Benotung und Schulempfehlung fördern Chancenungleichheit in der Bildung: Neue Studie im Auftrag der Vodafone Stiftung untersucht Verhältnis von Leistungsdiagnostik und sozialer Ungleichheit an Schulen
Geschrieben am 14-12-2011 |
Düsseldorf (ots) -
Deutlicher Zusammenhang zwischen Schulnoten und sozialem Status /
Schichtspezifische Unterschiede in der schulischen Leistung spielen
die größte Rolle / Noten und Schulempfehlungen fallen jedoch auch bei
gleicher Leistung je nach Schichtzugehörigkeit unterschiedlich aus /
Bei sozial gerechter Notenvergabe würden deutlich mehr Arbeiterkinder
das Gymnasium besuchen / Migrationshintergrund spielt bei der
Notenvergabe kaum eine Rolle / Mädchen erhalten im Schnitt bessere
Noten / Bessere Leistungsdiagnostik gefordert
Nicht nur die Leistungen fließen in die Schulnoten ein, sondern
auch andere Faktoren wie der soziale Hintergrund der Schülerinnen und
Schüler und das Geschlecht. Sowohl in der Grundschule als auch am
Ende der gymnasialen Oberstufe können diese Faktoren nachgewiesen
werden. Demnach erhalten Kinder aus sozial benachteiligten Familien -
bei gleicher Leistung in einem standardisierten Test - in der Schule
schlechtere Noten als Kinder aus sozial begünstigten Elternhäusern.
Im Durchschnitt erhalten Mädchen bessere Noten als Jungen.
Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie im Auftrag der
Vodafone Stiftung Deutschland mit dem Titel "Herkunft zensiert?
Leistungsdiagnostik und soziale Ungleichheiten in der Schule".
Durchgeführt wurde die Studie von den Bildungsforschern Prof. Dr. Kai
Maaz (Universität Potsdam), Prof. Dr. Ulrich Trautwein (Universität
Tübingen) und Prof. Dr. Franz Baeriswyl (Universität
Freiburg/Schweiz). Auf Grundlage vorliegender Daten haben die
Wissenschaftler in einer umfassenden Analyse den Zusammenhang
zwischen Schulnoten und den Effekten der sozialen Herkunft ermittelt.
Die Befunde basieren auf Daten der TIMSS-Übergangsstudie (Trends in
International Mathematics and Science Study), der Berliner
ELEMENT-Studie (Erhebung zum Lese- und Mathematikverständnis) sowie
der TOSCA-Studie (Transformation des Sekundarschulsystems und
akademische Karrieren) sowie aus einer aktuellen Übergangsstudie aus
der Schweiz.
Dr. Mark Speich, Geschäftsführer der Vodafone Stiftung
Deutschland: "Die Studie zeigt, wie wichtig individuelle Förderung
sozial schwacher Kinder ist, damit diese nicht schon in einem frühen
Stadium ihrer Bildungslaufbahn wegen schlechterer Leistungen
abgehängt werden. Zudem sehen wir, dass auch Noten und
Schulempfehlungen zur sozialen Ungleichheit beitragen. Die Konsequenz
darf aber nicht Lehrerschelte sein. Vielmehr sollten die üblichen
Formen der Leistungsdiagnostik und Übertrittsregelungen überdacht
werden."
Herkunft wird mit zensiert
Um den Effekt der unterschiedlichen Faktoren wie
Familienhintergrund und Geschlecht zu messen, verglichen die
Wissenschaftler die Schulnoten mit den Ergebnissen eines
standardisierten, schriftlichen Leistungstests, der sowohl
mathematisch-naturwissenschaftliche als auch sprachliche Kompetenzen
misst. Hier zeigte sich bei gleichem Testergebnis ein deutlicher
Effekt des sozioökonomischen Hintergrunds auf die vergebenen
Zensuren. Die Notenvergabe lässt sich zu 49,4 Prozent mit der
Leistung der Schülerinnen und Schüler erklären, aber die Noten
korrelieren auch mit dem sozialen Status der Eltern und dem
elterlichen Bücherbesitz als Anzeichen für die Bildungsnähe.
Für die manchmal geäußerte Vermutung, dass die Schüler aus sozial
schwachen Familien die schlechteren Noten bekommen, weil sie weniger
Anstrengungsbereitschaft zeigen, konnten die Forscher keine Belege
finden, betonten aber die Notwendigkeit, dieser Frage genauer
nachzugehen.
Die Annahme, dass Schüler mit Migrationshintergrund an der
Übergangsschwelle von der Grundschule in die weiterführende Schule
wegen ungerechter Notenvergabe benachteiligt werden könnten, wurde
durch die Studie nicht bestätigt. Die Studie zeigt zudem, dass der
Einfluss der sozialen Herkunft auf die Notenvergabe in der vier- und
der sechsjährigen Grundschule und in der Stichprobe aus der Schweiz
gleich groß ausfällt.
Wie sich der soziale Herkunftseffekt zusammensetzt
Leistungsbewertung in Form von Noten und die Vergabe von
Schulempfehlungen spielen hierzulande noch immer eine entscheidende
Rolle für den weiteren Bildungsverlauf und die langfristigen
Aufstiegschancen von Kindern und Jugendlichen. Die Wissenschaftler
fragten daher, wie genau sich der soziale Herkunftseffekt
zusammensetzt. Für die Bildungspolitik ergeben sich hieraus womöglich
aufschlussreiche Erkenntnisse darüber, wie sich Herkunftseffekte
reduzieren lassen. Fragt man nach dem Einfluss der sozialen Herkunft
auf die Vergabe der Schulempfehlung, so zeigt sich zunächst, dass es
vor allem die je nach sozialer Schichtzugehörigkeit unterschiedliche
Leistung ist, die zu unterschiedlichen Schulempfehlungen führt.
Dieser sogenannte "primäre Effekt" macht über 51 Prozent des gesamten
sozialen Herkunftseffektes aus und ist u.a. auf häusliche Bedingungen
und mangelnde Förderung durch die Eltern zurückzuführen. Zu immerhin
23,4 Prozent aber entsteht die soziale Ungleichheit durch die
Einschätzung der Lehrkräfte, die je nach Schichtzugehörigkeit der
Schüler unterschiedliche Schulempfehlungen vergeben, und dies bei
gleicher Leistung im standardisierten Test und gleichen Noten. Zu
25,5 Prozent entsteht die soziale Verzerrung bei der
Empfehlungsvergabe durch ungleiche Notenvergabe bei gleicher Leistung
während der Grundschulzeit. Wenn Benotungen und die Einschätzung der
Schule sozial neutral wären, könnte der Einfluss der sozialen
Herkunft auf die Übergangsempfehlung um die Hälfte reduziert werden,
so die Wissenschaftler.
Die Analysen zeigen, dass sich der Anteil der Arbeiterkinder, die
ein Gymnasium besuchen, von derzeit 19,2 Prozent auf 28,5 Prozent
erhöhen würde, wenn sie bei gleicher Leistung nicht mehr ungleich
benotet würden. Würden sich die Eltern beim Übergang unabhängig von
ihrer sozialen Herkunft für eine Schulform entscheiden, würde sich
die Gymnasialquote sogar auf 32,5 Prozent erhöhen.
Beim tatsächlichen Übergang auf die weiterführende Schulform
basiert der soziale Herkunftseffekt zu 29,9 Prozent auf
sozialschichtabhängiger unterschiedlicher Benotung und
Schulempfehlung bei gleicher Leistung. Auch das elterliche
Entscheidungsverhalten (28,6 Prozent des Herkunftseffektes) spielt
eine wesentliche Rolle. Schichtabhängige Leistungsunterschiede machen
41,6 Prozent des Herkunftseffektes aus. Diese Analyse zeigt
insgesamt, dass soziale Ungleichheit auch, aber nur zu einem gewissen
Teil an der Übergangssituation zur weiterführenden Schule entsteht.
Der Anteil des sozialen Herkunftseffektes, der unmittelbar am
Übergang zum Tragen kommt, macht etwas mehr als ein Viertel (28,6
Prozent) des gesamten Herkunftseffektes aus. Leistungsunterschiede
und ungleiche Benotung während der Grundschulzeit sorgen schon sehr
viel früher für soziale Disparitäten. Die Studie beschreibt auch die
Haltung der Lehrkräfte. Diese messen dem familiären und sozialen
Umfeld eine bedeutsame Rolle für den Schulerfolg bei. Potenziell
könne die Berücksichtigung dieser Faktoren, auch vor dem Hintergrund
des sozialen Hintergrunds der Lehrkräfte, zu einer Stabilisierung
sozialer Ungleichheiten beitragen, etwa indem wegen mangelnder
Förderung im Elternhaus die Noten der Übertrittsempfehlung angepasst
werden.
Hinweis: Die Studie ist als ePub innerhalb der App der Vodafone
Stiftung Deutschland im Apple-Store und Android-Market sowie unter
www.vodafone-stiftung.de abrufbar.
Vodafone Stiftung Deutschland
Die Vodafone Stiftung ist eine der großen unternehmensverbundenen
Stiftungen in Deutschland. Unter dem Leitmotiv "Erkennen. Fördern.
Bewegen." unterstützt die Stiftung als gesellschaftspolitischer
Thinktank insbesondere Programme in den Bereichen Bildung,
Integration und soziale Mobilität mit dem Ziel, Impulse für den
gesellschaftlichen Fortschritt zu geben, die Entwicklungen einer
aktiven Bürgergesellschaft zu fördern und gesellschaftliche
Verantwortung zu übernehmen. Dabei geht es der Vodafone Stiftung
Deutschland vor allem darum, benachteiligten Kindern und Jugendlichen
den sozialen Aufstieg zu ermöglichen.
Pressekontakt:
Danyal Alaybeyoglu,
Tel.: 0211 / 533-6786,
Mobil: 0172-2403359,
Fax: 0211 / 533-1898,
E-Mail: danyal.alaybeyoglu@vodafone.com,
www.vodafone-stiftung.de
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