Westdeutsche Zeitung: Gespanntes Warten auf Christian Wulffs Weihnachtsansprache =
von Martin Vogler
Geschrieben am 21-12-2011 |
Düsseldorf (ots) - Wer für die Weihnachtsansprache des
Bundespräsidenten am Sonntag eine extrem hohe Sehbeteiligung
erwartet, bedarf keiner prophetischen Gaben. Normalerweise halten
sich ja Neuigkeitswert und Unterhaltungsfaktor solch staatstragender
Sendungen in Grenzen. Diesmal dürfte die Fernsehgemeinde bis zuletzt
spekulieren: Wird Christian Wulff doch etwas zu seinen aktuellen
Problemen sagen? Wie wird es wirken, falls er über Schuldenkrise und
Aufrichtigkeit spricht? Oder wird er womöglich doch noch auf die
öffentliche Rede verzichten?
Nicht nur der Kölner Kardinal Meißner hat ihm zu Letzterem
geraten. Denn Wulff wird es schwer haben, sich glaubwürdig als hohe
moralische Instanz zu präsentieren. Besonders zu Weihnachten sollte
ein Präsident den Ballast des Alltags abwerfen. Er muss stattdessen
weitsichtig analysieren, wenn nötig mahnen, Visionen entwickeln und
den Menschen Mut machen. Ob Wulff das gelingt, ist sehr fraglich.
Er scheint dennoch entschlossen zu sein, seine Ansprache
ausstrahlen zu lassen. Zumindest hat er sie gestern bereits
aufzeichnen lassen. Und auch wenn er die heiklen Themen ausspart und
den Zusammenhalt in der Gesellschaft und in Europa in den Mittelpunkt
stellt: Die Gedanken der Zuhörer werden ihm nicht folgen - sondern
abschweifen.
Insofern wäre Wulff gut beraten, wenn er - wozu es fast schon zu
spät ist - einen eleganten Weg zur Absage seiner Rede fände. Jetzt
steht zu befürchten, dass er das höchste Amt im Staat noch ein Stück
weiter beschädigt, als er es bereits getan hat. Denn die Annahme
eines besonderen Immobiliendarlehens war bereits angreifbar, die
Salamitaktik, mit der er fast täglich neue Fehler einräumt, ist
ungeschickt und schwer erträglich.
Andererseits sollten Gesellschaft und Politik sich jetzt auch
nicht in eine Lust an der Demontage hineinsteigern. Denn wer Wulff zu
stark beschädigt, schwächt auch auf Jahre hinaus die Bedeutung des
Präsidentenamts. Und es sollte bei aller Kritik nicht vergessen
werden: Wulff handelte sicherlich unklug, ist moralisch angreifbar,
aber er hat sich auch keines schweren Verbrechens schuldig gemacht.
Wahrscheinlich liegt das Problem vor allem darin, dass er mit viel zu
wenig Lebenserfahrung ins höchste Staatsamt kam.
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Westdeutsche Zeitung
Nachrichtenredaktion
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