesse, zumal
das Risiko besteht, dass wir in eine Vielzahl von
Rechtsstreitigkeiten hineingezogen würden. Was die Marke betrifft, so
wurde diese wie gesagt nicht weltweit registriert. Wir befänden uns
also sofort in urheberrechtlichen Konflikten mit allen anderen
Besitzern der Marke Artnet, die im Recht sind.
Boursica.com: Es scheint, dass auch andere Domänen-Namen Zugriff
auf die Datenbanken von Artprice nehmen ...
Thierry Ehrmann: Ja, selbstverständlich, wie z.B. Artmarket.com.
Wir haben 1800 Domänen-Namen (DNS) in neun verschiedenen Sprachen,
die sich mit dem Kunstmarkt befassen. Wenn sie Artmarket googeln,
erscheint Artprice dank dem DNS Artmarket.com zuoberst auf der Liste.
Wir haben die gesamte Semantik, die für den Zugriff auf den
Kunstmarkt relevant ist, zu Beginn der 1990er-Jahre registrieren
lassen. Einige dieser DNS sind heute Gold wert, weil es sich um, wie
z.B. bei Artmarket, um generische Marken in reinster Form handelt.
Indes weigern wir uns, diese zu verkaufen.
Boursica.com: Haben Sie neue Kunden?
Thierry Ehrmann: Ja, täglich kommen neue hinzu. Wir haben
festgestellt, dass das Durchschnittsalter unserer Kundschaft steigt,
weil unseres Erachtens immer mehr (ältere) Menschen das Internet
entdecken. Wir helfen diesen neuen Nutzern bei der Navigation auf
unserer Site und dem Internet im Allgemeinen. Wir verfolgen eine
Politik, in deren Rahmen wir aktiv und überall nach neuen Kunden
suchen und diese dann auf Artprice begleiten. Wir nennen diese
Kundschaft intern "Silver Surfers". Laut Diktion der grossen
Marketingunternehmen handelt es sich dabei um die Surfer mit den
grauen Schläfen, die früher als Senioren (Menschen im Alter von über
55 Jahren) bezeichnet wurden. Gleichzeitig sehen wir immer mehr junge
Sammler im Durchschnittsalter von 30 bis 35 Jahren, was auch den
phänomenalen Erfolg unseres Artprice-Smartphone-Abonnements erklärt.
Der weltweite Kunstmarkt ist effektiv von 500'000 Sammlern in der
Nachkriegszeit auf heute rund 300 Millionen Kunstliebhaber, Sammler
und professionelle Händler an gewachsen. Zu ihren bevorzugten
Jagdgründen sind heute im Zuge der Virtualisierung das Internet und
damit unser standardisierter Kunstmarktplatz geworden. Es ist
offensichtlich, dass der Kontinent Asien die Zahl der
Kunstmarktakteure hat explodieren lassen.
Boursica.com: Wie steht es um die finanzielle Verfassung von
Artprice?
Thierry Ehrmann: Im Gegensatz zur grossen Mehrheit der
börsengelisteten Gesellschaften haben wir keinen Cent Schulden. Keine
Kreditdeckung vonseiten einer Bank, keine kurz-, mittel oder
langfristige Darlehen, keine rückzahlbaren Finanzinstrumente wie
Aktienoptionsscheine oder andere Derivate... Was die französische
Finanzaufsichtsbehörde AMF nicht selten staunen lässt! Darüber hinaus
verfügen wir über eine hohe Liquidität und eine negatives
Nettoumlaufvermögen. Ich möchte festhalten, dass ich mit Leib und
Seele gegen Kapitalerhöhungen bin. Diese verwässern nicht nur die
Titel unserer Aktionäre, sondern behindern darüber hinaus einen sehr
raschen Anstieg des Aktienkurses eines börsengelisteten Unternehmens,
was oft vergessen wird. Als Beleg hierfür führe ich ins Feld, dass
Artprice ungefähr 4 Millionen Aktien im Umlauf hat. Wären wir wie die
Mehrzahl der am regulierten Eurolist-Markt kotierten Gesellschaften,
so hätten wir rund 20 bis 40 Millionen Titel ausstehen, und unser
Kurs wäre in zwei Monaten um lediglich 2EUR oder 3EUR gestiegen.
Stattdessen haben wir in 45 Börsentagen mit einem Handelsumsatz von
rund 250 Mio.EUR um 22EUR zugelegt.
Boursica.com: Warum wurde angesichts der registrierten
Handelsvolumen die Deklarationsschwelle nicht überschritten?
Thierry Ehrmann: Gemäss der letzten Überprüfung unserer
Namenstitel und Schätzungen ist unser Aktionariat von 18.000 auf
schätzungsweise rund 27.000 Aktionäre angewachsen. 2010 waren 81% der
Kunden von Artprice auch Aktionäre. Das ist für uns ein
Sicherheitsnetz, da sie damit Artprice detailliert kennen. Oft sind
es unsere Kunden bzw. Aktionäre, die uns auf mögliche Übernahmeziele
hinweisen oder uns Verbesserungsvorschläge für unsere Datenbanken
unterbreiten.
Boursica.com: Wie steht es mit Kapital aus China?
Thierry Ehrmann: Das Konzept einer Meldeschwelle ist den Chinesen
fremd. Sie beteiligen sich durch verschiedenste Kanäle und bleiben
daher unter dieser Schwelle. Wir haben Telefonkonferenzen mit
Fondsmanagern abgehalten, von denen zwei Drittel in Hongkong ansässig
sind. So etwas habe ich zuvor noch nie gesehen, aber ich kann mit
Sicherheit sagen, dass sie nicht für französische Kunden kaufen.
Boursica.com: Wie lange wird es Ihres Erachtens noch dauern, bis
das Gesetz zur Liberalisierung von Auktionsverkäufen verabschiedet
wird?
Thierry Ehrmann: Das ist höchstens noch eine Frage von Wochen.
Ich stelle fest, dass Frankreich in weniger als 45 Jahren vom
weltweit 1. auf den 4. Rang abgerutscht ist. Zuoberst auf dem Podium
steht heute China, gefolgt von den USA und Grossbritannien auf den
Rängen 2 und 3. Zudem wiegt auch der Drouot-Skandal schwer. Wir haben
jede Woche mit den Konsequenzen dieses Vorfalls zu tun, und die
Untersuchungen haben eben erst begonnen. Ich kann Ihnen zu diesem
Thema das Werk " Adjugé Volé " von Michel Deléan wärmsten empfehlen.
Es wurden bereits 39 Untersuchungsverfahren eingeleitet. Die
Regierung scheint entschlossen, der Sache wirklich auf den Grund zu
gehen, zumal Drouot 45% des französischen Kunstmarkts ausmacht. Wir
haben die Europäer hinsichtlich der Aufnahme dieser Direktive ins
EU-Recht verärgert, weshalb der Druck auf Frankreich nun enorm ist.
Dies ist eine Staatsaffäre, und es besteht ein Risiko, dass der
Gerichtshof der Europäischen Union gewaltige Bussen aussprechen wird.
Die französische Kunstmarktaufsicht CVV glaubt zudem, dass es für
Frankreich einem Selbstmord gleichkäme, lediglich eine Minimalreform
durchzuführen, und dass es nach den Verfügungen aus Brüssel nur noch
eine Frage der Zeit ist, bis die Angelegenheit vor den EU-Gerichtshof
gelangt. Wir waren die ersten, die im Jahr 2000 das entsprechende
Gesetz, den Code des Ventes Volontaires et Judiciaires, formulierten,
das bei den französischen Auktionatoren mittlerweile zur Referenz
avanciert ist. Es ist die erste Abhandlung (von 1800 Seiten), welche
die erste Reform des Jahres 2000 und ihre Nicht-Umsetzung anspricht.
Diese Reform des Jahres 2000 war eine gigantische Farce, denn die
Auktionatoren hielten an ihrem Monopol aus dem Jahr 1535 fest, sodass
für jeden einzelnen Verkauf weiterhin eine Bewilligung eingeholt
werden musste. Wenn Letztere erst einige Tage oder sogar erst einige
Stunden vor dem Verkauf erteilt wurde, stellte dies eine hohe Hürde
für den freien Verkehr von Produkten und Dienstleistungen in Europa
dar, insbesondere für Auktionen von Kunstgegenständen im Internet.
Wir vereinen sämtliche Erfolgsfaktoren. Der Prozess geniesst
definitiv breite Unterstützung. Der Gang der Geschichte lässt sich
nicht aufhalten, und wir sind mit von der Partie. Wir mussten nur
Geduld haben und gleichzeitig dieses 500-jährige Monopol mit aller
Kraft niederreissen, indem wir uns auf einen gesetzlichen Kreuzzug
von zehnjähriger Dauer begaben.
Boursica.com: Warum haben Sie nicht einfach den Firmensitz
verlegt?
Thierry Ehrmann: Weil dies mit hohen Kosten verbunden gewesen
wäre. Ganz zu schweigen vom Umstand, dass wir künftig in einer
Fremdsprache hätten kommunizieren und uns an einen neuen Börsenmarkt
hätten gewöhnen müssen. Dann wäre da zudem der physische Umzug der
ganzen Systeme und unserer Mitarbeiter usw.
Boursica.com: Wie sehen Sie die französische Vermögenssteuer
(ISF)?
Thierry Ehrmann: Das ist eine sehr ernste Sache. Die Union pour
un Mouvement Populaire (UMP) hat diesen Vorschlag ins Parlament
eingebracht. Laut ihrer Analyse sollte eine Vermögenssteuer lediglich
latente unbestreitbare Vermögenszuwächse betreffen. Ich bin nicht
unbedingt dafür, ich halte dies nicht für die richtige Lösung. Aber
die Parlamentarier haben sehr wohl verstanden, dass ihnen Artprice
die Möglichkeit gibt, den Sammlern zu sagen, dass die Kunstwerke in
ihrem Besitz eine klar bestimmbare Rendite generieren. Indes ist es
offensichtlich, dass dies dem Artprice-Marktplatz zum Vorteil
gereichen wird, da die Nutzer anonym auftreten, weil Artprice sowohl
die Identität des Käufers als auch des Verkäufers schützt. Dies ist
in den physischen Auktionssälen nicht möglich. Wir haben am Tag der
Ankündigung und in den Stunden danach festgestellt, dass die Zahl der
von unseren Kunden eingerichteten virtuellen Portfolios explodierte,
weil diese die Preisentwicklung ihrer Sammlungen simulieren wollten.
Boursica.com: Ist ein baldiger Wechsel in das Long-Only-Segment
des Deferred Settlement Service denkbar?
Thierry Ehrmann: Vielleicht im September. Die Entscheidung liegt
beim Wissenschaftsausschuss der Euronext, aber es ist klar, dass wir
die Eintrittkriterien mehr als erfüllen.
Boursica.com: Haben Sie Ihr System für die künftigen
Online-Auktionen einem Backtesting unterzogen?
Thierry Ehrmann: Selbstverständlich. Wir haben im Ausland
Beta-Tests durchgeführt, und alles ist betriebsbereit. Die
Auktionshäuser sind für ihre Kataloge bereits an unser Intranet
angebunden. Was den Marktplatz betrifft, so glaube ich, dass 80% der
Auktionshäuser und professionellen Händler sowie 20% der Sammler und
Privatpersonen dabei sein werden. Sobald das Gesetz verabschiedet
wird, werden die Auktionatoren unsere besten Kunden sein. Sie sagen
es sogar selbst: "Das lässt sich nur mit Artprice machen." Sie sind
Ende der 1990er-Jahre und nochmals 2005 nicht auf den Internet-Zug
aufgesprungen, und heute ist es dafür zu spät, zumal dies zu teuer
wäre. Die Vorführung ist damit bereits ausverkauft.
Boursica.com: Wie hoch ist die Durchdringung von Artprice im
chinesischen Markt?
Thierry Ehrmann: Um den Erfolg zu gewährleisten, haben wir
diverse chinesische Datenbanken erworben. Anders wäre dies nicht
möglich gewesen. Wir haben dabei die volle diplomatische
Unterstützung der chinesischen Behörden genossen. Ohne diese hätte es
nicht funktioniert, weil die Auktionshäuser teilweise vom Staat
kontrolliert werden. Das chinesische Kulturministerium hat sich
bemüht, uns zu zeigen, dass China die Nummer 1 auf dem globalen
Kunstmarkt ist. Wir haben in Lyon chinesische Mitarbeiter, und wir
benötigten nach unserer Entscheidung, in den chinesischen Markt
vorzustossen, lediglich vier Jahre, um dort betriebsbereit zu sein.
Boursica.com: War Ihr Weg zum weltweiten Marktführer mit
Schwierigkeiten verbunden? Die Art und Weise Ihres Vorgehens gibt
bisweilen Anlass zu Vorwürfen.
Thierry Ehrmann: Stimmt, und ich übernehme dafür die 100%ige
Verantwortung. Wir haben in 14 Jahren 126 Prozesse in diversen
Ländern geführt. Angestrengt wurden diese von den Vertreibern
zahlungspflichtiger Bücher, die wir von Verlagshäusern gekauft
hatten. Diese Vertreiber wollten sich eine Scheibe von den
Internet-Umsätzen abschneiden. Dispute hatten wir zudem mit
zahlreichen Artprice-Nachahmern, für die wir keinerlei Toleranz
zeigen. Wir haben 117 dieser Prozesse gewonnen, darunter alle
wichtigen. Nehmen wir die fünf französischen Auktionshäuser, von
denen gewisse effektiv bei Drouot angesiedelt sind: Sie haben alle
auf einen Weiterzug des Urteils vor das Appellationsgericht
verzichtet. Die Ausnahme war Camard, die wir nun strafrechtlich
verfolgen. Die verlorenen Prozesses waren solche gegen Dritte, die
keinerlei Einfluss auf den Gang der Dinge unserer Unternehmens, seine
finanzielle Entwicklung oder seine Ziele haben. Christie's World ist
einer unserer schönsten Siege.
Boursica.com: Darf man demnächst auf eine Dividendenausschüttung
hoffen?
Thierry Ehrmann: Ja, gemäss unseren Prognosen sollte dies
2013/2014 möglich sein. Ich finde aber, dass wir unsere Aktionäre
bereits mit dem Anstieg unseres Aktienkurses substanziell bereichert
haben. Wir stärken vorab unsere Eigenkapitalposition, um die Server
und weitere sehr teuere Ausrüstungsgüter finanzieren zu können. Nur
so ist es uns möglich, uns weltweit und unter Wahrung einer maximalen
Sicherheit weiterzuentwickeln. Ich rufe in Erinnerung, dass wir die
einzigen sind, die unsere eigenen Server-Räumlichkeiten betreiben.
Wir gelten in Frankreich als Internet-Pioniere. Laut Time Magazine
war die Serveur-Gruppe der erste Internet-Provider Frankreichs, und
der zweite in ganz Europa. Der Vermögenszuwachs für unsere Aktionäre
über den Aktienkurs ist derart hoch, dass zu Beginn nicht beides -
Aktienkurssteigerung und Dividende - zu haben ist. Dies umso mehr,
als wir nie eine Kapitalerhöhung durchgeführt haben.
Boursica.com: Wie wird sich der Status-Wechsel nach Einführung
des Gesetzes auf den Jahresumsatz auswirken?
Thierry Ehrmann: Er wird wortwörtlich explodieren! Das Wachstum
wird enorm sein.
Boursica.com: Darf man dann davon ausgehen, dass ein Aktienkurs
von 30EUR nur der Anfang war?
Thierry Ehrmann: Es lässt sich feststellen, dass der Kurs auf die
2005/2006 verzeichneten Niveaus zurückgekommen ist. Damals begann man
von der Umsetzung der "Directive Services" zu reden. 30 EUR ist nur
der Anfang, eine einfache Rückkehr zu den Notierungen der Zeit, bevor
Frankreich dem Rest Europas während fünf Jahren mit seiner
jämmerlichen Art auf die Nerven zu gehen begann. Wer sich die Frage
ernsthaft stellt, sollte von einer Basis von 67EUR ausgehen - der
höchsten bisher erreichten Notierung. Wir haben alle Versprechen in
unserem Einführungsprospekt gehalten. Wir sind sogar deutlich über
die im Prospekt von 1999 erläuterten Engagements hinausgegangen.
Unser Titel notierte bei 67EUR, als es unseren standardisierten
Kunstmarktplatz noch nicht gab. Wir dürfen daher mit Recht und
logischerweise einen Anstieg unseres Aktienkurses deutlich über 67EUR
hinaus erwarten. Einer sehr alten Börsenregel zufolge ist ein einmal
registrierter Kursstand wieder erreichbar.
Boursica.com: Zum Schluss eine Prognose zur Zukunft von Artprice?
Thierry Ehrmann: Mit Blick auf unsere im Einführungsprospekt von
1999 abgegebenen Versprechen, die damals als höchst ehrgeizig
bezeichnet wurden, dürfen wir feststellen, dass wir sie alle erfüllt
und sogar übertroffen haben - und dies vor dem Hintergrund der Krise
der Nasdaq im Jahr 2000, der Anschläge vom 11. September 2001, des
Kriegs im Irak 2003 und der grossen Finanzmarktkrise, die 2007
einsetzte, aber noch keineswegs ausgestanden ist. In diesem
katastrophalsten Jahrzehnt der letzten zwei Jahrhunderte kenne ich
nur wenige an einer regulierten Börse gelistete Unternehmen, die ohne
Kapitalerhöhung überlebt und in dieser Zeit den Sprung zum
unumstrittenen Weltmarktführer geschafft haben. Ich möchte dieses
Interview deshalb mit der Bemerkung abschliessen, dass wir meiner
Meinung nach bisher bestenfalls 10% der Entwicklung von Artprice
mitverfolgt haben.
Boursica.com: Seit unserem letzten Interview Anfang Juni ist bei
Artprice und auf den Finanzmärkten viel passiert. Wir haben viele
Fragen, auf die wir gerne präzise Antworten von Ihnen hätten.
Zunächst einmal, warum stiess das Exklusivinterview von Boursica im
Juni 2011 über Artprice, das in mehreren Sprachen ins Internet
gestellt wurde, mit derzeit über 210.000 Google-Treffern, Ihrer
Meinung nach auf so grosses Interesse? (Interview von Juni 2011)
Thierry Ehrmann:
Ich denke ganz einfach, dass die französischen Aktionäre von den
politisch korrekten Pressemitteilungen, für die man lange studiert
haben muss, um die Informationen der an einer regulierten Börse
gelisteten Unternehmen entschlüsseln zu können, genervt sind. Lesen
Sie noch einmal aufmerksam das erste Interview durch und Sie werden
sehen, dass wenn man ganz einfach mit ehrlichen Worten die untypische
und aussergewöhnliche Geschichte von Artprice erzählt, von seiner
Gründung aus dem Nichts, um dann in 14 Jahren zum Weltmarktführer für
Informationen über den Kunstmarkt zu werden, zu verstehen ist, dass
es sich in erster Linie um ein aussergewöhnliches menschliches
Abenteuer und ein unvergleichliches Team handelt, ein gewaltiges,
nahezu als Utopie angesehenes Projekt, das nunmehr gnadenlose
Realität geworden ist, die tagtäglich von den 1,3 Millionen
Artprice-Mitgliedern sowie den Millionen kostenlosen Nutzern genutzt
wird, die früher oder später, in einem günstigen Moment die
kostenpflichtigen Informationen auf Artprice kaufen werden.
Boursica.com: Liest man noch einmal das erste Interview, wird man
sich dessen gewahr, dass die Geschichte von Artprice auch eine
ununterbrochene Folge gerichtlicher Auseinandersetzungen jenseits
jeglicher Norm ist, also eine nicht immer nur idyllische Geschichte?
Thierry Ehrmann:
Es ist richtig, dass in der Geschichte von Artprice auf den
verschiedenen Kontinenten zahlreiche Kriege vor Gericht ausgetragen
wurden. Das Monopol des Kunstmarkts, seines Zeichens der älteste
Markt der Welt, erobert man leider nicht ohne Blutvergiessen. Aber in
diesem Interview wird auch hervorgehoben, dass man einen Konzern
nicht einfach auf Basis seiner Jahresabschlüsse, Bilanzen und Anhänge
begreifen kann, insbesondere nicht im Jahr 2011, wo immaterielle
Vermögenswerte und geistiges Eigentum laut dem berühmten Paul Getty
zum Öl des 21. Jahrhunderts werden. In den
IFRS-Rechnungslegungsstandards sind zahlreiche menschliche,
finanzielle und wissenschaftliche Indikatoren, die von grundlegender
Bedeutung sind, um einen Konzern wie die Artprice-Gruppe zu
analysieren, noch nicht berücksichtigt.
Boursica.com: Diese Worte gelten nur für Kleinaktionäre, jedoch
sicher nicht für Finanzexperten!
Thierry Ehrmann:
Wenn Sie sich da mal nicht täuschen! Sie können sich gar nicht
vorstellen, wie viele Fondsmanager, Unternehmenskundenberater von
Banken und Finanzanalysten mir gestanden haben, dass sie dank des
Interviews erst einen echten Gesamteindruck bekommen haben, was ihnen
in den 10 Jahren mit unserem Referenzdokument und den
vorgeschriebenen Informationen in dieser Vollständigkeit nicht
möglich war. Es ist möglich, dass Artprice eines Tages Gegenstand
einer Sitzung bei der SFAF, der französischen Gesellschaft der
Finanzanalysten, ist.
Boursica.com: Sind also die an einer regulierten Börse gelisteten
Unternehmen Ihrer Meinung nach Opfer leerer Phrasen?
Thierry Ehrmann:
Anders als fälschlicherweise angenommen, kann man mit den
vorgeschriebenen Informationen weit mehr aussagen, als man es sich
vorstellt. Bestimmte börsennotierte Unternehmen sollten aufhören, auf
die AMF und andere Finanzaufsichtsbehörden zu schimpfen. Die
herausgebenden Unternehmen sind schlicht und einfach Opfer dessen,
was in der Presse als Selbstzensur bezeichnet wird. Wer kann denn
heute Aktien auf Grundlage einer vierteljährlichen Veröffentlichung,
die jedweder Verbindung zur konkreten Realität entbehrt, kaufen? Ein
gutes Beispiel hierfür sind die Pressemitteilungen einiger Banken,
insbesondere bezüglich ihrer Stresstests und ihrer Risikoexposition,
die, wie man feststellt, heute etwas sagen, um in weniger als drei
Monaten das Gegenteil zu behaupten.
Boursica.com: Was müssen die Führungskräfte also tun?
Thierry Ehrmann:
Es obliegt den Führungskräften, eine integere, ja nahezu
"physische" Beziehung zu den Märkten und Aktionären zu unterhalten.
Dies erfordert natürlich Zeit, Ausdauer und einen entsprechenden
Umgang mit dem manchmal leidenschaftlichen Feedback, aber so sind die
Spielregeln. Jegliche ehrliche, leidenschaftliche und vollständige
Berichterstattung führt unweigerlich zu enthemmten Reaktionen seitens
der Aktionäre und Fondsmanager, die dem Diktat der sterilen
Pressemitteilungen unterliegen und sich, wenn es um Artprice geht, in
der Tat manchmal gehen lassen.
Boursica.com: Kommen wir auf das Gesetz vom 20. Juli 2011 zurück,
welches die europäische Dienstleistungsrichtlinie in nationales Recht
umsetzt und sich insbesondere auf elektronische Auktionen im Internet
bezieht. Wo stehen Sie hier?
Thierry Ehrmann:
Es bedeutet für uns einen gewaltigen Sieg nach elf Jahren
gesetzlichen Kreuzzugs, Europäischen Lobbyings und unerbittlichen
Krieges gegen eine kleine Anzahl von Mitgliedern einer Kaste, die
davon überzeugt war, dieses 1556 entstandene Monopol auch im 21.
Jahrhundert aufrecht erhalten zu können. All die Tiefschläge, die wir
einstecken mussten, haben uns zwar natürlich Kraft gekostet, uns aber
in unserer Überzeugung bestärkt, mit dem standardisierten
Artprice-Kunstmarktplatz und den europäischen Gesetzen über die
persönlichen Daten entsprechenden Log-Dateien über das Verhalten
unserer 1,3 Millionen Mitglieder einen bedeutenden Anteil am
Weltkunstmarkt zu halten. Die von Artprice bei der Wettbewerbsbehörde
aufgrund von Kartellabsprache angestrengte Klage befindet sich mit
für die Gegner überraschenden Belegen in der Untersuchungsphase. In
diesem Fall sind bald entsprechende Reaktionen zu erwarten.
Boursica.com: Führen Sie diese Hartnäckigkeit einer kleinen
Gruppe von Mitgliedern dieser Kaste auf wirtschaftliche Überlegungen
oder auf die Angst eines Verlusts der sozialen Stellung zurück?
Thierry Ehrmann:
Eine alte Regel besagt, dass man am Grad der Aggressivität des
Gegners in Echtzeit die Entfernung ablesen kann, die man noch
zurücklegen muss, um in den Tresorraum vorzudringen, in dem er als
Herrscher regiert. So betrachtet haben wir unsere Religion mit 117
gewonnenen von insgesamt 126 Prozessen auf verschiedenen Kontinenten
(siehe das erste Interview) ohne den Hauch eines Zweifels aufgebaut,
dass wir ganz nahe daran sind, dieses Monopol ganz legal, ohne
jedweden Missbrauch marktbeherrschender Stellung innezuhaben. Möchte
man die Kriege gegen die alte Garde der Kaste zusammenfassen, so
handelt es sich bei dem Roman "Der Leopard" von Tomasi de Lampedusa
um eine perfekte Adaptation dessen, was wir erlebt haben.
Boursica.com: Dieses Gesetz gilt also seit dem 01. September
2011. Worauf also warten?
Thierry Ehrmann:
In der Tat ist der 1. September der Stichtag für das
Inkrafttreten des Gesetzes, aber lesen Sie doch einmal Artikel 5, zu
dem ein gemeinsamer Erlass des Justizministeriums und des
Ministeriums für Kultur in Bezug auf den Verkehr von Kulturgütern
aussteht. Dieser Erlass wird in Kürze ergehen. Es ist darauf
hinzuweisen, dass ein Erlass nicht Gegenstand irgendeiner
Gesetzgebungsdebatte ist und, wie sein Name schon sagt, nur die
Festlegung von Modalitäten ermöglicht. Es besteht also keine Gefahr,
dass ein Dritter in welcher Form auch immer diese einseitige
Bekanntmachung verzögern könnte.
Boursica.com: Einige unserer Mitglieder sprachen davon, dass der
Figaro ins Auktionsgeschäft einsteigen wolle.
Thierry Ehrmann:
Das ist nichts Neues, ich möchte Sie daran erinnern, dass die
Familie Dassault sowohl Eigentümer des Figaro als auch eines der
grössten französischen Auktionshäuser, Artcurial, ist. Seit Jahren
findet sich im Figaro ganzseitige Werbung für Artcurial. Es war also
ganz normal, dass der Figaro die Auktionen unter seiner eigenen Marke
u.a. in Richtung der Auktionshäuser der Gruppe lenkte, aber der
Figaro als Rechtspersönlichkeit ist nicht Betreiber im Sinne des
Gesetzes vom 20. Juli 2011. Vergessen Sie nicht, dass Artprice im
Rahmen einer Partnerschaft seit mehreren Jahren nahezu sämtliche
Daten und Texte für die Sonderausgaben des Figaro Beaux Art - Guide
du marché de l'art liefert.
Boursica.com: Werden die Auktionen auf Artprice dann konkret so
ablaufen wie beispielsweise bei eBay?
Thierry Ehrmann:
Absolut nicht! Und zwar aus zahlreichen Gründen: Unseren
Untersuchungen zufolge liegen die Gebote im Schnitt bei je etwa
12.000 Euro, was einen grundlegend anderen rechtlichen und
geschäftspolitischen Ansatz erforderlich macht. Unser Prinzip beruht
insbesondere auf perfekt identifizierten Mitgliedern mit Werken, zu
denen die Käufer auf allen unseren Seiten, dank unserer Genehmigung,
zu jeder Zeit INTERPOL's Stolen Works of Art Database nutzen können,
was ihnen als Artprice-Kunden die Möglichkeit gibt zu prüfen, ob das
angebotene Werk Gegenstand einer gerichtlichen Verfolgung ist. Anders
als bei den für die breite Öffentlichkeit bestimmten und allgemeinhin
bekannten Auktionsdiensten unterwirft Artprice seine Kunden einer
permanenten gerichtlichen Präsenz, die meiner Meinung nach das für
ein reibungsloses Funktionieren seines Standardisierten
Kunstmarktplatzes als Betreiber von im Fernverfahren auf
elektronischem Wege durchgeführten Online-Auktionen erforderliche
Vertrauen schafft. Genauer gesagt arbeitet Artprice seit 5 Jahren mit
etwa 70 Polizeibeamten unterschiedlicher Staatsangehörigkeiten
zusammen, wodurch es Artprice möglich war, ein Vertrauensniveau
aufzubauen, das im Internet seinesgleichen sucht und durch die
fortwährende Zusammenarbeit mit den Künstlern, Anspruchsberechtigten
und Experten noch verstärkt wird. Unsere wahre Stärke birgt sich in
dem Begriff Treuhandkonto und Freigabe, mit dem Artprice alle
möglichen rechtlichen Szenarien konzeptualisiert hat, um dafür zu
sorgen, dass die Versteigerung einwandfrei ist, und so auf einem im
Internet selten erreichten Vertrauensniveau stattfindet. Bei diesem
Treuhandverfahren handelt es sich um das gleiche Prinzip, das auch
Notare oder Anwälte bei Transaktionen anwenden.
Boursica.com: Können Sie den Begriff des Treuhandkontos etwas
genauer erläutern?
Thierry Ehrmann:
Ich werde also kurz den Ablauf beschreiben: Wenn der Verkäufer
durch eine Reihe von Verfahren den besten Käufer der Auktion
validiert, muss der Käufer den Betrag mittels einer von ihm frei
wählbaren Zahlungsmethode auf einem Treuhandkonto mit
Benutzeridentifizierung und einer einzigen Kontonummer bei einer Bank
de facto hinterlegen. Es gibt eine unantastbare Regel: Ein Betrüger
zahlt niemals den ersten Euro. Bei uns verfügt der Verkäufer, mit der
von einem vertrauenswürdigen Dritten treuhänderisch verwalteten
Summe, über eine grosse Sicherheit. Infolge einer ganzen Reihe
äusserst kodifizierter Verfahren validiert der Käufer dann endgültig
den Verkauf und erteilt die Freigabe, so dass der Verkäufer den
Ertrag seiner Versteigerung und Artprice, seinerseits, seine je nach
den für diese Auktion gebotenen Produkten und Dienstleistungen seine
zwischen 4,5% und 9% liegende Provision erhalten kann. Unsere grosse
Stärke besteht darin, dass wir uns auf eine Datenbank stützen, in der
jedes unserer 1,3 Millionen Mitglieder unter Einhaltung der
europäischen Richtlinien über die persönlichen Daten mit einem
Vertrauensindex bewertet ist.
Boursica.com: Das klingt, als läge die Sicherheit bei Artprice
fast über der bei einem traditionellen Auktionshaus.
Thierry Ehrmann:
In der Tat, wenn man sich in der neuen Ökonomie gut auskennt,
dann beharre ich darauf zu sagen, dass das Sicherheitsniveau bei
unseren Auktionen sowie allen unseren Diensten in Anbetracht unserer
IT-Entwicklungen und rechtlichen Verfahren über dem der alten
Ökonomie liegt. Wir hatten in nunmehr über 10 Jahren laut der GIE
carte bancaire (wirtschaftliche Interessenvereinigung) stets eine der
geringsten Raten, was den Kreditkarten-Missbrauch anbelangt.
Boursica.com: In unserem ersten Interview beschreiben Sie, wie
Artprice auf seinem Marktplatz dem Wunsch eines Kunden entsprechen
kann, der beispielsweise eine Skulptur von Arman verkaufen möchte:
Die "Organischen Abfallkübel", bei denen Artprice in der Lage ist,
aus seinen Milliarden Log-Einträgen die Kunden herauszufiltern, die
Arman-Liebhaber und zugleich Anhänger seiner Skulpturen und
insbesondere der Periode seiner "Organischen Abfallkübel" sind, aber
sie sprachen seither von neuen Fortschritten, um welche geht es?
Thierry Ehrmann:
Abermals, der Kunstmarkt hat stets einen chronischen Rückstand.
Es ist zu bedenken, dass die Zahl der Internetnutzer von 50 Millionen
im Jahr 2000 auf 2,5 Milliarden im Jahr 2011 gestiegen ist. Im Jahr
2013 wird die 3 Milliarden-Grenze weit überschritten sein. Genau
deshalb gingen bei uns nach Verabschiedung des Gesetzes am 20. Juli
2011 aus aller Welt äusserst ausgefeilte Angebote von auf dem
Kunstmarkt tätigen Gruppen sowie von Finanzgruppen ein, die der
Meinung sind, dass unser standardisierter Kunstmarktplatz ähnlich wie
die von den elektronischen Börsen verdrängte Börse mit ihrem
Börsenring kein Kann sondern ein Muss sei. Ich weise Sie noch einmal
darauf hin, dass unsere von mir gegründete Muttergesellschaft, die
Serveur-Gruppe, seit 1985 im Internet präsent ist.
Boursica.com: Was bedeutet dies im Klartext? Kunden oder
potentielle Konkurrenz für Artprice?
Thierry Ehrmann:
Im ersten Interview habe ich Ihnen deutlich erklärt, dass der
standardisierte Kunstmarktplatz von Artprice vielfach
urheberrechtlich geschützt ist, und das auf allen Kontinenten. Wir
sprechen also in der Tat von Kunden und grossen potentiellen
Accounts.
Boursica.com: Was verstehen Sie unter potentiellen Kunden? Wo
doch laut Ihren Pressemitteilungen etwa 83% der Auktionshäuser und
Experten für Sie arbeiten.
Thierry Ehrmann:
Ganz genau, diese Zahl ist korrekt und unbestritten. Ich spreche
in erster Linie von asiatischen, relativ jungen, sehr vermögenden
neuen Kunden und Gruppen, die, wie sie sagen, den Kunstmarkt des 21.
Jahrhunderts nicht ohne ein geschäftliches bzw. kapitalistisches
Bündnis mit dem standardisierten Kunstmarktplatz von Artprice
konzeptualisieren können. Sie bringen uns Community-Netzwerke,
hunderttausende Käufer bzw. Verkäufer mit, da sie zurecht davon
ausgehen, dass der Kunstmarkt, wenn wir die Vermittlungsgebühren, die
laut dem Conseil des Ventes Volontaires (Aufsichtsbehörde des
Kunstmarkts) bei etwa 37,5% liegen, zum Einsturz bringen, explodieren
wird.
Boursica.com: Wie sieht also ihr Wirtschaftsmodell aus und wo
liegt Ihr Vorteil?
Thierry Ehrmann:
Trotz einer marktbeherrschenden Stellung gibt es immer, und zwar
vor allem in den asiatischen Ländern wie natürlich China, die
weltweite Nummer 1 des Kunstmarkts, aber auch in Singapur, Hongkong
etc., auch ganz fein verzweigte Netze, die Sie nicht erfassen können.
Unsere Ansprechpartner sind sich des Mehrwerts, den sie uns
mitbringen, voll und ganz bewusst und haben, anders als allgemeinhin
angenommen, die unüberwindbare Barriere des geistigen Eigentums
eingebaut, das ein fürchterliches Zugangshindernis darstellt (vgl.
Apple c/ Samsung). Sie haben also mithilfe eines enormen
Mitteleinsatzes modelliert, was kein Europäer zustande bringt: eine
Kriegsmaschine, die mittels eines Affinitäts-Marketings zu unserem
standardisierten Kunstmarktplatz hinzukommt. Der Einfachheit halber
richten wir White Labels und/oder Co-Brandings ein. Für sie ist die
Sache schon gegessen und sie sehen sich teilweise schon an der Börse.
Das kommt nicht von ungefähr, dass wir geduldig die Eröffnung einer
Niederlassung und von Technikräumen in Hongkong vorbereiten, einer
Stadt, die als Versuchslabor der Volksrepublik China fungiert und Tür
und Tor nach ganz Asien öffnet. Hongkong ist bereits unter den Top 5
auf dem Weltkunstmarkt.
Boursica.com: Wird Artprice, konkret gefragt, also an
Einführungen beteiligt sein?
Thierry Ehrmann:
Man muss begreifen, dass die Krise, die 2007 begonnen hat, in
meinen Augen das Anzeichen für einen Niedergang des Okzident und
sicher nicht eine x-te Rezession ist. Ich habe keine Zeit zu
verlieren. Wenn ich in Europa nach drei Monaten endlich einen Termin
mit einem wichtigen Entscheidungsträger habe, setzen wir in Asien zu
diesem Zeitpunkt bereits eine Absichtserklärung auf. In dieser
Hinsicht wird Artprice ganz klar die ganze Tragweite der zukünftigen
Einführungen dieser bedeutenden Akteure für sich nutzen, zumal für
einige Renditen vorhergesagt werden, die die des an der NYSE
notierten Auktionshauses Sotheby's noch übertreffen.
Boursica.com: Wer kann im Hinblick auf die Rendite an Sotheby's
vorbeiziehen?
Thierry Ehrmann:
Ich denke zum Beispiel Poly International Auction, eines der
grössten chinesischen Auktionshäuser, das wir schon vor einiger Zeit
persönlich kennengelernt haben, und das nun dabei ist, seinen
Börsengang vorzubereiten ohne sich auch nur eine Sekunde Gedanken
über den Einsturz der westlichen Finanzmärkte zu machen. Es gibt im
Übrigen eine ganze Reihe von Akteuren, die den soziologischen
Mechanismus der Messen zeitgenössischer Kunst und der Biennalen
verstanden haben und in dem sozialen Netzwerk Artprice Insider, das
wir seit etwa zwei Jahren mit Soziologen, Akteuren des Marktes und
seinen Mitgliedern entwickeln, einen revolutionären Weg finden, eine
Messe, die von Natur aus vergänglich, aber deshalb nicht weniger
notwendig ist, fortbestehen zu lassen.
Boursica.com: Bedeutet dies also das Ende der Messen
zeitgenössischer Kunst?
Thierry Ehrmann:
Absolut gesehen schon, praktisch natürlich nicht, sie werden
weiter bestehen bleiben und Höhepunkte der Kunstszene markieren, die
dann über das Jahr u.a. auf Artprice Insider fortdauern. Auch hier
galt es, den soziologischen und wirtschaftlichen Mechanismus der
internationalen Messen geduldig zu demontieren. Um diese Revolution
zu verstehen, muss man wissen, dass die Hä
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