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DER STANDARD-Kommentar zu Ägypten: "Der Krisen-Kandidat" von Gudrun Harrer

Geschrieben am 01-04-2012

Ägyptens zerrissene Muslimbrüder beanspruchen nun doch die
Präsidentschaft // Ausgabe vom 2.4.2012

Wien (ots) - Sie haben es also doch getan: Die Muslimbruderschaft
schickt einen Kandidaten - und zwar gleich ihre Nummer zwei, Khairat
al-Shater - ins Rennen um die ägyptische Präsidentschaft, die im Mai
erstmals in freien Wahlen vergeben wird. Die Versicherungen der
Muslimbrüder im Jahr nach dem Umsturz, sich nicht um das
Präsidentenamt bewerben zu wollen, hatten zwar indirekt bereits den
Geruch der Übermacht in sich getragen: Die Brüder hätten, so ließen
sie selbst verlauten, kein Interesse daran, alle Aspekte des
politischen Lebens im postrevolutionären Ägypten zu kon_trollieren.
Aber immerhin, sie agierten politisch weise und pragmatisch.
Und nun die Wende: Die Bruderschaft beziehungsweise ihre Partei _FJP
(Freiheits- und Gerechtigkeitspartei) hält 45 Prozent der Sitze im
Parlament, beansprucht die Regierungsbildung (was ihr nach
demokratischen Spielregeln wohl zugestanden werden müsste), dominiert
die Verfassunggebende Versammlung und will das Präsidentenamt für
sich. Das Spannende daran jedoch ist, dass die Muslimbrüder nicht
etwa aus einem Gefühl der Omnipotenz, aus einem Machtrausch heraus
agieren - sondern eher aus einem Zustand der plötzlichen Schwäche und
der Zerrissenheit.
Dabei spielt nicht nur ihre bisher fruchtlose Auseinandersetzung mit
dem regierenden Militärrat eine Rolle, dem die FJP das Recht auf eine
Kabinettsbildung abringen will: Die könnte der Bruderschaft sogar
einen demokratischen Gutpunkt einbringen, denn bis vor kurzem hatte
sie sich ja mit der Armee recht gut arrangiert. Einen chancenreichen
Präsidentschaftskandidaten aus diesem Eck hätte sie hingenommen, und
auch, dass das alte politische Schlachtross Amr Moussa die Wahlen
gewinnt. Aber zwei starke Präsidentschaftskandidaten mit
islamistischem Stallgeruch, denen auf der Straße zugejubelt wird,
auch von Anhängern der Bruderschaft, das konnte sie nicht mehr
hinnehmen.
Der eine ist Abdel Moneim Abul Futuh, und er wurde sogar aus der
Bruderschaft hinausgeworfen, als er sich über das Kandidaturverbot
für Muslimbrüder hinwegsetzte. Der zweite ist Hazem Salah Abu Ismail,
der Mann, den die radikalislamischen Salafisten in die Wahl schicken.
Er ist bei Umfragen unter jungen Muslimbrüdern nach Abul Futuh die
Nummer zwei. Zum ersten Mal dämmert den Muslimbrüdern die Tatsache,
dass sie eine ernsthafte islamistische Konkurrenz in Ägypten haben.
Das macht die Moscheen - hier nicht so sehr als sakraler, denn als
sozialer Raum gemeint - zum Ort des inner_islamischen Wettbewerbs.
Die Konkurrenzsituation mit den Salafisten sollte die Muslimbrüder
eigentlich für die säkularen Ägypter als das geringere Übel dastehen
lassen: Aber die Bruderschaft hat in den vergangenen Wochen jedes
zarte Pflänzchen des Vertrauens dieser Seite vertilgt, als sie bei
der Bildung der Verfassunggebenden Versammlung über den säkularen
Sektor drüberfuhr.
Und nun hoffen sie darauf, dass Khairat al-Shater, der in der Tat ein
starker Kandidat ist, alles wieder gutmacht, zumindest für die eigene
Klientel. Aber auch hier gibt es zum_Teil Ärger wegen des gebrochenen
Versprechens der Enthaltsamkeit. Es ist nicht ganz ungefährlich für
die Muslimbrüder: Wenn Shater nicht gewinnt, ist viel Glanz ab. Für
Amr Moussa - oder einen Kandidaten der Armee - ist Shater hingegen
eine neue Chance, denn sie brauchen eine Zersplitterung der
islamischen Stimmen.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom


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