(Registrieren)

HAMBURGER ABENDBLATT: Hamburger Abendblatt zu Rating-Agenturen

Geschrieben am 06-12-2011

Hamburg (ots) - Ein Kommentar von Matthias Iken

Man kann einiges anführen zur Verteidigung der Rating-Agentur
Standard?&?Poor's, die nun gleich 15 Euro-Staaten und den
Euro-Rettungsfonds auf einen Schlag abzuwerten droht. Es ist die
Aufgabe dieser Institute, die Bonität von Unternehmen und Staaten zu
bewerten: Nicht sie sind es, die die Schulden angehäuft haben, sie
fällen nur ein Urteil. Und den Überbringer schlechter Nachrichten
köpft man seit dem Mittelalter nicht mehr. Vielleicht sollte man
damit langsam wieder anfangen, denken so manche seit gestern. Wenn es
noch eines Beweises bedurft hätte, dass dieses Rating-Oligopol mit
drei Agenturen nicht funktioniert - in der Nacht wurde er geliefert.
Abgesehen von Griechenland und Zypern droht Standard&?Poor's allen
Euro-Staaten auf einen Schlag mit der Herabstufung ihrer
Kreditwürdigkeit. Eigentlich sollen Rating-Agenturen Feuermelder
sein, doch längst fungieren sie als Flammenwerfer. Zwar argumentiert
Standard?&Poor's mit der besorgniserregenden Entwicklung der
Schuldenkrise in Europa - doch die wurde von den Rating-Agenturen
mitbefeuert. Die erste Finanzkrise haben sie durch groteske
Fehlbewertungen von Ramschanleihen mit ausgelöst. Die Staaten mussten
löschen helfen, verschuldeten sich noch weiter und werden dafür nun
bestraft. Mit jeder Herabstufung, welche die Staaten trifft, steigen
deren Zinsen. Mit steigenden Zinsen wiederum wird es immer
schwieriger, Altschulden zu bedienen - ein Strudel, der nun nach
Griechenland auch Italien und Spanien in die Tiefe reißen könnte. Die
Urteile der Rating-Agenturen werden so zur self fulfilling prophecy,
einer Vorhersage, die sich von selbst bewahrheitet. Die Wut der
Politik ist verständlich. Im Gegensatz zu den Rating-Agenturen ist
sie demokratisch legitimiert und muss die Interessen aller im Blick
haben. Immerhin drücken Angela Merkel und Nicolas Sarkozy aufs
Reformtempo, Schuldenstaaten wie lrland, Italien oder Spanien haben
tief greifende und schmerzhafte Schnitte beschlossen. Doch die
Rating-Agenturen, die früher fahrlässig Persilscheine verteilt haben,
haben Maß und Mitte verloren. Einmal mehr gießen sie Öl ins Feuer,
pikanterweise kurz vor dem EU-Gipfel. Die vermeintlichen
Schiedsrichter sind längst zum Akteur in einem finsteren Spiel
geworden. Die Euro-Turbulenzen haben schon viele Regierungen aus dem
Amt gespült, sie erschüttern die Volkswirtschaften, lösen Unruhen
aus, sie ?desintegrieren Europa. Zurückhaltung und Bedacht,
Seriosität und Selbstkritik wären die Gebote der Stunde. Doch davon
ist bei den Rating-Agenturen wenig zu spüren: Noch bevor der
Rundumschlag gegen Europa offiziell verkündet wurde, hatte die
Botschaft Börsenhändler und Zeitungsredaktionen bereits erreicht.
Nicht einmal die vorgeschriebene Verschwiegenheit können die Herren
der Märkte gewährleisten: Wie schon bei der Herabstufung der USA
wussten einige besser informierte Kreise vorher von dem
Standard-?&-?Poor's-Schritt. Und vor einigen Wochen war angeblich ein
Computerfehler für die marktbewegende Meldung verantwortlich,
Frankreich verliere sein Spitzenrating. Europas Politik hat neben der
Aufgabe, die Schuldenkrise zu lösen, inzwischen die Pflicht, das
Monopol der Rating-Agenturen zu brechen. Trotz aller berechtigten
Kritik an der Schuldenpolitik der Staaten ist es schlichtweg nicht
länger zu verantworten, dass einige kleine unregulierte
Rating-Agenturen mit Regierungen, Währungen, ja ganzen
Volkswirtschaften Schlitten fahren. Auch die Marktakteure müssen sich
vom Urteil der Rater emanzipieren. Immerhin gibt es Signale der
Hoffnung. Ein "Schwarzer Dienstag" blieb aus, der Rückgang des Euro
war moderat. Auch die Märkte nehmen Standard?&?Poor's nicht mehr so
ernst. Vielleicht war es rückblickend betrachtet nur ein "Schwarzer
Dienstag" für Rating-Agenturen.



Pressekontakt:
HAMBURGER ABENDBLATT
Ressortleiter Meinung
Dr. Christoph Rind
Telefon: +49 40 347 234 57
Fax: +49 40 347 261 10
christoph.rind@abendblatt.de meinung@abendblatt.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

367500

weitere Artikel:
  • DER STANDARD-Kommentar: "Euro schwächt die starken Glieder" von Andreas Schnauder "S&P hat in einem recht: AAA-Länder werden mit den Eurohilfen überstrapaziert"; Ausgabe vom 07./08.12.2011 Wien (ots) - Betrübnis bis Empörung: So lassen sich die Reaktionen auf die drohende Herabstufung der Euroländer zusammenfassen. Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny verstieg sich sogar zu der Behauptung, der Warnschuss von Standard & Poor's sei politisch motiviert. Das geht in Richtung jener Verschwörungstheorie, wonach Ratingagenturen Handlanger Amerikas seien. Klingt gut. Doch es war Standard & Poor's, die den USA die Top-Bonitätsstufe mehr...

  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Ratingagenturen Bielefeld (ots) - Aufgabe einer Ratingagentur ist es, im Rahmen der Notengebung für Staatsanleihen auch die Politik eines Landes zu bewerten. Dagegen ist es nicht ihre Aufgabe, Politik zu machen. Genau das aber hat Standard & Poor's mit der angedrohten Abstufung der Bonität Deutschlands und anderer europäischer Staaten unmittelbar vor der Brüsseler Gipfelkonferenz getan. Ein solches Vorgehen ist auch dann unzulässig, wenn die Ratingagentur aus Sicht der deutschen Regierung Kanzlerin Angela Merkel den Rücken stärkt. Hier gerät ein System mehr...

  • WAZ: Chance für das Revier. Kommentar von Ulf Meinke Essen (ots) - Es war an der Zeit, dass der IT-Gipfel nach Nordrhein-Westfalen kommt. Hinter dem Kürzel IT verbirgt sich die Informationstechnik-Branche, die für den Wirtschaftsstandort Deutschland von entscheidender Bedeutung ist. Es geht um High-Tech: Computer-Hersteller, Software-Schmieden und Telekomkonzerne. Die Stadt Essen, die im nächsten Jahr Standort des nationalen IT-Gipfels sein wird, kann auf einen Image-Gewinn und Impulse für die regionale Wirtschaft hoffen. Wohlgemerkt: Die IT-Industrie zählt in Deutschland etwa mehr...

  • CORRECTION - East Village: EV wird als neues Erbe des Athletes Village vorgestellt London (ots/PRNewswire) - In der Pressemitteilung ?East Village wird als neues Erbe des Athletes Village vorgestellt?, welche am 6. Dezember 2011 um 14.13 Uhr GMT von East Village und PR Newswire herausgegeben wurde, ist ein Fehler aufgetreten. Ein Vertreter des Unternehmens hat uns mitgeteilt, dass die URL für East Village, London, nicht korrekt war. Sie muss lauten: http://www.eastvillagelondon.co.uk. Die vollständige und richtige Pressemitteilung lautet: - Londons neue Nachbarschaft bricht aus der Form für Wohnbauprojekte im mehr...

  • Börsen-Zeitung: Ein gutes Zeichen, Kommentar zum Rating von Claus Döring Frankfurt (ots) - Glückwunsch, liebe Länderanalysten von Standard & Poor's! Haben Sie jetzt auch schon bemerkt, dass es in der Eurozone kriselt und man Fragezeichen hinter die Zukunft der Währungsgemeinschaft und die finanzielle Solidität der sie tragenden AAA-Länder setzen muss? Gewiss, so ein Ratingprozess braucht Zeit und die Drohung der Herabstufung will gut überlegt sein. Angeblich hat es von der Entscheidung bis zur Bekanntgabe fast eine Woche gedauert. Vielleicht hätten Sie ja sogar ein anderes Timing bevorzugt und nicht ausgerechnet mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Wirtschaftsnews

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

DBV löst Berechtigungsscheine von knapp 344 Mio. EUR ein

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht