Westdeutsche Zeitung: Jede Nicht-Putin-Stimme ist ein Indikator bröckelnder Macht - Der Präsident muss Reformwillen zeigen
Ein Kommentar von Anja Clemens-Smicek
Geschrieben am 04-03-2012 |
Düsseldorf (ots) - Das Land braucht einen Zaren - mit diesen
Worten hatte der Präsident der Wolga-Region Tatarstan noch kurz vor
der Wahl die Werbetrommel für Wladimir Putin gerührt. Dass Russland
diesen Zaren auch bekommt, stand außer Zweifel. Doch sieht ein
triumphaler Einzug in den Kreml anders aus, auch wenn das Ergebnis
anderes vorgaukeln mag. Schwere Betrugsvorwürfe säumen Putins Weg,
und die Zahl jener wächst, die es satt haben, als Statisten in seinem
Polittheater zu fungieren. Jede Nicht-Putin-Stimme ist ein Indikator
für seine bröckelnde Macht.
Der künftige Präsident hat nicht mitbekommen, dass allein
Patriotismus eine erfolgreiche Politik nicht mehr trägt. Nach dem
Zerfall der Sowjetunion, in den Zeiten von Armut und Rubelabwertung
brauchte das Riesenreich jemanden, der ihm nationalen Stolz und
internationale Größe zurückgab. Inzwischen aber ist eine neue
Generation herangewachsen. Selbstbewusst, gebildet und aufmüpfig.
Eine Generation, die Korruption und Justizwillkür den Kampf ansagt
und zu der Putin zunehmend den Kontakt verliert. Sein Machtgebaren
und seine Macho-Posen wirken gerade auf die Jugend nur noch
lächerlich. Die Aussicht auf mindestens sechs weitere Jahre der
Agonie birgt einen politischen Sprengsatz, den Putin nicht wird
kontrollieren können. Zumal die auf den Abbau von Rohstoffen fixierte
Wirtschaft stagniert und sich Wohltaten, so wie er sie im Wahlkampf
zuhauf versprach, nicht finanzieren lassen.
Wenn der Mann im Kreml eine Revolution verhindern will, muss er
lernen, Kompromisse zu schließen und die Metamorphose vom autoritären
Herrscher zum Pragmatiker zu durchleben. Ex-Präsident Michail
Gorbatschow hat Putins Dilemma treffend auf den Punkt gebracht: "Wenn
er sich nicht selbst überwindet und die Dinge ändert, wird alles auf
den Plätzen der Städte enden."
Der internationalen Staatengemeinschaft zumindest dürfte kaum
daran gelegen sein, dass auf den Arabischen Frühling ein Russischer
Sommer folgt. Gerade Deutschland ist auf das Land als stabilen
Rohstoff- und Handelspartner angewiesen. Bislang muss sich
hierzulande niemand Sorgen machen um die Erdöl- und Gaslieferungen.
Doch wir sollten uns nichts vormachen: Die russische Zarendämmerung
hat begonnen.
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