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DER STANDARD - Kommentar "Der Gipfel der Zweifler" von Alexandra Föderl-Schmid

Geschrieben am 27-01-2012

Kapitalismuskritik beherrschte heuer das Weltwirtschaftsforum
in Davos Ausgabe vom 28./29.1. 2012

Wien (ots) - Kapitalisten kritisieren den Kapitalismus. Das ist
neu beim Weltwirtschaftsforum. So viel Systemkritik gab es noch nie
in Davos wie im 42. Jahr nach der Gründung. Dass der Kapitalismus als
Modell in einer veritablen Krise steckt, wurde beim diesjährigen
Gipfel der Mächtigen mehr als deutlich. Schon vor der Eröffnung ließ
Forumsgründer Klaus Schwab mit der Feststellung aufhorchen: "Das
kapitalistische System passt nicht mehr in die heutige Welt." Und
Schwab ist kein Linker.
Statt des traditionellen Konjunkturausblicks zu Beginn des Treffens
gab es heuer eine "Debatte über den Kapitalismus". Die Hälfte der
Zuschauer hob die Hand, als der Moderator fragte, ob es stimme, dass
diese Wirtschaftsform der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht
gerecht werde.
Weniger Exzesse, weniger unerfüllbare Versprechen, die sozialen
Aspekte im Blick haben und die ökonomischen Ungleichgewichte angehen
- das waren Forderungen, die auf fast allen Podien zu hören waren.
Immer wieder war von Moral und sehr häufig von Werten die Rede. Auch
die Religion wurde vielfach beschworen. Nicht nur, weil ungewöhnlich
viele Bischöfe und buddhistische Mönche als Diskussionsteilnehmer
auftraten. Beifall erhielten vor allem jene, die sich als "soziale
Unternehmer" auswiesen.
Dazu passte, dass heuer die üblichen großen Demonstrationen von
Globalisierungskritikern ausfielen, die häufig von Ausschreitungen
begleitet waren: Durch den Ort schlenderten Spaziergänger, die eine
Leine und einen Maulkorb in der Hand hatten - ein ruhiger Protest
mit der Forderung, "die Unternehmen an die _Leine zu legen". Die
Mitglieder der Occupy-Bewegung, die in Iglus in Davos campierten,
wurden zum viel besuchten Ausflugsziel.
Davos gilt als Spiegel dessen, was die Weltwirtschaft bewegt.
Selbstzweifel und Kapitalismuskritik haben die ökonomische _und
wissenschaftliche Elite okkupiert. Demnach ist der Kapitalismus
westlicher Prägung mehr als 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen
Vorhangs und im fünften Jahr der Finanzkrise in einer
Selbstfindungsphase.
Deutlich wurde auch: Zum Kommunismus will niemand zurück, die reine
Marktwirtschaft predigen aber selbst Spitzenmanager und Banker nicht
mehr. Die soziale Marktwirtschaft - mit Betonung auf Ersterem - war
das am häufigsten genannte Ziel. Das Modell des Staatskapitalismus,
wie es etwa Singapur vertritt, ist zumindest für Europäer nicht
erstrebenswert.
Aber dass der Staat Vorgaben gibt - und sogar noch mehr vorgeben
muss -, war überraschender Konsens. Von politischer Seite wurden noch
mehr Entscheidungen angemahnt, insbesondere von den Europäern, im
Speziellen von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die
Europäer fanden sich im Übrigen in der ungewohnten Rolle, an den
Pranger gestellt zu werden.
Die von Schwab geforderten Lösungen hat das Treffen nicht gebracht.
Zumindest nicht solche, die in klare Formeln gegossen werden können.
Aber dass alle inmitten eines großen Transformationsprozesses
stecken, ist allen sehr bewusst. Dazu hat auch der Arabische Frühling
beigetragen und Protestbewegungen wie Occupy rund um den Globus.
Davos markiert Diagnose und Aufbruchsstimmung zugleich - von
praktischen Umsetzungen sind wir aber noch weit entfernt.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom


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