Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Piraten/Parteitag von Reinhard Zweigler
Geschrieben am 29-04-2012 |
Regensburg (ots) - Praktisch aus den digitalen Weiten des
Internets stießen die Piraten auf die politische Bühne vor. Eine
Bewegung von Nutzern des weltweiten Netzes, die sich vor allem gegen
Zensur im Internet formierte, wie sie einst Ursula von der Leyen beim
Kampf gegen Kinderpornografie im Netz plante. Nun schicken sie sich
an, das bisherige Parteiengefüge gehörig durcheinanderzuwirbeln.
Nahezu im Zeitraffer durchlaufen die Internet-Demokraten jetzt
politische Kinderkrankheiten, wie man sie etwa von den Grünen oder
den Linken kennt. Ständig in Bewegung, nahezu ständig Online. Die
Piraten sind ein politisches Projekt, von dem allerdings zurzeit noch
niemand sagen kann, ob es grandios durchschlägt, ob es die bisherige
"analoge" Demokratie verändern kann oder ob es klammheimlich in den
Weiten des Netzes wieder einschläft. Alles ist im Fluss. Auf dem
Parteitag in Neumünster haben die Piraten zumindest einen Schritt für
ihren weiteren Erfolg getan. Sie haben sich klar und deutlich von
rechtsextremen Spinnern, Karrieristen und wohl auch Trittbrettfahrern
distanziert. Das war allerdings auch bitter notwendig. Das es so
eindeutig geschehen ist, ehrt die Piraten. Zumindest diese offene
Flanke haben sie geschlossen. Bei der Wahl des Parteivorstands, wo
bei den Basis-Aktivisten immer Überraschungen vorkommen können,
setzen sie auf jene Kontinuität, die bei den Piraten gerade noch
möglich ist. Nach einem Jahr muss wieder neu gewählt werden. Auch bei
den Grünen gab es einst solche Modelle, man rotierte. Am Anfang klein
und belächelt, wohl auch nicht ganz verstanden und ernst genommen,
haben die Piraten einen Aufschwung hingelegt, den es so in der
jüngeren deutschen Parteiengeschichte noch nicht gab. Sie haben es,
viel besser als Grüne oder Linke, verstanden, das riesige Reservoir
der Nichtwähler zu aktivieren. Außerdem wildern sie hemmungslos und
erfolgreich unter der Wählerschaft der anderen Parteien. Mit durchaus
unterschiedlichen Folgen und Konsequenzen für die etablierten
Parteien. Schaffen es die Piraten nach Berlin und Saarbrücken auch in
die Landtage von Kiel und Düsseldorf und im nächsten Jahr den
Bundestag einzuziehen, dann wären vor allem SPD und Grüne die
Gelackmeierten. Eine erhoffte Wiederauflage von Rot-Grün würde von
starken Piraten torpediert, wahrscheinlich sogar unmöglich gemacht.
Die SPD müsste, will sie wirklich den Kanzler stellen, ein
Dreierbündnis angehen. Mit den Grünen oder mit Piraten und Linken.
Beides ist nahezu nicht vermittelbar und wenig verlockend. Angela
Merkel hingegen kann das Erstarken der Piraten relativ gelassen
verfolgen. Die Verluste von CDU und CSU an die Internetaktivisten
halten sich in Grenzen. Dagegen schwächen die Politneulinge das
politische Lager links der Mitte. Starke Piraten im Bundestag würden
Merkels Ambitionen untermauern, als Kanzlerin einer großen Koalition
zu regieren. Freilich ist dies nur eine Momentaufnahme. Die tollen
Umfragewerte der Piraten basieren zum großen Teil auf ungedeckten
Schecks, auf schwammigen oder noch gar keinen politischen Konzepten,
auf einer verbreiteten Stimmung, "denen da oben" zeigen wir es jetzt
mal. Je mehr die Piraten gezwungen werden, zu bestimmten Themen Farbe
zu bekennen, wird bei ihnen selbst ein Differenzierungsprozess
einsetzen. In Neumünster haben sich die Piraten gewissermaßen etwas
selbst entzaubert, sogar auf eine angenehme Art.
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Mittelbayerische Zeitung
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