BERLINER MORGENPOST: Katastrophe einer Boombranche - Leitartikel
Geschrieben am 17-01-2012 |
Berlin (ots) - Das Drama vor der Insel Giglio hat die Albträume
jedes Kreuzfahrttouristen wahr werden lassen. Wer jemals vor der
gigantischen Wand einer dieser schwimmenden Ferienfarmen stand, hat
über das Zusammenspiel von Wind und Physik nachgedacht: Können die
Dinger wirklich nicht umkippen? Wer von Deck an die Küste blickte,
fragte sich bang, ob wirklich immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel
ist und der Kommandant auf der Brücke integrer als ein
Bundespräsident. Wer schließlich jemals tief im Bauch eines solchen
Kolosses zu schlafen versuchte, der konnte sich kaum gegen eine
grausliche Urangst sträuben: dass jeder, der hier unten wohnt,
mindestens zehn, zwanzig Treppenabsätze hochhasten muss zu den
Rettungsbooten, zusammen mit Tausenden panischer Mitreisender, die
dasselbe Ziel haben. Was, wenn ein Senior auf den Rollator angewiesen
ist? Was, wenn die Verständigung zwischen Personal und Passagier
nicht ganz so reibungslos läuft wie bei der Übung? Und überhaupt:
Kommt der TÜV hier gucken? Oder ist die Sicherheit kostenmäßig ebenso
durchoptimiert wie jeder andere Handgriff in der Boomindustrie zur
See? Das Unglück der "Costa Concordia" bedient alle Passagierängste
auf einmal. Überfordertes Personal, labile Wasserlage, Fluchtwege
ohne große Chancen. Dass die Reederei alle Schuld beim Kapitän
ablädt, ist billig. Wer hat den Mann denn eingestellt und ihm
Menschenleben überantwortet? Wobei die Frage bislang unbeantwortet
blieb, wo die anderen Offiziere steckten, die Einwände hätten äußern
können gegen waghalsige Manöver? Mag die Seereise sicherer sein als
eine Tour mit dem Rad durch die Berliner Innenstadt, so gemahnt die
Havarie der Traumfabrik zugleich daran, dass die Seefahrt auch im
eher gutmütigen Mittelmeer nie frei ist von Risiken. Bei massivem
menschlichem Versagen hilft manchen kein Rettungsboot, schon gar
nicht denen, die mitten im Schiff stecken und sich zuerst um das Wohl
der Reisenden zu kümmern haben - den Angestellten. Dass ausgerechnet
der Schiffsführer entgegen allen seemännischen Gepflogenheiten
offenbar besonders zügig von Bord ging, wirft ein trübes Licht auf
einen Tourismuszweig, der zum Massenbetrieb wuchs. Was früher die
Busreise in ferne Länder, ist heute die Kreuzfahrt. Überaus
preisbewusste Kunden treffen auf global agierende Unternehmen, die
nur mit brutalem Kostenmanagement bestehen können: Jeder Passagier
mehr, jeder genutzte Quadratmeter, jeder Hungerlohn pro Törn bedeutet
Vorteile in einem knallharten Wettbewerb. Die Regeln dafür bewegen
sich in einer seit jeher internationalisierten Branche traditionell
auf dem Level der lockersten Ländergesetze. Wenn der tragische Fall
der "Costa Concordia" einen Sinn hat, dann liegt er im Erinnern
daran, dass die Seefahrt keine Spaßveranstaltung ist, sondern das
Verantwortungsbewusstsein aller Beteiligten erfordert, auch der
Passagiere: Wer nur nach Schnäppchen jagt, der riskiert, von einem
Schnäppchenkapitän ins Unheil gesteuert zu werden.
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
373433
weitere Artikel:
- Neue OZ: Kommentar zu Kultur / Katastrophen Osnabrück (ots) - Fantasie als Ausweg
Kann man sich einen schönen Abend mit einem Katastrophenfilm
machen? Angesichts des realen Schiffsunglücks in Italien würde
derzeit wohl kaum einer "Titanic" für die gemütliche DVD-Runde
vorschlagen. Und doch spielen Kunst und Kultur eine ganz enorme Rolle
bei der Bewältigung von Traumata.
Dabei erleichtert gerade der Unterschied zwischen Wirklichkeit und
Fiktion den Blick auf die eigenen Verletzungen. Die Bomben von
Hiroshima und Nagasaki waren im Japan der 40er-Jahre ein
unaussprechliches mehr...
- Neue OZ: Kommentar zu Unwort des Jahres Osnabrück (ots) - Kollektives Versagen
Die Wahl des Unworts 2011 lässt sich treffend mit dem Unwort des
Jahres 2010 charakterisieren: "Döner-Morde" war "alternativlos".
Einen schlimmeren verbalen Fehlgriff hat es in den letzten Jahren
nicht gegeben, wobei das den meisten erst kürzlich dämmerte.
Gerade diese späte Einsicht zeigt das kollektive Versagen von
Ermittlungsbehörden und Medien, dokumentiert einen fatalen
Ermittlungsansatz und eine haarsträubende Überzeugung: Wir "guten
Deutschen" konnten uns gar nichts anderes vorstellen, mehr...
- Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Unwort des Jahres: Bielefeld (ots) - Die Jury rief, und tatsächlich: ein paar kamen.
Sechs Sprachkritiker haben aus 2224 Vorschlägen die 269 Mal genannten
»Döner-Morde« zum Unwort des Jahres gewählt. 2224 Einsender. So viele
wie nie zuvor. Wenn man jetzt ernstlich böse werden wollte, müsste
man die Rechnung aufmachen, dass sich in diesem Land überhaupt nur
0,003 Prozent der Bürger für sprachliche Fragen interessieren, aber
man will ja nicht ernstlich böse werden. Viel lieber möchte man sich
freuen, dass ein diskriminierender Begriff demaskiert, markiert mehr...
- Thomas Gottschalk im stern: TV-Star verteidigt den Präsidenten und sieht sich selbst als "Hofnarren" und "Gesichtsvermieter" - Für Geerkens den Nikolausball moderiert Hamburg (ots) - Für Thomas Gottschalk ist die Affäre um Christian
Wulff nur "ein großer Klamauk". Man könne sich darüber "nur noch
lustig machen oder aufregen", sagt der TV-Entertainer im großen
Interview in der neuen, am Donnerstag erscheinenden Ausgabe des
stern. Für das Aufregen sei er mit seiner neuen Show aber nicht
zuständig. "Ich habe mich in der Rolle des Hofnarren immer sehr wohl
gefühlt. Und der ist nah bei den Herrschenden. Den inzwischen
berühmten Egon Geerkens kannte ich schon, da war der Herr Wulff ein
Knabe. Ich habe mehr...
- Neue OZ: Kommentar zu Hauptstadt / Marx Engels / Denkmal Osnabrück (ots) - Architektur der Sieger
Herrscher früherer Zeiten gefielen sich darin, die Welt nach ihren
Vorstellungen zu gestalten. Wuchtige Residenzen künden davon, ebenso
wie imposante Denkmäler, mit denen sie zentrale Plätze schmückten. So
feierten sie ihre Macht und Stärke. Das war das Recht der Starken.
Heute setzen Bauwerke und Denkmäler im Idealfall Zeichen:
Zukunftsvisionen manifestieren sich darin ebenso wie
Geschichtsbewusstsein. Und Letzteres fördert man nicht, indem man
Denkmäler abreißt. Der Kommunismus ist mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Alles rund um die Kultur
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
Pinocchio erreicht Gold in Deutschland mit Top-3-Hit "Klick Klack" - "Mein Album!" erscheint am heutigen Tag - Neue Single "Pinocchio in Moskau (Kalinka)" folgt am 17. März
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|