Westdeutsche Zeitung: Griechenland darf trotz seiner Fehler nicht entmündigt werden =
von Lothar Leuschen
Geschrieben am 30-01-2012 |
Düsseldorf (ots) - Es geht drunter und drüber in der Europäischen
Union. Ein Mitglied ist längst pleite, weitere Nationen stehen
bedenklich nahe am Abgrund. Und das Treffen der Staats- und
Regierungschefs gestern in Brüssel war eher dazu angetan, allen einen
Schubs zu geben. Dass ausgerechnet aus Berlin der abstruseste
Vorschlag in der Kakophonie aller Lösungsvorschläge kam, macht die
ganze Situation noch schlimmer als sie ohnehin ist. Schließlich ist
Deutschland wirtschaftlich das Rückgrat der Euro-Zone und immer dann
gefragt, wenn es gilt, noch ein wenig mehr Geld in die Kassen
notleidender Staaten zu pumpen.
Genau aus diesem Grund dürften Unionspolitiker auf die Idee
gekommen sein, weitere Finanzhilfen für Griechenland an die Bedingung
zu knüpfen, dass die EU in Athen die Federführung in der
Haushaltspolitik übernimmt. Mit anderen Worten: Wenn die Griechen
Geld haben wollen, dürfen sie nicht mehr Herr im eigenen Haus sein.
Wer weiß, dass Deutschland jeden vierten Euro zur Rettung der
Pleitestaaten und damit der Einheitswährung beitragen muss, wenn es
wirklich hart auf hart kommt, der mag Verständnis dafür aufbringen,
dass Politiker sich auf der Suche nach Lösungen am Stammtisch
bedienen. Schließlich stehen hinter Deutschland Millionen von
Steuerzahlern, die auslöffeln, was Hasardeure an den Finanzmärkten,
Steuerhinterzieher und offenbar überforderte, womöglich unfähige
Politiker ihnen beispielsweise in Griechenland eingebrockt haben. Und
da im nächsten Jahr in Deutschland im Bund sowie unter anderem in
Bayern gewählt wird, kann es nützlich sein, dem Volk aufs Maul zu
schauen.
Aber so kurz denken die meisten Deutschen gar nicht. Sie warten
vielmehr mit zunehmender Ungeduld darauf, dass Europa endlich einen
gemeinsamen Weg aus der Krise findet. Sie erwarten, dass Europa jene
zur Kasse bittet, die mit einer Kasino-Mentalität dazu beigetragen
haben, dass die EU heute mit dem Rücken zur Wand steht. Eine
gemeinsame, einheitliche Steuer auf Finanzmarkttransaktionen wäre ein
längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung. Mit Plänen für
die Entmündigung ganzer Staaten hingegen legt die EU die Lunte an ein
Pulverfass, mit dem sie sich selbst sprengt.
Pressekontakt:
Westdeutsche Zeitung
Nachrichtenredaktion
Telefon: 0211/ 8382-2358
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