"DER STANDARD"-Kommentar: "Was auch gesagt werden muss" von
Alexandra Föderl-Schmid
Geschrieben am 12-04-2012 |
Günter Grass überzieht mit seiner Kritik und will vor allem
recht behalten. (Ausgabe vom 13.4.2012)
Wien (ots) - Jetzt reicht es: Die Debatte über Günter Grass und
sein als Gedicht getarntes Pamphlet "Was gesagt werden muss" und das
von Israel verhängte Einreiseverbot ist gerade abgeflaut, da legt er
noch einmal nach. Sein Vergleich Israels mit der DDR und Burma ist
völlig überzogen. Der Schriftsteller schafft das schier Unmögliche,
die hysterische und unkluge Reaktion der israelischen Regierung,
Grass zur Persona non grata zu erklären, noch zu überbieten.
Israel hat Grass mit dem Einreiseverbot einen großen Gefallen
erwiesen, er konnte sich als Attackierter stilisieren. Grass wirft in
seinem Gedicht Israel vor, einen atomaren "Erstschlag" vorzubereiten
mit dem Ziel, das "iranische Volk auszulöschen". Damit rückt er den
Iran in die Opferrolle und macht Israel zum Aggressor.
Grass polemisiert und pauschalisiert: Er schreibt Israel und meint in
Wahrheit die Politik der Regierung von Benjamin Netanjahu. Er blendet
aus, dass der iranische Präsident Mahmud Ahmadi-Nejad Israel
wiederholt als "Schandfleck" bezeichnet hat, der "aus der Mitte der
islamischen Welt beseitigt werden muss". Israel muss sich deshalb
gefährdet fühlen und denkt über seine Verteidigung nach.
Netanjahus Kriegsrhetorik kann, darf und muss kritisiert werden, wie
dies auch US-Präsident Barack Obama gemacht hat. Israel ist
Atommacht, hat - anders als der Iran - den Atomwaffensperrvertrag
nicht unterschrieben und unterliegt damit nicht den Kontrollen der
Internationalen Atomenergiebehörde. Deren Inspekteure dürfen nicht
ins Land - was die internationale Gemeinschaft aber vom Iran
verlangt. Das wird häufig ausgeblendet.
Auch die Tatsache, dass Netanjahu trotz UN-Resolutionen den
Siedlungsbau in Palästinensergebieten fortsetzen lässt, muss immer
wieder kritisiert werden. Das verstößt gegen internationales Recht
und wird nicht geahndet.
All das muss gesagt werden - aber das hat Grass eben nicht
geschrieben. Sein Gedicht, sein Interview und nun "meine Antwort auf
jüngste Beschlüsse", wie Grass sie nannte, machen deutlich, worum es
dem Literaturnobelpreisträger eigentlich geht: recht zu haben und
recht zu behalten. Wenn er klagt, dass Israel "keiner Ermahnung
zugänglich" ist, dann will er auch maßregeln. Wie er es ebenso mit
den Kritikern in den Medien tut: Er lässt jede Differenzierung missen
und spricht von "Hordenjournalismus" und Gleichschaltung - einem
Begriff, der aus der NS-Zeit stammt. Und er will sich in diesem
Zusammenhang auch nicht seine Vergangenheit vorhalten lassen, dass er
als 17-Jähriger sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hat. Aber seit
sich Grass erst 2006 dazu bekannt hat, ist er seine Rolle als
Moralinstanz los. Auch das muss gesagt werden.
Wer austeilt, muss auch einstecken können. Wer pauschal urteilt, muss
auch pauschale Beurteilungen hinnehmen. Das gilt auch für einen
Groß-Schriftsteller wie Grass. Viele Reaktionen in Deutschland wie
Israel waren jedoch überzogen: Grass wurde als Irrer, Nazi und
Antisemit beschimpft.
Der Autor der wunderbaren Blechtrommel wusste sehr wohl, was er
schreibt und wie er das, was er meinte, sagen zu müssen, beschreibt.
Was in einem Menschen nicht drinnensteckt, kommt nicht zum Vorschein.
Seine Motivation ist aber nach wie vor unklar - auch wenn ihm die
Süddeutsche Zeitung Platz für Gedicht, Interview und Replik einräumte
- und im Gegenzug mit Kritik sparte. Auch das hätte er noch sagen
müssen.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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