(Registrieren)

BERLINER MORGENPOST: Entschieden wird unterm Baum

Geschrieben am 22-12-2011

Berlin (ots) - Na endlich. Der Präsident hat gesprochen. "Das war
nicht geradlinig und das tut mir leid", sagte Christian Wulff und sah
dabei überzeugend mitgenommen aus. Es kommt nicht alle Tage vor, dass
ein Staatsoberhaupt, Politiker und Jurist zumal, derart deutlich sein
Bedauern über "Irriationen" zum Ausdruck bringt. Gleichwohl passt
Wulffs Abbitte zum Verlauf der gesamten Affäre. Die Erklärung kam
reichlich spät, der Bundespräsident wirkt getrieben von einer nicht
endenden Debatte, bisweilen ins Inquisitorische spielenden
Ermittlungen in privatesten Bereichen, einer unerbittlich nahenden
Weihnachtsansprache und vor allem den neuesten Enthüllungen des
"Spiegels", dass der Nachfolgekredit bei der BW-Bank, aus dem
Herrschaftsbereich von Parteifreund und Ministerpräsidenten-Kollege
Oettinger, Konditionen bot, die noch freundschaftlicher waren als die
von Unternehmer Egon Geerkens. So entsprang des Präsidenten
Zerknirschungsadresse wohl weniger dem Bedürfnis, Klarheit zu
schaffen, als vielmehr nackter Panik. Dazu passt, dass Wulff
zeitgleich und wohl schweren Herzens Abschied nahm vom treuen
Gefährten Olaf Glaeseker. Der langjährige Sprecher ging auf eigenen
Wunsch, angeblich werde in seinem Privatleben recherchiert.
Tatsächlich war es der letzte und wohl größte Gefallen, den Glaeseker
seinem zukünftigen Ex-Herrn tat. Skandal-Theoretiker wissen: Jede
Krise braucht ein Opfer, und idealerweise nicht den Chef. Im Gedonner
dieses doppelten Befreiungsböllers, so hofft der Bundespräsident,
würden die neuen Enthüllungen vernebelt, was wiederum einen Neuanfang
zu Weihnachten ermöglichte. Natürlich hatten die Strategen im Schloss
Bellevue überlegt, die Weihnachtsansprache zum Rechtfertigen und
Mildeerbitten zu gebrauchen. Absehbar, dass die traditionell eher
beiläufig wahrgenommenen Wortgirlanden plötzlich von nationalem
Interesse erster Güte gewesen wären. Das Land hätte zwei Feiertage
lang über Wulffs Performance diskutiert, womöglich wäre die Serie bis
Silvester verlängert worden. So besteht die Chance, dass eine zu
anschwellender Hysterie neigende Öffentlichkeit die Lust an der Jagd
verliert. Schon jetzt steht fest: Kaum eine Politiker-Persönlichkeit
war je so transparent wie Wulff. Der Junge aus ganz kleinen
Verhältnissen, der eine tendenziell unfrohe Jugend verbrachte, der in
der Jungen Union als Habenichts verlacht wurde, der drei Anläufe zum
Wahlsieg brauchte, um endlich jene Anerkennung zu bekommen, nach der
er sein Leben lang dürstete. Zwischen langen, ziemlich untadeligen
Phasen poppte immer wieder die unkontrollierte Freude über die eigene
Bedeutung auf. Wulff ist kein Berlusconi, kein Putin, weder
Krimineller noch Durchtriebener, sondern vielleicht das offenste
Buch, das derzeit in Gestalt eines Volksvertreters öffentlich
durchgeblättert wird. Dass er nicht mal seine Schwachstellen
camouflieren kann, spricht nicht unbedingt gegen ihn. Die Tage unterm
Baum entscheiden, ob die Deutschen diesem Präsidenten weiterhin
vertrauen wollen.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chefin vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

370320

weitere Artikel:
  • Mitteldeutsche Zeitung: zu Wulff Halle (ots) - Auch nach der Erklärung wird man das Gefühl nicht los, dass da ein gewiefter Trickser am Werk ist, jemand, der vor allem immer nach seinem persönlichen und finanziellen Vorteil Ausschau hält. Genau deshalb ist es ihm nur schwer abzunehmen, dass er in seinen öffentlichen Ämtern tatsächlich niemandem einen unberechtigten Vorteil verschafft haben soll. Aber: Solange das nicht bewiesen ist, gilt auch weiterhin für den ersten Mann im Staat die Unschuldsvermutung. Was bisher bekannt geworden und wie das Staatsoberhaupt mehr...

  • Mitteldeutsche Zeitung: zur Gemäldegalerie Anhalt Halle (ots) - Die Anhaltische Gemäldegalerie, die trotz ihrer exzellenten Bestände auf Landesebene nie die gleiche Aufmerksamkeit wie beispielsweise die Moritzburg in Halle genoss, wird umfassend saniert. Möglich macht es das Konjunkturprogramm, aus dem mehr als vier Millionen Euro in das Dessauer Schloss Georgium fließen. Dieser Quelle verdankt sich gewiss auch die Eile, mit der man nun zu Werke geht. Und die sorgt für den einzigen faden Beigeschmack dieser löblichen Investition. Denn die Gemäldegalerie schließt ausgerechnet in mehr...

  • Mitteldeutsche Zeitung: zum zentralen Polizeinotruf in Sachsen-Anhalt Halle (ots) - Dass Bundesländer den Polizeinotruf zentral an wenigen Standorten bündeln, ist keine Erfindung von Sachsen-Anhalt. Andere Länder wie Brandenburg haben sich längst für effizientere Strukturen entschieden - und scheinen damit auch gut zu fahren. Entscheidend ist natürlich, wie die Notrufe umgesetzt werden. Sind in der Fläche nicht genügend Polizisten, die schnell vor Ort sein können, nützt auch die beste Technik in den Einsatzzentralen nichts. Ob alle Rädchen wirklich gut ineinander greifen, wenn Hilfesuchende künftig mehr...

  • Rheinische Post: Irak droht Zerfall Düsseldorf (ots) - Ein Kommentar von Klaus Peter Kühn: In Bagdad explodieren 14 Bomben an einem Tag. Das ist mehr als eine Schreckensmeldung aus einem geschundenen Land. Das ist eine Alarmmeldung aus einem Land, das nach neun Jahren Blutvergießen in einen womöglich noch schlimmeren Bürgerkrieg abzugleiten droht. Kaum ist der letzte US-Soldat abgezogen, brechen tief wurzelnde Konflikte zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen aus. Ministerpräsident Nuri al Maliki spielt ein gefährliches und undurchsichtiges Spiel: Als oberster mehr...

  • Rheinische Post: Eine zweite Chance für Wulff Düsseldorf (ots) - Ein Kommentar von Sven Gösmann: Der Bundespräsident hat gut in eigener Sache gesprochen, nur viel zu spät. Trotzdem besteht für Christian Wulff nun wieder die realistische Chance, dass er sein Amt weiter ausüben kann. Das Staatsoberhaupt ist dafür als Privatperson so weit gegangen, wie es ihm überhaupt möglich ist. Wulff hat sich glaubhaft entschuldigt. Er bedauert sein Verhalten. Er bezeichnet sein privates Gebaren in Finanzdingen als irritierend. Wohltuend ist, dass er die sozialneidische Komponente der mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht