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BERLINER MORGENPOST: Rudi Assauer, der öffentliche Patient - Leitartikel

Geschrieben am 06-02-2012

Berlin (ots) - Krankheiten, zumal unheilbare, sind eine
höchstpersönliche Angelegenheit. Niemandem, außer dem Betroffenen,
seinen Nächsten und den Medizinern, steht ein Urteil zu, schon gar
keine Abwertung. Moralische Ferndiagnosen verbieten sich,
Therapie-Ratschläge sind mit Vorsicht zu erteilen. Kranke stehen
unter Schutz. Gut so. Wenn Patienten allerdings auf ihre Privatheit
verzichten, wenn sie eine niederschmetternde Diagnose womöglich gar
benutzen, dann liegt die Sache anders. Der Fußball-Manager Rudi
Assauer war Zeit seines Berufslebens immer großzügig mit intimen
Details. Jetzt wird sein Leben als Alzheimer-Patient nach den
klassischen Regeln des medialen Zugewinns publiziert: Buch,
Titelstorys, Talkshow-Auftritte, am Dienstagabend eine
ZDF-Dokumentation und alsbald sicher noch ein hübscher Job aus der
Pharma-Ecke. Eilends wurde die PR-Maschinerie früher gezündet als
geplant, der Krankheitsverkauf diktiert nun mal das Marketing. Schwer
zu beurteilen, inwieweit Assauer Herr des Verfahrens ist. Unglücklich
wirkt er nicht, schließlich ist er im Fernsehen. Nein, verboten ist
das alles nicht. Ja, das Publikum nimmt teil und kauft bereitwillig
das Buch zum Siechtum und die Kräutertropfen gleich dazu. Natürlich
darf jeder, der die Chance hat, ein paar Euro verdienen und ein
therapeutisch sicher wertvolles Blitzlichtgewitter mitnehmen. Es
hieße allerdings, den alten Medienfuchs und sein Team zu
unterschätzen, würde man allein die herzerweichende Story vom
verwirrten, gealterten Mann sehen, der immer so ein Herzensguter war
und Schalke den Uefa-Cup schenkte. Nein, hier wird natürlich auch
eine Vita weicher gezeichnet, als sie in Wirklichkeit ist. Bei allem
Mitgefühl bleibt festzuhalten, dass der Fußball-Manager gleich
zweimal im Unfrieden vom FC Schalke schied, dass er für eine sinistre
Zockerbude warb oder seine einstige Partnerin Simone Thomalla
öffentlich züchtigte. Die ewige Zigarre kann man für Kult halten,
muss man aber nicht. Er ist ein Typ, aber kein Vorbild. Assauers
Zuhause war stets die Bühne, und genau so geht er jetzt mit der
Krankheit um - als Ego-Show. Die wahren Helden des Alltags aber sind
die Hunderttausende, die mit wenig Geld, wenig Platz und ohne
promi-gestützte medizinische Versorgung ein ähnliches Schicksal
meistern. Vielen Alzheimer-Erkrankten mag der öffentliche Patient
Assauer eine Stütze sein, weil er die Aufmerksamkeit auf die
tückische Krankheit lenkt. Dennoch bleibt Beklommenheit, wann immer
Prominente ihr Leiden ausbreiten: Schlingensiefs Krebs, die
öffentliche Reha von Monica Lierhaus, Gaby Kösters Schlaganfall - wo
verläuft die Grenze zwischen Mitgefühl und Voyeurismus? Wo fängt
Pietät an, wo hört eiskaltes Marketing auf? Wie viel Autonomie darf
man bei den Kranken vermuten? Hinzu kommt der ins Peinliche spielende
Zeigestolz mancher Medienvertreter, verbunden mit schleimiger
Betroffenheits-Dackelei. Wäre schön, wenn sich diese Menschen ebenso
einfühlsam um die demente Dame aus ihrer Nachbarschaft kümmerten.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Chef vom Dienst

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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