Kunstmarkt : exklusivinterview mit Thierry Ehrmann, Gründer und CEO von Artprice (7. März 2012)
Geschrieben am 07-03-2012 |
Paris (ots/PRNewswire) -
Boursica:
Am 5. Juni und 9. Oktober haben wir mit Ihnen ausführlich
gesprochen. Jetzt sind wir Anfang März 2012 und die Auktionen haben
vor eineinhalb Monaten begonnen. Welche Erfahrungen haben Sie
gesammelt?
http://www.newscom.com/cgi-bin/prnh/20110609/461260
Thierry Ehrmann:
Um dieses Gespräch gut zu verstehen, sollten Ihre Leser zuerst
die beiden Interviews vom 5. Juni 2011 [http://www.borussia.com/inte
rviews-bourse/artprice-thierry-ehrmann-5-juin-2011.php ] und vom 9.
Oktober 2011 [http://www.boursica.com/interviews-bourse/artprice-thi
erry-ehrmann-9-octobre-2011.php ] lesen, auf denen ich aufbaue.
Nachdem wir also 16 Jahre lang gegen eines der ältesten Monopole der
Welt gekämpft hatten, konnten wir am 18. Januar 2012 endlich mit den
Auktionen beginnen. In Frankreich waren Kunstauktionen nämlich nach
einem Edikt aus dem Jahr 1556 genehmigungspflichtig. Es ist uns
jedoch schliesslich gelungen, den freien Wettbewerb auf der Grundlage
des Gesetzes vom 20. Juli 2011 durchzusetzen.
Boursica:
Sie sind also ein Auktionshaus geworden?
Thierry Ehrmann:
Nein, genau genommen sind wir über unseren standardisierten
Auktionsmarktplatz(R) Online-Auktionsmakler gemäss Section 5 des
Gesetzes 2011-850 vom 20. Juli 2011 geworden.
Boursica:
Könnten Sie das etwas genauer erklären?
Thierry Ehrmann:
Artprice hält zahlreiche Patente im Rahmen des geistigen
Eigentums (Schutzrechte, Software, Urheberrecht etc.) und kann so
weltweit einzigartige Verfahren zur Standardisierung des Kunstmarkts
einsetzen, mit denen wir über unseren standardisierten Marktplatz
Angebot und Nachfrage in Echtzeit zu Festpreisen oder im Rahmen von
Versteigerungen zusammenbringen. Wir haften nicht für die Auktion, da
wir nicht an die Parteien (Käufer und Verkäufer) gebunden sind. Der
Verkäufer wählt auf Grundlage seiner eigenen Kriterien das für ihn
günstigste Angebot aus und zahlt uns 5 bis 9 Prozent Provision für
die Nutzung unseres standardisierten Marktplatzes und unserer
Kundendatei. Diese Datei ist derzeit die umfangreichste der Welt. Sie
zählt 1,4 Millionen Mitglieder, von denen wir genau wissen, was sie
suchen oder anbieten.
Boursica:
Sprechen wir über die letzten eineinhalb Monate. Was haben Sie in
diesen sieben Wochen festgestellt?
Thierry Ehrmann:
Zuerst haben wir eine einzigartige Herausforderung angenommen. Am
18. Januar 2012 standen mehr als 5.000 Posten im Wert von über 810
Millionen Euro zum Verkauf. Die Preise reichten von einigen Hundert
Euro bis hin in den zweistelligen Millionenbereich.
Um die ersten 45 Auktionstage besser zu beschreiben, muss ich
zuerst erklären, wie die Transaktionen sich auf Artprice entwickelt
haben. Der standardisierte Festpreis-Marktplatz ging am 18. Januar
2005 online. Er fand sofort grossen Anklang. 2005 wurden Kunstwerke
im Wert von 1,2 Milliarden Euro angeboten, 2006 waren es bereits mehr
als 2,7 Milliarden Euro, 2007 3,6 Milliarden Euro, 2008 4,5
Milliarden Euro und 2009 5,4 Milliarden Euro. 2010/2011 stabilisierte
das Angebot sich bei rund 6,3 Milliarden Euro. Etwa 30 Prozent der
Angebote führten zu Abschlüssen, für die wir keine Provisionen
erhielten. Die genauen Zahlen stehen im Referenzdokument, das auf
ActusNews abgerufen werden kann, einer von der französischen
Finanzmarktaufsicht AFM zugelassenen Website. 2012, als die Auktionen
eingeführt wurden, reagierten die Kunstmarktteilnehmer sehr positiv.
Die Versteigerungen fanden sofort grossen Anklang. Der harte Kern
rund um Drouot, das heisst die alte, unbelehrbare Garde, war jedoch
äusserst negativ eingestellt und versuchte sich sogar mit Drohungen,
was bis dahin in Europa undenkbar gewesen war.
Boursica:
Sprechen wir zuerst über die positive Reaktion und den Erfolg.
Thierry Ehrmann:
Eine Generation von Galeristen, Auktionshäusern, Kunsthändlern,
Künstlern, Sammlern und Kunstliebhabern hat sehr schnell verstanden,
dass nichts mehr so wie früher sein wird. Durch die zeitliche
Begrenzung der Auktionen ist die Zahl der Transaktionen im Vergleich
zum Festpreismarkt, wo die Zeit keine so wichtige Rolle spielt, in
die Höhe geschnellt. In den folgenden Tagen konnten wir den Traffic
gemessen an Bandbreite und Anmeldungen verfünffachen. Wir erhielten
äusserst vielfältige Berichte und Beiträge. Artprice bietet mit ihrer
Kundendatei, der umfangreichsten der Welt (1,4 Millionen Mitglieder),
und Milliarden von Verhaltenslogs, die gemäss den europäischen und
französischen Richtlinien gespeichert sind, einer ganzen Generation
von Marktteilnehmern zwischen 25 und 50 Jahren die Möglichkeit, von
zu Hause oder dem Büro aus in wenigen Sekunden mehrere Zehntausend
potenzielle Käufer in Bezug auf bestimmte Künstler aus der ganzen
Welt anzusprechen, auch noch kaum bekannte, und deren Werke
anzubieten. Wir hatten einzigartige Diskussionen mit diesen
Teilnehmern, die den Mut haben, ihre eigenen Vertriebsverfahren in
Frage zu stellen.
Boursica:
Worum ging es in diesen Diskussionen?
Thierry Ehrmann:
Diese Akteure des Kunstmarkts stellen ihre gesamte Tätigkeit in
Frage. Sie entdecken plötzlich, dass sie tatsächlich mehr Käufer
ansprechen können als die grössten Auktionshäuser und die
berühmtesten Galeristen der Welt. Sie sind auf ihre eigenen
Kundendateien beschränkt und müssen an kostspieligen internationalen
Kunstmessen teilnehmen, um auf anderen Erdteilen Fuss zu fassen,
während ihnen Artprice und der standardisierte Auktionsmarktplatz
einen wirtschaftlichen Paradigmenwechsel ermöglicht, mit dem sie über
das Internet alle fünf Kontinente erobern können.
Boursica:
Was verstehen Sie unter einem wirtschaftlichen Paradigmenwechsel?
Thierry Ehrmann:
Sie verstehen, dass ihr betriebswirtschaftliches Modell, d.h.
hohe Margen und wenige Verkäufe, da sie keine grosse Kundendatei
haben, nicht mehr tragbar ist. Einige erwägen, einen Teil ihrer
Galerie oder eine Zweigstelle zu schliessen, andere wiederum denken
daran, die physischen Verkaufsräume aufzugeben. Sie entdecken, dass
der weltweite Kunstmarkt, der in den Nachkriegsjahren 500.000 Sammler
zählte und heute 450 Millionen "Kunstkonsumenten" umfasst, ihnen
endlich offen steht und sie in wenigen Minuten von zu Hause oder
ihrem Büro aus auf ihn zugreifen können. So können sie ihre viel zu
hohen Margen kürzen und ihren Umsatz in einem solchen Mass steigern,
wie sie es sich wegen der mangelnden Ressourcen und fehlenden
Internetkenntnisse nie erhofft hätten. In eineinhalb Monaten haben
wir viele Hemmnisse und Schwierigkeiten abgebaut. Wenn wir die 14
Tage der Auktion, die Lieferung-Zahlung an einen vertrauenswürdigen
Dritten (rund 14 Tage bei internationalen Überweisungen) und den
Abschluss zwischen Käufer und Verkäufer, der für die endgültige
Freigabe zuständig ist, berücksichtigen, dann gehen bei uns jetzt
erst die Provisionen aus den ersten Auktionen 2012 ein. Wir werden
sicher bald angenehme Überraschungen erleben, da seit der Eröffnung
der Auktionen am 18. Januar 2012 immer mehr Versteigerungen auf dem
standardisierten Marktplatz abgehalten werden.
Boursica:
Haben Sie Ihr Postulat mit dem der angelsächsischen
Auktionshäuser verglichen?
Thierry Ehrmann:
Sie müssen unbedingt den ganzseitigen Artikel von Martine Robert
in der französischen Tageszeitung Les Echos vom 3. März 2012 lesen,
wo dem Jahresbericht von Artprice über den Kunstmarkt ein Gespräch
mit dem Präsidenten von Christie's gegenübergestellt wird, der
abschliessend bemerkt: "Die Zukunft des Middle Market zwischen 800
und 10.000 Euro liegt im Internet." Wer könnte es besser wissen als
Christie's?
Als Präsident von Artprice möchte ich unterstreichen, dass 81
Prozent der Transaktionen weltweit auf dieses Marktsegment entfallen.
Sogar eine altehrwürdige Institution des Kunstmarkts ist demnach der
Ansicht, dass 81 Prozent über das Internet laufen werden, d.h. über
unseren standardisierten Marktplatz, da wir die unbestrittenen
Marktführer auf diesem Gebiet sind.
Boursica:
Sie haben Hemmnisse und Schwierigkeiten erwähnt. Könnten Sie
näher darauf eingehen?
Thierry Ehrmann:
Ein grosses Problem war die vertrauenswürdige dritte Partei. Wir
haben uns an den weltweit führenden Treuhänder "escrow.com" gewandt.
Die Vorgangsweise des Unternehmens ist perfekt, leider akzeptiert
es aber nur Zahlungen in US-Dollar, was vor allem für europäische
Kunden ein beachtliches Hindernis darstellt. Wir haben also im Rahmen
einer Ausschreibung nach einem zweiten vertrauenswürdigen Dritten
gesucht und ihn auch in einer Rekordzeit gefunden. Transpact mit Sitz
in England verwaltet seit Mitte Februar Zahlungen in US-Dollar, Euro
und Britischen Pfund. Schliesslich mussten wir noch die
Verständigungsprobleme lösen.
Artprice ist in sechs Sprachen übersetzt, aber die Texte auf den
Websites der Treuhänder sind ausschliesslich auf Englisch verfasst.
Da die auf dem Spiel stehenden Beträge sehr hoch sind, wollen unsere
Kunden natürlich jede einzelne Etappe genau verstehen, sowohl die
rechtlichen Aspekte als auch die praktischen Seiten. Sie wollen
wissen, wie die Treuhandverwaltung und die Freigabe funktionieren.
Boursica:
Warum haben Sie nicht ganz einfach für jede Sprache einen
vertrauenswürdigen Dritten gewählt?
Thierry Ehrmann:
Ich muss gestehen, dass zum Beispiel in Frankreich keine Bank und
kein Finanzinstitut unseren Ansprüchen genügen konnte, obwohl die
treuhänderisch verwalteten Beträge mit der Zeit steil steigen werden
und das Konzept des vertrauenswürdigen Dritten in der digitalen
Wirtschaft auch andere Branchen betrifft als Artprice und den
Kunstmarkt. Das erklärt wohl auch den mangelnden Erfolg der Franzosen
in der globalen digitalen Wirtschaft.
Boursica:
Gibt es eine Lösung? Warum machen Sie es nicht selbst?
Thierry Ehrmann:
Im Sinne des französischen Gesetzes vom 20. Juli 2011 über
Online-Auktionen, vor allem Section 5, der als Section 321-3 im
Handelsgesetzbuch (Absatz 2 und 3) übernommen wurde, muss der
vertrauenswürdige Dritte, der den Betrag treuhänderisch verwaltet und
die Ware freigibt, von Artprice völlig unabhängig sein, sowohl auf
rechtlicher als auch auf finanzieller Ebene. Ich versichere Ihnen,
dass wir unseren beiden Partnern gezeigt haben, wie viel Kunden, und
es handelt sich um eine beeindruckende Zahl, auf der Website der
vertrauenswürdigen Dritten aufgegeben haben, weil ihres Erachtens die
Überweisung von hohen Beträgen in einer Fremdsprache, die sie nicht
genau verstehen, bedeutende Risiken birgt. Als wir unseren Partnern
gezeigt haben, wie hoch der Prozentsatz der abgebrochenen
Transaktionen ist, waren sie sofort davon überzeugt, dass sie ihre
Website und API in die Sprachen von Artprice (Französisch, Englisch,
Deutsch, Italienisch, Spanisch und Chinesisch) übersetzen müssen.
Dieses Problem wird also schon im zweiten Quartal gelöst sein.
Ausserdem werden wir einen dritten Partner als vertrauenswürdigen
Dritten in der Region Asien-Pazifik suchen.
Boursica:
Ist der Aufbau des standardisierten Marktplatzes jetzt
abgeschlossen?
Thierry Ehrmann:
Ja, alles Wesentliche ist jetzt da. Aber bei Artprice sind wir
daran gewöhnt, umfassende, synthetische Lastenhefte zu erstellen, die
wenig personalintensiv sind. Dabei lassen wir gezielt Platz für
verschiedene Erweiterungen, die uns von unserem Customer Service auf
der Basis der Kundenwünsche aus aller Welt vorgeschlagen werden. Ein
enormes IT-Entwicklungsprogramm mit einem monströsen Lastenheft, das
den internationalen Kunden aufgezwungen wird, wäre völlig falsch. Die
Franzosen versuchen gern den anderen ein Produkt aufzudrängen, das
ihrem eigenen Geschmack entspricht. Artprice tut genau das Gegenteil.
Wir sind der Ansicht, dass die Kunden und der Markt am besten wissen,
was sie wollen. Nur sehr wenige französische Unternehmen haben sich
für diesen Ansatz entschieden, obwohl er so einfach ist.
Boursica:
In einer Pressemeldung meinten Sie, das laufende Angebot würde
den Prognosen für 2013 entsprechen. Ist das immer noch der Fall?
Thierry Ehrmann:
Wir rechnen mit 300 neuen Posten pro Tag, d.h. mit
durchschnittlich 90.000 Posten pro Jahr. Gegenwärtig verzeichnen wir
rund 500 bis 700 neue Posten pro Tag in einer sehr breiten
Preisspanne. In einem bedeutenden Auktionshaus umfasst ein schöner
Auktionskatalog nie mehr als 300 bis 350 Posten und wird zwei bis
drei Monate lang vorbereitet, während Artprice im Durchschnitt 12
Stunden braucht. Das regt zum Nachdenken an.
Boursica:
Warum verlegen Sie den standardisierten Festpreismarktplatz nicht
direkt zu den Auktionen? So würde Artprice sofort einen hohen Umsatz
verbuchen.
Thierry Ehrmann:
Wir haben uns diese Frage auch gestellt und sie bei Artprice
ausführlich diskutiert. Als Autor des seit 2005 bestehenden
standardisierten Festpreismarktplatzes, der ein wahres Ökosystem ist,
habe ich mich in Anbetracht der hohen Handelsvolumen für eine
allmähliche Umstellung entschlossen. Wir wollen unsere treuen Kunden
zu nichts zwingen und werden deshalb behutsam vorgehen.
Boursica:
Sie scheinen von Ihrem Postulat überzeugt zu sein. Könnten Sie es
uns näher erklären?
Thierry Ehrmann:
Das ist einfach. Ich gehe davon aus, dass die meisten Verkäufer
die Online-Auktionen wählen werden, da im Gegensatz zu Immobilien
oder Fahrzeugen der Unterschied zwischen dem Festpreis und dem bei
einer Versteigerung auf Artprice erzielten Preis bis zu 100 Prozent
betragen kann, auch wenn der Verkäufer ein Profi ist. Aufgrund dieses
Postulats meine ich, dass wir seit sieben Jahren in der ganzen Welt
eine sehr bedeutende Anzahl von Verkäufern und Käufern in von uns
entwickelten eigenen Datenbanken und Software halten. Jährlich werden
Werke im Wert von rund 6,3 Milliarden Euro angeboten und Abschlüsse
in Höhe von ca. 1,8 Milliarden Euro getätigt. Meines Erachtens wäre
es unglaublich dumm, diese Marktteilnehmer, die eine starke
Persönlichkeit haben und sich selbst eine Meinung bilden können, zu
etwas zu zwingen. Jeden Tag steigen unsere Mitglieder von selbst auf
Auktionen um und bestätigen damit, dass ich Recht habe.
Boursica:
Aber Ihre Aktionäre streben sofortige Ergebnisse an?
Thierry Ehrmann:
Wir mussten uns gedulden, bis Frankreich die europäische
Richtlinie endlich in Landesrecht umsetzt. Ich weigere mich, jetzt
das Spiel einer weniger Aktionäre zu spielen, die gern eine tägliche
Offenlegungspflicht hätten und unseren Börsenkurs mit Lottozahlen
verwechseln. Ich habe nichts gegen Lotto und schon gar nichts gegen
die französische Lotto-Gesellschaft, die übrigens ein ausgezeichnetes
Unternehmen ist, aber Spieler, die jeden Tag Gewinn einstreichen
wollen, passen nicht zu den Aktionären von Artprice.
Boursica:
Was halten Ihre Stammaktionäre davon?
Thierry Ehrmann:
Alle unsere Stamm- bzw. Grossaktionäre haben mehr Geduld als wir.
Den Kunsthistorikern und Kunstmarktsoziologen zufolge erleben wir
einen Wandel, der so tiefgreifend ist wie die Umstellung vom
Parketthandel auf elektronische Systeme wie NASDAQ oder Instinet von
Thomson Reuters. In dieser Hinsicht muss man der Zeit ihren Lauf
lassen, schliesslich besitzen wir ja dank der Patente im Bereich des
geistigen und industriellen Eigentums ein Monopol bezüglich der
Standardisierung des Kunstmarktes - Künstler ID, Werk ID,
Werkverzeichnis ID, Schätzung/Ökonometrie ID (vgl. frühere Interviews
von Boursica) -, ohne unsere marktbeherrschende Stellung zu
missbrauchen. Seit 16 Jahren haben wir keine ernstzunehmenden
Konkurrenten, die über ähnliche Rechte an geistigem Eigentum
verfügen. Sollte entgegen aller Erwartungen eines Tages eine Nummer 2
auftauchen, dann gilt das schreckliche Gesetz der Online-Welt, in der
ich seit 25 Jahren lebe, und das heisst: "Second place is the first
loser."
Boursica:
Gibt es eine Verbindung zur ausserordentlichen Hauptversammlung
vom 30. März 2012, die ursprünglich nicht vorgesehen war?
Thierry Ehrmann:
Ja. Die ausserordentliche Hauptversammlung bezeugt den
erfolgreichen betriebswirtschaftlichen Wandel, der nun Gewissheit
geworden ist. In 16 Jahren sind wir der weltweit führende Anbieter
von Informationen über den Kunstmarkt geworden und zählen heute 1,4
Millionen Abonnenten. Anfang 2012 sind wir davon überzeugt, dass
unser Kerngeschäft, das uns eine optimale Rentabilität gewährleistet,
der standardisierten Festpreis- und Auktionsmarktplatz ist. Aus
diesem Grund passen wir unseren Unternehmenszweck der neuen
Ausrichtung von Artprice an.
Boursica:
Einige unserer Leser erwarten eine Kapitalerhöhung anlässlich der
ausserordentlichen Hauptversammlung. Stimmt das? Waren Sie nicht
dagegen?
Thierry Ehrmann:
Es handelt sich nicht um eine Kapitalerhöhung sondern um
Stockoptionen. Sie sollen seltene, atypische Profile anziehen, die
wir für den standardisierten Auktionsmarktplatz brauchen. Wir suchen
in der Kunstwelt die Besten, da müssen wir auch etwas bieten können.
Ausserdem ist es logisch, dass wir die Mitarbeiter von Artprice für
ihr aussergewöhnliches Engagement belohnen wollen.
Was Kapitalerhöhungen betrifft, so kann ich nur wiederholen, was
ich bereits erklärt habe: Ich bin gegen Kapitalerhöhungen, weil sie
nicht nur das Kapital verwässern, sondern auch, und das wird oft
vergessen, den Aktienkurs daran hindern, sehr schnell zu steigen. Im
Gegensatz zu den übrigen börsennotierten Unternehmen haben wir keine
Schulden, nicht einen Cent. Keinen Kontokorrentkredit, keine kurz-,
mittel- oder langfristigen Kredite, keine Bankzusicherungen, keine
Finanzinstrumente wie Aktienbezugsscheine und sonstige Derivate.
Ausserdem haben wir reichlich Barmittel und einen negativen
Betriebskapitalbedarf.
Boursica:
Vor einigen Tagen haben Sie Ihren Kunstmarktbericht
veröffentlicht. Wie kommt es, dass die französischen und
ausländischen Medien und Institutionen Artprice nur im Zusammenhang
mit dem Kunstmarkt erwähnen? Ist das Lobbying?
Thierry Ehrmann:
Nein, ich kann Sie beruhigen, es gibt nur eine Antwort auf Ihre
Frage: die Geschichte von Artprice. Wir sind heute das einzige
Unternehmen der Welt, das den Kunstmarkt in mehr als einer Million
Arbeitsstunden standardisieren liess. Kunsthistoriker,
Wissenschaftler und Kunstjournalisten haben alle Werke aus den
Manuskripten und Katalogen vom 17. Jahrhundert bis heute dokumentiert
und beschrieben. Aus diesem Grund haben wir die weltweit
umfangreichste Datenbank über den Kunstmarkt, mit der wir die
Kunstwerke über die Jahrhunderte hinweg verfolgen können. Unsere
Kunsthistoriker haben 108 Millionen Bilder und Stiche von Kunstwerken
von 1700 bis heute kommentiert. Mit dieser Standardisierung und mehr
als 4.500 Auktionshäusern, die mit unserem gesicherten Intranet
verbunden sind, sind wir die einzige Presseagentur (Art Market
Insight), die makroökonomische Daten, Notierungen und
Repeat-Sales-Indizes sowie rund 100 Referenzindizes anbietet. Auf
dieser Grundlage können jedes Jahr 6.300 Medien mit objektivem und
ausführlichem Zahlenmaterial über den Kunstmarkt berichten.
Boursica:
Können Sie uns ein konkretes Beispiel geben?
Thierry Ehrmann:
Zum Beispiel China, wo wir die einzigen sind, die nicht nur die
Sprachschranken überwinden sondern auch die Bräuche und Sitten
meistern und diese schwierigen Informationen erhalten.
Boursica:
Die permanente Präsenz in den Medien hat sicher einen Preis?
Thierry Ehrmann:
Nein, im Gegenteil. Printmedien und Fernsehen sind vertraglich
gezwungen, uns systematisch mit unserem Internet-Code abzufragen und
unsere Methode zu kommentieren. So sparen wir jedes Jahr zwischen 16
und 18 Millionen Euro für die Werbung, die sicher nicht dieselbe
Wirkung hätte. Nichts kann die von einer Presseagentur produzierten
Inhalte ersetzen, die weitaus einflussreicher sind als es auch sehr
gute Werbung jemals sein könnte. Untersuchungen zu bestimmten Märkten
für Medien, Versicherungen oder Private Banking werden
selbstverständlich von uns in Rechnung gestellt.
Boursica:
Aber Sie haben doch eine internationale Werbekampagne für den
Start des standardisierten Auktionsmarktplatzes erwähnt?
Thierry Ehrmann:
Ja, als wir die Auktionen gestartet haben, wurde in den Medien
ausführlich darüber berichtet, aber wir haben 2012 trotzdem eine
gezielte Kampagne geplant. In jedem Land haben wir die beiden
führenden Fachzeitschriften ausgewählt. Ausserdem richten wir uns an
Fernsehsender, die auf Kunst und Luxus spezialisiert sind. Die
Kampagne hat Ende Januar 2012 begonnen und folgt dem Kalender des
Kunstmarktes, der im Frühling einen Höhepunkt erreicht.
Boursica:
Kommen wir auf den eben veröffentlichten Kunstmarktbericht
zurück. Er kann auf Ihrer Website abgerufen werden. Können Sie uns
kurz erläutern, wie das Fazit des Berichts lautet?
Thierry Ehrmann:
Der Titel fasst den Tenor bereits zusammen: "Kunst hat noch nie
so viel eingebracht wie 2011". Weltweit wurde im letzten Jahr mit
einem Erlös von 11,5 Milliarden US-Dollar ein neuer Rekord
aufgestellt. Das bedeutet, dass der Primärmarkt, d.h. Galerien,
Kunsthändler und Makler, rund 90 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet
haben, was dem Verhältnis des Primär- zum Sekundärmarkt entspricht.
Der Anteil der nicht verkauften Werke war noch nie so niedrig. China
überholt die USA mit 41 Prozent des weltweiten Kunsthandels. Asien
wird mit 45 Prozent des Weltmarktes ein eigener Markt. Die
chinesischen Künstler belegen Spitzenplätze, sowohl in unseren Top 10
als auch in den Top 500. Die westliche Ikone Pablo Picasso rutscht
erstmals auf Platz vier ab. Frankreich fällt und fällt.
Die Anzahl der Millionenauktionen wächst stetig, insbesondere in
Asien.
Boursica:
Ist der Kunstmarkt wie Gold ein sicherer Hafen für Anleger?
Thierry Ehrmann:
Ja, als die Weltwirtschaft und die Finanzwelt 2008 und 2011
zusammengebrochen sind, konnte der Kunstmarkt ausgezeichnete
Ergebnisse einfahren. Private Banking-Experten und Vermögensberater
empfehlen heute, übrigens auf Grundlage der ökonometrischen
Instrumente von Artprice, die Anlagen in Krisenzeiten im Kunstmarkt
zu diversifizieren. Sehen Sie sich die Entwicklung nach Preisklassen
an, dann werden Sie verstehen, warum der Artprice Global Index sich
besser verhält als der S&P 500 oder der Eurostoxx 50.
Boursica:
Wenn wir nun schon von Millionenauktionen sprechen, wann wird es
auf Artprice die erste Millionenauktion geben, auf die alle warten?
Thierry Ehrmann:
Millionenauktionen auf Artprice sind angesichts unserer
Verhandlungen mit den bedeutenden Akteuren des Kunstmarkts eine
Gewissheit. Jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit. Ich könnte mir
auch sehr gut vorstellen, dass ein Werk eines chinesischen Künstlers
zu einem solchen Preis versteigert wird.
Boursica:
Kommen wir auf Frankreich zurück. Warum stürzt Frankreich immer
tiefer ab?
Thierry Ehrmann:
Ich habe diese Frage oft beantwortet. In den Sechzigern stand
Frankreich noch an der Spitze, seitdem verliert es leider ständig an
Boden. Hier einige Zahlen: Auf zeitgenössische Kunst entfallen
jährlich 13 Millionen Euro, was auf den Weltmarkt hochgerechnet gar
nichts ist. New York und London erzielen mit schönen Katalogen an
einem Tag, was Frankreich in einem Jahr schafft. Natürlich haben das
500-jährige Monopol der Auktionatoren und der klägliche Misserfolg
der ersten Reform im Jahr 2000 dazu beigetragen, Frankreich an den
Rand des Abgrunds zu drängen. Ich weiss, wovon ich spreche,
schliesslich habe ich 16 Jahre dagegen gekämpft und Dutzende von
Prozessen angestrengt und letztendlich auch gewonnen.
Boursica:
Heute herrscht aber Frieden zwischen Artprice und den ehemaligen
Monopolisten?
Thierry Ehrmann:
Auf wirtschaftlicher Ebene ist alles abgeschlossen, der Weg ist
geebnet. Auf juristischer Ebene ist das letzte Wort noch nicht
gefallen. Wir wollen nicht nachtragend sein, aber wir verlangen einen
Ausgleich des von uns erlittenen wirtschaftlichen Schadens. Ferner
fordern wir im Rahmen von Widerklagen die Wiedergutmachung einiger
Anklagen, die abgewiesen wurden. Schliesslich haben wir bei der
französischen Wettbewerbsbehörde Anklage gegen französische
Auktionshäuser wegen unzulässiger Wettbewerbsbeschränkung erhoben und
verfolgen sie weiterhin strafrechtlich. Seit Ende Januar 2012 haben
sich nämlich neue Elemente ergeben.
Boursica:
Wen haben Sie im Visier?
Thierry Ehrmann:
Wir haben eine kleine Anzahl Pariser Auktionatoren im Auge, in
erster Linie bei Drouot, die sich durch Justizskandale und
wiederholte Untersuchungen auszeichnen. Die zuständige französische
Aufsichtsbehörde, der Conseil des Ventes Volontaires, veröffentlichte
am 6. Januar 2012, einige Stunden nach dem Start unseres
standardisierten Auktionsmarktplatzes, ohne uns schriftlich oder
telefonisch oder sonst irgendwie benachrichtigt oder gewarnt zu
haben, eine völlig surrealistische Pressemeldung. Dabei kennt sie uns
gut, sowohl durch die Anhörungen als auch über die Daten, die wir ihr
alljährlich für den Bericht über den Kunstmarkt liefern. Seit wann
werden Klageschriften als Pressemeldung publik gemacht, ohne dass wir
vorher auf dem Rechtsweg darüber informiert werden?
Ich finde die Aufgabe des Conseil des Ventes Volontaires
wesentlich, aber er muss den Grundsatz des rechtlichen Gehörs
berücksichtigen. Die Lage ist wie sie ist. Wir meinen, dass ein
harter Kern von Auktionatoren, die Drouot nahestehen und sich über
die Folgen des Gesetzes vom 20. Juli 2011, insbesondere Section 5,
den ich bereits erwähnt habe, ärgern, den Conseil des Ventes
Volontaires absichtlich irregeführt hat. Dabei hat es die
Aufsichtsbehörde in den letzten Jahren trotz der dürftigen
Mittelausstattung gewagt, mutige Debatten über den unerbittlichen
Niedergang des französischen Kunstmarkts zu führen. Wir erhielten
brutale Drohungen von einigen wenigen Akteuren, die den Zusammenbruch
ihrer Margen und Märkte nicht verkraften wollen. Meinem Scharfsinn
und meiner lange Erfahrung zufolge sind solche Hassbezeugungen und
Wutausbrüche der beste Beweis dafür, dass wir dort zugeschlagen
haben, wo der Gewinn liegt, nämlich bei den 5 Prozent Nettoprovision
auf Werke im Wert von mehr als 15.000 Euro und den 7 Prozent auf
Werke in der Preisklasse von 7.500 bis 15.000 Euro.
Boursica:
Das Internet hat also den Kunstmarkt unter anderem mit Ihnen
geschluckt?
Thierry Ehrmann:
Alles ist relativ. Seit 2000 sind bereits 4.500 Kunst-Websites
untergegangen. Zudem sind beinahe alle Kunst-Websites von der Börse
verschwunden, werden nun ausserbörslich gehandelt und verzeichnen
keine Umsätze. Wir haben Artprice mit weniger als 30 Millionen
Internetnutzern gestartet. Heute zählen wir mehr als 2,7 Milliarden.
Diese Zahlen werden weiter steigen. Die Erklärung des Präsidenten von
Christie's über Kunstwerke und Internet ist für uns der beste Beweis
dafür.
Boursica:
Besitzt das Internet noch ein Wachstumspotenzial?
Thierry Ehrmann:
Wir haben erst 30 Prozent des Wachstums im Internet ausgeschöpft.
Der herkömmliche Kunstmarkt ist erst zu 15 Prozent entmaterialisiert.
Das mobile Internet ist ideal für Artprice, weil unsere Kunden immer
unterwegs sind und ständig Informationen benötigen: Sachverständige,
Versicherungsvertreter, Galeristen, Auktionatoren, Zollbeamte und
natürlich auch Sammler und Kunstliebhaber, die in einer Galerie oder
einem Auktionshaus etwas kaufen wollen.
80 Prozent der Anfragen an Artprice werden wohl auf das mobile
Internet entfallen. Wir haben schon mehr als 30 Prozent erreicht.
Alle grossen Marktforschungsunternehmen prognostizieren, dass 2012,
gemessen am Smartphoneabsatz, die Zahl der mobilen Internetnutzer um
550 bis 700 Millionen steigen wird. 2015 werden mehr als 3,5
Milliarden mobile Internetsurfer Artprice nutzen können.
Boursica: Was bedeutet es, dass der herkömmliche Kunstmarkt erst
zu 15 Prozent entmaterialisiert ist?
Thierry Ehrmann:
Das bedeutet, dass die Entmaterialisierung des herkömmlichen
Kunstmarkts erst begonnen hat.
Ich zitiere gern meinen alten Meister Pythagoras, den ersten
Philosophen, für den alles Zahlen war, mit Ausnahme der nicht
quantifizierbaren, unaussprechlichen menschlichen Gefühle, die sich
nicht erfassen lassen. Aus diesem Grund können über die Anzahl der
Internetnutzer hinaus alle Handelsgeschäfte entmaterialisiert werden.
Artprice und der Kunstmarkt sind ein ausgezeichnetes Beispiel dafür.
Die Herausforderung, die die Welt meistern muss, besteht aus der
Entmaterialisierung und der nachhaltigen Entwicklung. Nur die
Entmaterialisierung kann die Energiekrise lösen.
Boursica:
Wie gehen Sie bei solchen Zahlen auf der technischen Ebene vor?
Thierry Ehrmann:
Wir arbeiten über Serveur, unsere Muttergesellschaft, die Time
Magazine seit 1987 zu den Pionieren im Internet zählt, seit den
Neunzigern unter Berücksichtigung der EU-Richtlinien und der
Vorschriften des französischen CNIL am Data-Mining. Jetzt
beschäftigen wir uns mit dem Big-Data-Konzept und Speichereinheiten,
die in Petabyte gemessen werden. Die Daten werden in Echtzeit
produziert, kommen aus allen Ländern in kontinuierlichen
Datenströmen, werden mit heterogenen Metatags versehen und stammen
aus den unterschiedlichsten destrukturierten und nicht prädikativen
Quellen.
Boursica:
Wodurch unterscheiden sich Big-Data und Data-Mining? Ist das
nicht dasselbe?
Thierry Ehrmann:
Nein. Ich werde Ihnen erklären, warum. Data-Mining besteht darin,
Daten mit hohem Mehrwert der Datenbanken der Unternehmensgruppe zu
vergleichen, um qualitative Daten zu schaffen. Big-Data bezieht sich
auf das Data-Mining in kleineren Mengen. Unter Einhaltung der
Datenschutzvorschriften werden Milliarden von Daten (Logs), die
bislang als nicht wesentlich galten, gesammelt. Ziel ist es dabei,
neue Muster zu erkennen. Seit die Kosten für ein Petabyte (1000
Terabyte) dramatisch gesunken sind, haben wir erkannt, wie diese an
und für sich weniger qualitativen und als unwesentlich betrachteten
Daten im Data-Mining ausgewertet werden können. Jetzt können wir
komplexe, momentane Phänomene verstehen und sehr schnell Produkte und
Dienstleistungen anbieten, die den Erwartungen unserer Nutzer genau
entsprechen. Und mit Nutzern meine ich Millionen von Menschen, die
unsere Website kostenlos oder kostenpflichtig nutzen.
Boursica:
Zu welchen Anwendungen kann Big-Data führen?
Thierry Ehrmann:
Wir konnten zum Beispiel seit der Eröffnung des standardisierten
Auktionsmarktplatzes am 18. Januar 2012 nicht nur die beeindruckende
Zahl der Besucher auf Artprice messen, sondern aufgrund der Analyse
von Hunderten Millionen Logs auch verstehen, warum die neuen Kunden
erst seit der Einführung der Auktionen die Website besuchen. Ferner
können wir, wie ich es bereits eingangs erwähnt habe, in dem Traffic,
der sich beinahe verfünffacht hat, die neuen und potenziellen Kunden
analysieren, die sich anscheinend nur für Auktionen interessieren,
die jedoch in Wirklichkeit zwischen den Auktionen und den kostenlosen
Daten, deren Wert sehr beschränkt ist, in unseren kostenpflichtigen
Datenbanken zu den Notierungen, Indizes und Biografien hin- und
herpendeln, ohne mehr als 50 Euro auszugeben.
Mit Big-Data können wir massgeschneiderte Lösungen anbieten, die
berücksichtigen, dass 70 Prozent der neuen oder potenziellen Kunden
sich über das mobile Internet einloggen. Auf der Grundlage des
Anteils der kostenpflichtigen Daten, die sie abrufen, kommen wir auf
ein Profil, das rund 36 Euro pro Jahr oder 3 Euro pro Monat ausgibt.
Unserer Zielgruppe wird jetzt nicht mehr in Millionen Nutzern
gemessen, wie es heute üblich ist, sondern in Dutzenden von Millionen
Kunstkonsumenten, die mit iPhones oder Smartphones unter Android von
Google ausgestattet sind.
Boursica:
Und wo sind die Künstler geblieben?
Thierry Ehrmann:
Auch hier erkennen wir mit Big Data, dass es neben unserer
biografischen Datenbank, die 1,8 Millionen Künstler umfasst, von
denen 450.000 an Versteigerungen teilnehmen, es eine knappe Million
Künstler gibt, die von der Idee begeistert sind, ihre Werke auf dem
standardisierten Auktionsmarktplatz anzubieten, die ihre Biografien
online gestellt haben, die ihre Werke jedoch, um unabhängig zu
bleiben, weder über Galerien noch über Auktionshäuser verkaufen.
Dieses Potenzial ist bedeutend. Da der Preis dieser Werke oft unter
7.500 Euro liegt, berechnen wir nur 9 Prozent Provision und Gebühren.
Boursica:
Wie steht es um ihr soziales Netzwerk Artprice Insider?
Thierry Ehrmann:
Dieses soziale Netzwerk, das mit Soziologen und Netzwerkexperten
aufgebaut wird, ist das Gegenteil von Facebook, das heisst, dass die
Mitglieder von Artprice unter ihrem wahren Namen auftreten. Artprice
Insider wird an den standarisierten Festpreis- und an den
Auktionsmarktplatz gekoppelt. Die Ergebnisse der ersten Tests waren
ausgezeichnet und der Ideenaustausch war qualitativ sehr gut, im
Gegensatz zu manchen sozialen Netzwerken, auf denen vorwiegend
Banalitäten ausgetauscht werden. Wir feilen seit 18 Monaten an
Verbesserungen, weil ein solches Netzwerk eine wahre Bombe in der
sonst so diskreten Kunstwelt ist. Deshalb dürfen wir uns keine Fehler
erlauben.
Boursica:
Das Netzwerk ist also Kunstkennern vorbehalten?
Thierry Ehrmann:
Nein, das stimmt nicht ganz. Ich würde eher sagen, dass das
Netzwerk einem Think Tank oder einer Brain Box ähnelt. Artprice
Insider muss sich durch originelle Ideen, Expertentum und
Fachkenntnisse auszeichnen, die Debatte um den Kunstmarkt
weiterbringen und zur Entwicklung neuer Konzepte beitragen. Alles,
aber auch wirklich alles muss neu erfunden werden, da der Kunstmarkt
bis zur Entstehung des Internets in einem tiefen Schlaf versunken
war. Und hier noch ein Scoop: Einige Akteure, die zu den Top 100 der
Market Maker des Kunstmarkts gehören, haben zugesagt, live in unserem
Netzwerk aufzutreten.
Boursica:
Wie finden Sie eigentlich noch die Zeit, eine Retrospektive ihres
Werks als bildender Künstler über die letzten 30 Jahre vorzubereiten,
die im Juni 2012 im Demeure du Chaos, der Hauptverwaltung von
Artprice und gleichzeitig Museum für zeitgenössische Kunst,
stattfinden soll?
Thierry Ehrmann:
Ich bereite diese Retrospektive seit 18 Monaten vor. Im Juni 2012
bin ich seit 30 Jahren als bildender Künstler tätig. Für dieses
Ereignis habe ich in den letzten 18 Monaten 450 Stahlskulpturen
geschaffen, die den Besucher zu einem Parcours auf dem Gelände
einladen. Dort entdecken sie die 3609 Werke, die den Korpus des
Demeure du Chaos bilden. Die New York Times nannte diesen Wohnsitz
des Chaos auch Abode of Chaos.
Die europaweit grösste Bildhauerinstallation besteht aus 900
Tonnen Stahl, die von Schmieden mit Hochpräzisionslasern bearbeitet
wurden. Diese Ausstellung erlaubt mir wieder einmal, die Künstler und
Akteure des Kunstmarkts genau zu analysieren. Man kann nicht Artprice
aufbauen, ohne gleichzeitig völlig in der Kunst versunken zu sein. Zu
den 120.000 Besuchern pro Jahr gehören viele Aktionäre und Kunden,
mit denen ich am Wochenende ausserhalb des Büros über Artprice
diskutieren kann. Ich kann also sagen, dass ich eine 63-Stunden-Woche
habe. Diese Entscheidung, die ich bewusst getroffen habe, kann vieles
erklären, was manche Menschen nicht richtig verstehen.
Boursica:
Was sagen Sie zu ihrem Börsenkurs 2011? Was erwarten Sie 2012?
Thierry Ehrmann:
In Europa konnten wenige börsennotierte Unternehmen die
Entwicklung ihres Aktienkurses so gut voraussagen wie wir. Artprice
verzeichnete die beste Kursentwicklung an der Börse. Unser Titel
stieg 2011 um 472 Prozent. Vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2011
wurde ein Aktienvolumen im Wert von 873 Millionen umgesetzt.
Ausserdem notieren wir nun bei 67 Euro, was ich ebenfalls
prognostiziert habe. In den letzten zwölf Monaten stieg der Kurs um
476 Prozent und wurden Titel im Wert von 1,25 Milliarden Euro
gehandelt. Jetzt sind wir im Segment B von Eurolist und seit einigen
Tagen auch auf der SRD Long Only Liste. Wenn wir dann auch noch die
Auktionen berücksichtigen, so sollte der Kurs sich 2012 bei 90 Euro
konsolidieren, vorausgesetzt natürlich, dass die Entwicklung nicht
von Ereignissen gebremst wird, auf die wir keinen Einfluss haben.
Boursica: Sie haben kürzlich Investmentfonds erwähnt, die sich
für Artprice interessieren. Um welche Fonds handelt es sich?
Thierry Ehrmann:
Ich kann hier nicht über vertrauliche Daten sprechen, aber unsere
Aufnahme in die SRD Long Only Liste hat dazu geführt, dass viele
Investmentfonds, die nur in französische Unternehmen auf der SRD Long
Only Liste investieren dürfen, sich jetzt an uns beteiligen können.
Sie haben einen anderen Ansatz als die Franzosen und vergleichen uns
unter anderen mit Sotheby's, dem einzigen börsennotierten
Auktionshaus der Welt. Diese Anleger sehen Artprice und den
standardisierten Festpreis- und Auktionsmarktplatz als Hauptakteur
des Kunstmarkts im Internet und bewerten uns aus diesem Grund anders,
da sie meinen, dass unser Kurs nicht unseren wahren Wert
widerspiegelt.
Boursica: Könnten Sie näher darauf eingehen?
Thierry Ehrmann:
In unserem ersten Gespräch im Juni 2011 haben wir konkrete
Beispiele für die einzelnen Bewertungsmethoden gegeben, die schon
mehr als 120 Jahre alt sind. Der Wert eines Auktionshauses besteht zu
80 Prozent aus der Kundendatei, d.h. 800 bis 4.000 US-Dollar je
Kunde, und zu 20 Prozent aus dem Markennamen des Auktionshauses, wenn
es bekannt ist. Der Unterschied zwischen einem 800 US-Dollar-Kunden
und einem 4.000 US-Dollar-Kunden besteht aus der Informationsdichte
über den Endkunden, auf deren Grundlage dann der Preis ermittelt
wird. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Artprice, für mich
und für unsere Aktionäre beginnt jetzt wohl eine neue Ära. Wir sind
sozusagen wie ein Unternehmen, das seinen Börsengang am Nasdaq plant
und noch dazu über elf Jahre Erfahrung an der Börse verfügt. Das ist
unheimlich spannend und sehr motivierend.
Boursica:
Und wie steht es mit den Abkommen in Asien?
Thierry Ehrmann:
Im März 2012 beginnen wir in China Verhandlungen mit den
wichtigsten chinesischen Auktionshäusern. Wir haben rund 40 Termine.
Wir teilen viele Ideen, so zum Beispiel über die Entmaterialisierung
des Kunstmarkts. Auch die Chinesen sind der Ansicht, dass physische
Auktionsräume 2012 vor dem Hintergrund von Internet und unserem
standardisierten Auktionsmarktplatz, der in Hongkong über einen
eigenen Standort verfügen wird, nicht mehr gefragt sind.
In Asien, das ich seit 20 Jahren kenne, laufen Verhandlungen ganz
anders als in Europa. Es braucht sehr lang, das Vertrauen des
künftigen Geschäftspartners zu gewinnen. Versprechen sind wichtiger
als das Vertragsrecht. Im Gegenteil dazu kann ein Geschäft so schnell
abgeschlossen werden, dass Europäer oft in Panik geraten. Meiner
Meinung nach ist Artprice in Asien sehr gut aufgestellt. Wir werden
als Vorreiter betrachtet und haben den in Asien oft als unzeitgemäss
geltenden angelsächsischen Häusern gegenüber einen beachtlichen
Vorsprung.
Boursica:
Sie haben eben die altehrwürdigen angelsächsischen Auktionshäuser
erwähnt. Welche Beziehungen haben Sie zu ihnen, insbesondere seit dem
18. Januar 2012?
Thierry Ehrmann:
Das Kräfteverhältnis, das 2005 durch den standardisierten
Festpreismarktplatz entstand, hat sich geändert. Beide Seiten haben
sich Fragen in Bezug auf ihre Zukunft gestellt. In anderen Branchen
als dem Kunstmarkt hat die Gegenüberstellung Old Economy / New
Economy zu Fortschritten geführt. 1999 zählten wir 50 Millionen
Nutzer, heute sind es knapp 3 Milliarden, das sind harte Fakten, auf
die ich meine Theorie des wirtschaftlichen Paradigmenwechsels stütze.
Boursica:
Könnten Sie uns näher erklären, um welche Fortschritte es sich
dreht?
Thierry Ehrmann:
Die Old Economy hat endlich verstanden, dass eine 25-jährige
Präsenz im Internet, wie die der Firma Serveur, der Artprice gehört
und die ich gegründet habe, eine Raumzeit ist. Diese Raumzeit ist
nicht nur inkompressibel, sondern wegen der hochkomplexen
Internetkultur auch beinahe unerschwinglich. Für den Kunstmarkt ist
eine Anekdote aus der "Occupy Wall Street"-Bewegung sehr
aufschlussreich. So wurde vermögenden Personen empfohlen, bestimmt
Ort zu meiden, allen voran die Auktionshäuser. Die meisten
Auktionshäuser verkaufen aber ohnehin schon ihre Immobilien oder
kündigen ihre Pachtverträge. Sie entdecken, dass gesicherte
IT-Netzwerke, Data-Mining, Verhaltensmarketing, Indizierung und den
Kunstmarkt standardisierende Datenbanken bedeutende Ressourcen
voraussetzen. Die finanziellen und technologischen Schwellen sind
sehr hoch. Zudem gibt es manchmal, so wie in unserem Fall, Rechte zum
Schutz des geistigen Eigentums, das heisst, sie dürfen keine
patentierten standardisierten Marktplätze(R) erstellen, deren
Urheberrechte bei Artprice liegen.
Boursica:
Was folgern Sie daraus?
Thierry Ehrmann:
Erstens hat die Gegenpartei den Wert der Sachanlagen und
immateriellen Werte verstanden, die das Vermögen von Artprice bilden.
Zweitens haben alle bedeutenden Auktionshäuser in Internet
investiert, meistens im Rahmen von zwei oder drei Investitionsplänen.
Jedes Mal wurden zweistellige Millionenbeträge investiert, aber das
Ergebnis war nie zufriedenstellend und manchmal sogar katastrophal.
Drittens wurde ein langjähriger Akteur wie Artprice anerkannt und
erstmals eine Aufteilung des Kunstmarkts ernsthaft erwogen.
Boursica:
Wie wird der Kunstmarkt aufgeteilt?
Thierry Ehrmann:
Ganz einfach. Das Segment der Werke unter 15.000 Euro entgleitet
ihnen, dabei ist das ein sehr grosser Teil, auf ihn entfallen
immerhin 81 Prozent. Zwischen 15.000 und 50.000 Euro sind sie
preislich nicht wirklich wettbewerbsfähig. Jetzt stellt sich die
Frage der Werke im Wert von mehr als 50.000 Euro und natürlich auch
der Millionen-Euro-Werke, die manchmal von massgeschneiderten
Dienstleistungen für Käufer und Verkäufer begleitet werden. Die
traditionsreichen Auktionshäuser erkennen sehr schnell, dass ihr
Alter und ihre Marketingvorteile nicht ausreichen, um in den
kommenden fünf Jahren ausgewogene Ergebnisse zu erzielen. Es bleibt
ihnen nichts anderes übrig, als mit uns zusammenzuarbeiten.
Wir respektieren ihren Ansatz, aber wir vergleichen sie doch mit
unseren asiatischen Partnern, die sich seit langer Zeit auf diese
Situation vorbereitet haben und heute keine Probleme mehr lösen
müssen. Es ist aber ohne weiteres möglich, dass wir uns doch noch mit
ihnen verständigen. Die neue Managergeneration an der Spitze der
traditionsreichen Häuser hat keine Angst vor den Gespenstern der
Vergangenheit und sieht tatendurstig in die Zukunft.
2012 werden unsere Aktionäre sicher einige positive
Überraschungen erleben.
Boursica:
Woran denken Sie dabei?
Thierry Ehrmann:
Ohne Geschäftsgeheimnisse zu verraten kann ich nur andeuten, dass
wir mit bedeutenden Akteuren über White-Label- oder
CoBranding-Abkommen verhandeln. In diesem Rahmen kann der Umsatz der
herkömmlichen Auktionshäuser, die seit vielen Jahren Auktionen
durchführen und nun unseren standardisierten Auktionsmarktplatz auf
eigene Rechnung nutzen wollen, unseren Börsenkurs beeinflussen.
Wir erleben gegenwärtig immer wieder dasselbe Szenario: Der
Geschäftsführer eines bedeutenden internationalen Auktionshauses geht
in den Ruhestand, ein junger 35-jähriger Manager tritt seine
Nachfolge an, führt ein Audit durch und kommt sofort zu uns, um das
grosse Geschäft zu landen, während sein viel älterer Vorgänger
Artprice höchstens als UFO der Kunstwelt wahrgenommen hat, ohne
weiter darüber nachzudenken. Geduld war schon immer eine der
Grundvoraussetzungen für den Erfolg von Artprice.
Boursica:
Welche Rolle spielen Sie in diesem Rahmen?
Thierry Ehrmann:
In diesem Fall agieren wir als IT-Berater oder Server Center und
stellen die Hosting- und Nutzungskosten unserer eigenen Software und
Datenbanken in Rechnung.
Boursica:
Und nun noch eine abschliessende Bemerkung. In unserem ersten
Gespräch haben Sie behauptet, Artprice wäre bei 10 Prozent ihrer
Geschichte angekommen, in unserem zweiten Gespräch meinten sie
allerdings, es wären erst 5 Prozent. Wie viel Prozent sind es heute?
Thierry Ehrmann:
Wir sind immer noch bei 5 Prozent der Entwicklung, der grosse
Unterschied liegt darin, dass die letztes Jahr erwähnten 5 Prozent
einfach ein Schätzwert war, der heute von Fakten und Zahlen erhärtet
wurde. Für uns und unsere Aktionäre ist das eine ausgezeichnete
Nachricht.
(c) 2002-2012 Boursica.com alle Rechte vorbehalten
Die vorherigen Exklusivinterviews mit Thierry Ehrmann können Sie
hier einsehen :
http://serveur.serveur.com/Press_Release/2011-interview-thierry-e
hrmann.html
Artprice ist der Weltmarktführer für Kunstmarktinformationen und
-indizes mit insgesamt mehr als 27 Millionen Auktionsergebnissen und
Preisindizes von mehr als 450.000 Künstlern. Artprice Images(c)
stellt Ihnen einen unbegrenzten Zugang zu einer weltweit einmaligen
Bibliothek mit 108 Millionen Abbildungen und Drucken von Kunstwerken
von 1700 bis heute. Artprice bereichert laufend seine Datenbanken mit
Informationen von weltweit 4.500 Auktionshäusern und veröffentlicht
kontinuierlich die Kunstmarkttendenzen für die wichtigsten Agenturen
und 6.300 Pressetitel aus der ganzen Welt. Artprice stellt darüber
hinaus einen der wichtigsten Kunstmarktplätze weltweit zum Kaufen und
Verkaufen von Kunstwerken, dessen angebote unter den 1.400.000
Artprice Mitgliedern bekannt gemacht werden (Quelle Artprice)
Artprice ist geführt am Eurolist by Euronext Paris : Euroclear :
7478 - Bloomberg : PRC - Reuters : ARTF
Entdecken Sie die Alchimie und das Universum von Artprice ,
dessen Haupsitz sich im bekannten zeitgeössischen Museum, des Abode
of Chaos befindet : http://web.artprice.com/video
Zur Übersicht der Artprice Presseberichte:
http://serveur.serveur.com/press_release/pressreleaseen.htm
Verfolgen Sie in Echtzeit das Kunstmarktgeschehen :Artprice.com
auf Twitter : http://twitter.com/artpricedotcom
Kontact: Josette Mey, tel: +33(0)478-220-000, e-mail:
ir@artprice.com
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