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"Die Arbeit ist kein Frosch, sie hüpft nicht weg" - Interview mit dem Arzt und Stressexperten Dr. Jörg Peter Schröder

Geschrieben am 31-01-2012

Hannover (ots) - Burn-out gehört zu den medizinischen Topthemen in
den Medien. Schließlich empfinden viele Menschen so: ausgebrannt,
erschöpft, am Ende. Laut "Fehlzeiten-Report 2011" der AOK sind
Burn-out-Symptome inzwischen für fast zehn Prozent der
Krankschreibungen in Deutschland verantwortlich. Ist Burn-out also
doch mehr als ein Modewort und Medienthema? Und wie kann man einen
Burn-out vermeiden oder sich aus der Überlastungsspirale retten?
Antworten dazu gibt Dr. Jörg Peter Schröder.

Herr Dr. Schröder, vom Burn-out scheinen mittlerweile viele
Menschen aus ganz unterschiedlichen Berufen betroffen zu sein. Ist
aus einer Managerkrankheit eine Volksseuche geworden?

Jörg Peter Schröder: Erstens: Manager sind ohnehin nicht die
primäre Gruppe. Und zweitens: Früher haben die Leute nicht so offen
über diese Thematik gesprochen. Diese Offenheit ist aber nur die eine
Seite. Was wir auch feststellen müssen, ist, dass die Komplexität und
die Arbeitsverdichtung immer höher geworden sind. Früher haben wir
einen Brief geschrieben, haben ihn frankiert und weggeschickt. Dann
war er drei Tage unterwegs, anschließend gab es einen Eingangsstempel
in der Firma, dann wurde der Brief gelesen, danach wurde die Antwort
diktiert, die nach weiteren drei Tagen weggeschickt wurde. Heute
bekommt man doch schon nach zwei Stunden einen Anruf: 'Warum hast du
die E-Mail noch nicht beantwortet?' Wenn Menschen ein Blackberry oder
ein iPhone - man könnte auch sagen eine elektronische Fußfessel -
benutzen, dann haben sie das Gefühl, dass sie abends vor dem
Insbettgehen um 22 Uhr noch E-Mails checken müssen. Vielleicht wäre
es aber viel klüger, das Ding einfach abzuschalten. Denn die Arbeit
ist kein Frosch, sie hüpft nicht weg und ist morgens immer noch da.

Menschen in sozialen Berufen sind gefährdet. Wenn es nicht
zwangsläufig die Manager sind, welche Gruppe ist denn besonders
gefährdet?

Jörg Peter Schröder: Besonders betroffen sind Frauen, weil sie die
Doppel- und Dreifachbelastung haben, als Mutter, Hausfrau und
Karrierefrau. Gefährdet sind Personen, die die Messlatte der
Ansprüche an sich selbst und an andere viel zu hoch legen. Die
Menschen, die nicht nein sagen können und sich immer für andere
aufopfern. Aber: Man kann lernen, nein zu sagen! Wenn ich das Gefühl
habe, dass ich immer für andere da bin, dann bin ich zwar perfekt
darin, mich selbst zu überspringen, aber ich bin nicht mehr für mich
selbst da. Gerade Menschen, die in sozialen Berufen tätig sind -
Krankenschwestern oder Lehrer -, sind extrem stark gefährdet.

Die sieben Phasen

Wie kann ich denn selbst feststellen, dass ich mich auf einen
Burn-out zubewege?

Jörg Peter Schröder: Wir unterscheiden sieben Phasen. Die erste
ist die vermehrte idealistische Begeisterung. Nehmen wir mal das
Beispiel eines jungen Lehrers. Er ist fertig mit seinem Studium und
geht an die Schule. Dann hat er diese Ambivalenz aus sehr starkem
hyperaktiven Engagement und einer flammenden Begeisterung für sein
Fach und muss feststellen, dass die Schule gar nicht so ist, wie er
sich das vorgestellt hat. In der nächsten Phase, in der Distanz,
setzt dann eine Ernüchterung oder sogar ein Widerwille ein, sodass
seine ursprüngliche positive Einstellung gar nicht mehr zu erkennen
ist. Danach beginnt er möglicherweise, zu emotionalisieren, und
stellt dann in der nächsten Phase fest, dass seine Konzentration und
seine Merkfähigkeit abnehmen. Und dann setzt vielleicht so etwas ein
wie eine desinteressierte Gleichgültigkeit. Wenn dann noch
körperliche Symptome dazu kommen, wie zum Beispiel Ohrgeräusche,
Einschlaf- oder Durchschlaf-Störungen, Albträume, Schmerzen in den
Muskeln, Übelkeit, Magen- und Darmprobleme, ist er schon in der
sechsten Phase. Und die siebte Phase, die letzte, die ich mit 'Rien
ne va plus' bezeichne, geht einher mit maximaler negativer
Einstellung gegenüber dem eigenen Leben, mit schweren Depressionen,
dem Gefühl von Sinnlosigkeit, von Hoffnungslosigkeit, Angst,
vielleicht Verzweiflung und existenzieller Bedrohung. Dann geht es
nicht mehr um Coaching, dann müssen die Leute in eine vollstationäre
psychosomatische Behandlung.

Muss denn die von ihnen geschilderte Entwicklung zwangsläufig so
vonstattengehen?

Jörg Peter Schröder: Nein. Es kann sein, dass ich aus der Phase
drei oder vier wieder ganz normal herauskomme, indem ich meine
Ressourcen wieder gut reaktiviere. Es kann aber auch ein ganz
schnelles Rutschen in die Phase sechs oder sieben passieren.

Angenommen, ich merke als Lehrer, dass ein Kollege ausgebrannt und
erschöpft wirkt. Was kann ich tun? Kann ich helfen?

Jörg Peter Schröder: Ja, wenn Sie sich nicht zum Psychologen
aufschwingen und sagen 'Du hast einen Burn-out', sondern einfach Ihre
persönliche Wahrnehmung in Sätze formulieren. 'Mir fällt auf, dass Du
zunehmend gereizt bist', 'Ich habe den Eindruck, dass Du total
übermüdet bist'. Dann sind Sie in einer Ich-Dimension und sagen
nicht, 'Du bist aber aggressiv'.

Gern wird auch von wohlmeinenden Menschen der Begriff
"Work-Life-Balance" eingesetzt. Steckt dahinter ein
vielversprechendes Konzept?

Jörg Peter Schröder: Ich mag dieses Wort "Work-Life-Balance"
überhaupt nicht, weil es eine Schere zwischen Work und Life aufbaut.
Ich bin der Meinung, dass Arbeit integraler Bestandteil des eigenen
Lebens ist. Deshalb spreche ich immer von "Work-Life-Integration",
dass nämlich beide Phasen sinnvoll verzahnt werden müssen. Ich möchte
mit dem Vorurteil aufräumen, dass wir uns nur während unserer
Freizeit regenerieren und während der Arbeit nur Energie
verschwenden. Viele Menschen ziehen auch unglaublich viel Energie aus
der Arbeit. Das heißt auch, sich darüber Gedanken zu machen, welches
sind die Punkte, die mir ganz konkret Energie abziehen und welches
sind die Punkte, die mir sehr, sehr gute Energie geben? Das kann im
Privaten sein, und das kann im Beruflichen sein. Es gibt viele Leute,
die unheimlich hohe Stressoren auch innerhalb der familiären
Dimension haben. Insofern gehen diese Leute vielleicht lieber
arbeiten. Und andere haben ganz, ganz viel Spaß, wenn sie mit ihren
Kindern und Partnern zusammen sind. Das heißt, jeder muss für sich
seine ganz individuelle Inventur machen, was ihm Energie abzieht und
was ihm sehr, sehr gute Energie gibt.

Und diese Inventur kann ich auch alleine vornehmen oder brauche
ich professionelle Hilfe?

Jörg Peter Schröder: Nein, die kann zunächst jeder für sich
vornehmen. Indem er für sich feststellt: Wie ist das eigentlich
während des Tages? Wenn ich eine Energiewanne aufmale und mir
vorstelle, ich gehe morgens zur Arbeit, denke ich dann am Ende des
Tages, dass die Energiewanne gefüllter ist oder leerer? Und was sind
die Punkte, die mir ganz konkret Energie abgezogen haben? Und was
sind die Punkte, die mir richtig, richtig gut getan haben? Vielleicht
mal ein Lob, eine Anerkennung, Wertschätzung und Respekt. Vielleicht
auch ein Lächeln oder: Wie gehen andere mit mir um, wie gehe ich mit
mir selbst um?

Zur Person

Dr. Jörg Peter Schröder ist Arzt, Führungs-Coach und Autor
etlicher Fachpublikationen. Zuletzt erschienen: "Wege aus dem
Burn-out", Mannheim. Auf der didacta 2012 in Hannover wird Dr.
Schröder über den Umgang mit Burn-out Symptomen im Berufsschulalltag
referieren.

Dazu auf der didacta 2012

14. Februar 2012

Burn on - Brennen, ohne auszubrennen. Umgang mit Burn-out
Symptomen im Berufsschulalltag, Referent: Dr. Jörg-Peter Schröder, 11
bis 11.45 Uhr, Halle 16, Stand G 14, Marktplatz Beruf ist Zukunft

16. Februar 2012

Ausgebrannt oder verheizt? Burn-out als Gesellschaftskrankheit,
14.30 bis 15.30 Uhr, Halle 14, Stand G 58 Forum Wirtschaft und
Weiterbildung

Burn-out - Strategien der Vorbeugung, Referentin: Heike Kunkel, 16
bis 16.30 Uhr, Halle 16, Stand G 14, Marktplatz Beruf ist Zukunft

17. Februar 2012

Leistungsfähigkeit (didacta Trainertag), Referent: Prof. Dr. Uwe
Genz, 15.45 bis 16.30 Uhr, Convention Center (CC), Saal 11



Ansprechpartnerin für die Redaktion:
Andrea Staude
Tel.: +49 511 89-31015
E-Mail: andrea.staude@messe.de

Weitere Pressetexte und Fotos finden Sie unter:
www.didacta-hannover.de/de/presseservice


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