Henri Nannen Preis 2012 an 22 Preisträger verliehen
Geschrieben am 13-05-2012 |
Hamburg (ots) - Am 11. Mai 2012 haben der Verlag Gruner + Jahr und
der stern zum achten Mal den Henri Nannen Preis vergeben, mit dem die
Bestleistungen im deutschsprachigen Print- und Onlinejournalismus
ausgezeichnet werden. Die insgesamt 22 Preisträger wurden im Rahmen
einer festlichen Veranstaltung im Deutschen Schauspielhaus Hamburg
vor rund 1.200 prominenten Gästen aus Medien, Kultur, Politik und
Wirtschaft geehrt.
Der Henri Nannen Preis 2012 wird verliehen an Stefan Willeke
(Reportage), Kai Löffelbein (Fotoreportage), Ferry Batzoglou, Manfred
Ertel, Ullrich Fichtner, Hauke Goos, Ralf Hoppe, Thomas Hüetlin,
Guido Mingels, Christian Reiermann, Cordt Schnibben, Christoph
Schult, Thomas Schulz, Alexander Smoltczyk (Dokumentation), Nikolaus
Harbusch, Martin Heidemanns (Investigation), Hans Leyendecker, Klaus
Ott, Nicolas Richter (Investigation), Niklas Maak (Essay).
Der Fotograf F.C. Gundlach wird vom Verlagshaus Gruner + Jahr und
dem stern für sein Lebenswerk geehrt. Der Preis für Pressefreiheit
geht an den britischen Journalisten Nick Davies.
Den Henri Nannen Preis für die beste Reportage erhält Stefan
Willeke von der ZEIT. Mit Willekes Arbeit hat sich die Jury für ein
besonderes Porträt entschieden. Es handelt sich strenggenommen um ein
Porträt und eine Reportage, um eine konturenscharfe Beschreibung und
ein Road-Movie, um die Erklärung eines Menschen und die Wiedergabe
einer Reise. Der Reporter Willeke hat den RWE-Konzernchef Jürgen
Großmann auf seiner Reise in das von der atomaren Katastrophe
heimgesuchte Japan begleitet, dabei seinen Titanenkampf gegen den
drohenden Atomausstieg in Deutschland beobachtet und erlebt, wie der
mächtige Ausnahmeboss der Energiewirtschaft sich immer mehr in einen
unfreiwilligen Aussteiger verwandelt. Willeke, so heißt es in der
Jury-Begründung, "beschreibt Großmann aus größtmöglicher Nähe, mit
skelettierender Genauigkeit aber zugleich mit großer literarischer
Kunst." Der Reporter sei dem richtigen Mann zur richtigen Zeit am
richtigen Ort begegnet, "er hat diese Begegnung in einen Text von
meisterhafter Dramaturgie und Sprache verwandelt und damit die
Reportage des Jahres vorgelegt."
In der Kategorie Dokumentation geht es um die besonders
verständliche und anschauliche Darstellung eines komplexen
Sachverhaltes. Am besten gelungen und daher preiswürdig ist dies nach
Meinung der Jury dem zwölfköpfigen Team des SPIEGEL, das einen
Sachverhalt dargestellt hat, wie er nicht komplexer, unverständlicher
und unanschaulicher sein könnte: jene Entwicklung, die aus unserem
guten Geld die gefährlichste Währung der Welt werden ließ. Die
Autoren haben an vielen Stellen und bei vielen Personen recherchiert,
die Genese des Euro bis ins kleinste Detail durchleuchtet und das
Ergebnis ihrer umfassenden Recherchen in wohldosierten und glänzend
formulierten Texten festgehalten, die zu einem spannend zu lesenden
Dossier von höchstem Aufklärungswert zusammengefügt wurden. Die
Arbeit, so die Jury, "inzwischen acht Monate alt und immer noch
brandaktuell, ist eine großartige journalistische Kollektivleistung,
die ein ebenso wichtiges wie sperriges Thema verständlich und sogar
zu einem Lesevergnügen werden lässt."
Für die Bewertung einer investigativen Arbeit sind zwei Kriterien
wesentlich: Die Recherche-Leistung des Reporters und die
gesellschaftliche Bedeutung seiner aufklärenden Enthüllung.
Bei der Diskussion des ersten Punktes konnte sich die Jury relativ
schnell darauf einigen, dass Hans Leyendecker, Klaus Ott und Nicolas
Richter von der Süddeutschen Zeitung eine besondere Leistung erbracht
haben. "Sie haben an einem Nullpunkt angefangen. Es gab kein
staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren, keinen Koffer voller
Informationen, keinen Whistle Blower. Es gab nur den Verdacht, dass
hinter dem Skandal um die Bayerische Landesbank mehr steckte, als bis
Ende 2010 bekannt geworden war." Systematisch begannen die
Journalisten die Rolle der verdächtigen Bankmanager bei diesem
Skandal zu erforschen und deren Vermögensverhältnisse zu
recherchieren. Dabei stießen sie auf ein dubioses, aber gut getarntes
Firmengeflecht in Österreich und auf eine merkwürdige Privatstiftung
des früheren Bankvorstands Gerhard Gribkowsky. Auf halber Strecke der
Recherchen schaltete sich dann die Staatsanwaltschaft ein. Am Ende
wurde ein ganzer Sumpf von Korruption, Erpressung und
Bestechungszahlungen rund um Gribkowsky, Bernie Ecclestone und den
Formel-1-Zirkus enthüllt. "Ohne die monatelange hartnäckige Arbeit
der SZ-Journalisten", so die Jury, "wäre wahrscheinlich bis heute
nichts davon ans Licht gekom-men. Ein Fall von großartiger
Reporter-Leistung."
Aber auch eine zweite investigative Leistung spielte in der
Diskussion der Jury eine große Rolle: die Enthüllung von Nicolaus
Harbusch und Martin Heidemanns in der BILD-Zeitung. Sie hatten fast
ein Jahr lang recherchiert und waren schließlich als erste darauf
gestoßen, dass der höchste Repräsentant unseres Staates in seiner
vorherigen Rolle als niedersächsischer Ministerpräsident einen
dubiosen Privatkredit angenommen und dem Parlament nicht die volle
Wahrheit gesagt hatte. Der weitere Gang der Dinge ist bekannt, die
Enthüllung der beiden BILD-Reporter entwi-ckelte sich zum größten
Skandal des vergangenen Jahres und führte zum Rücktritt des
Bundes-präsidenten. "Ein Fall", so die Jury, "von größtmöglicher
Fallhöhe."
Auf der einen Seite also der Superlativ einer investigativen
Leistung, auf der anderen der Superlativ einer gesellschaftlichen
Wirkung, beide hielten sich die Waage. Daher vergibt die Jury den
Henri Nannen Preis für Investigation in diesem Jahr an die drei
Redakteure der Süddeutschen Zeitung und an die beiden Redakteure der
BILD.
Über die Unwirtlichkeit unserer Städte ist schon viel geschrieben
worden. Auch viel Unsinn. Niklas Maak, der Preisträger in der
Kategorie Essay, räumt damit in seiner Arbeit auf. "Sein Text", so
die Jury, "ist eine ebenso wilde wie witzige Philippika gegen
Archi-Essentialisten und die Simulation von Urbanität, gegen ein
Stadtbild anstelle der Stadt und vor allem gegen das angeblich
unvermeidbare Diktat des Ökonomischen, das das Bild aktueller Städte
prägt." Aber der Blick des Autors geht weiter, hinaus in die
Vorstädte, wo er das gleiche Elend in anderer Gestalt ausmacht, wo
"verputze Billigstkisten mit Gucklöchern" stehen, "apricotfarbener
Dämmputz und Plastik-sprossenfenster" als Schmuck gelten und die
"Lobbys des Schlüsselfertigen" eine absolutistische Herrschaft
ausüben. Maaks Polemik, so urteilte die Jury, "ist ein glänzender
Essay voll Gedan-kenschärfe und stilistischem Glanz, der den Leser
anstößt, die architektonische Ödnis unserer Städte und ihrer Vororte
mit neuen Augen zu sehen."
Der Preis für die beste Fotoreportage wird Kai Löffelbein
zuerkannt für eine auf stern.de veröffentlichte Bildstrecke, "die
mitten ins Herz trifft und ins Hirn." Ein Foto dieser Reportage
bei-spielsweise zeigt schwarze Rauchwolken über einem brennenden
Trümmerfeld, daneben das Wrack eines Autos - und davor einen
schwarzen Jungen in Badelatschen und einem zerlumpten Fußballtrikot,
der einen alten Fernseher über den Kopf stemmt, um ihn zu
zerschmettern und an das wertvolle Metall im Inneren heranzukommen.
In der Jury-Begründung heißt es: "Es ist ein Foto wie aus dem Krieg
und es ist tatsächlich Krieg, was der Fotograf auf der Giftmüllhalde
im Zentrum der Hauptstadt Ghanas festgehalten hat: ein Krieg um die
vergifteten Reste unseres westlichen Reichtums, ein Krieg ums
Überleben, ein Krieg, den Kinder und Halbwüchsige führen müssen, um
nicht zu verhungern."
Der Fotograf, heißt es in der Würdigung der Jury, "hat einen
genauen Blick für das Spektakuläre, aber auch für die signifikanten
Details dieser Verwertungshölle. Die Bilder seiner Fotoreportage sind
vorzüglich komponiert, sie sind von höchster Qualität, sie sind im
klassischen Sinne schön und eindrucksvoll - sie sind aber auch
analytisch und politisch und erliegen niemals der Gefahr einer
Über-Ästhetisierung. Sie öffnen die Augen und begeistern sie."
Der Lebenswerkspreisträger Franz Christian Gundlach, 1926 im
hessischen Heinebach geboren, entwickelte seine Leidenschaft für
Fotografie bereits im Alter von 10 Jahren. Nachdem er nach kurzem
Dienst an der Front 1946 aus französischer Kriegsgefangenschaft
heimgekehrt war, absolvierte er eine Ausbildung zum Fotografen in
Kassel. Im Anschluss daran arbeitete er als freier Fotograf und als
Assistent der Modefotografin Ingeborg Hoppe. Bald fotografierte er
Mode überall auf der Welt und publizierte seine Fotostrecken in
großen Magazinen der Bundesrepublik wie Film und Frau, Brigitte,
stern, Constanze und Quick. 1970 gründete F.C. Gundlach in einem
ehemaligen Bunker in Hamburg mit PPS (Professional Photo Service) das
erste Profilabor und Mietstudio für große Fotoproduktionen in
Deutschland. In der PPS-Galerie veranstaltete er bis 1993 mehr als
100 Foto-Ausstellungen namhafter Fotografen wie Richard Avedon, Horst
P. Horst oder Irving Penn. Gundlachs eigene Werke waren in
Ausstellungen von Beirut über Rotterdam bis nach New York zu sehen.
Im Jahr 2000 gründete F.C. Gundlach, der sich seit Beginn der 80er
Jahre zunehmend der Sammlung fotografischer Werke und der Konzeption
von Ausstellungen widmete, die Stiftung F.C. Gundlach "zur Förderung
der Fotografie als künstlerisch und gesellschaftlich bedeutendes
Kulturgut". Als Gründungsdirektor des Hauses der Fotografie in den
Deichtorhallen in Hamburg war er von 2003 bis 2005 dessen
künstlerischer Leiter.
Mit seinen noch immer nicht abgeschlossenen Recherchen löste Nick
Davies - der den Henri Nannen Preis für den besonderen Einsatz für
die Freiheit der Presse erhalten hat - den "News International
phone-hacking scandal" aus. Er deckte - auch gegen Widerstände aus
journalisti-schen Kreisen - auf, dass Reporter der zum
Murdoch-Imperium gehörenden Zeitung News of the World illegale Abhör-
und Bestechungsmethoden nutzten, um an Informationen zu kommen. Sah
es in den Jahren von 2005-2007 so aus, als würden vor allem
Prominente und Politiker abgehört, stellte sich durch Recherchen von
Davies im Jahr 2011 heraus, dass auch Privatpersonen abge-hört
wurden, darunter Soldatenwitwen und die Mailbox eines 13jährigen
Mordopfers. Als daraufhin Proteste aus der Bevölkerung einsetzten und
Boykotte der Werbekunden gegen die News Corporation drohten,
entschied Murdoch, die seit 168 Jahren erscheinende Boulevardzeitung
News of the World einzustellen. Der Skandal hat sich mittlerweile
auch auf die Britische Regierung ausgeweitet und seine Kreise bis
nach Amerika, dem Hauptsitz der News Corporation, gezogen. Der
Zeitungsskandal ist der größte der englischen Nachkriegsgeschichte
und löste eine weltweite Debatte über die Macht und Moral der Medien
aus.
Der 1953 im Süden Englands geborene Nicholas John Allen, genannt
Nick Davies, entstammt der englischen Mittelschicht. Nach seinem
Politikstudium in Oxford begann er seine Laufbahn als Journalist bei
einem regionalen Blatt in Devon in Südengland. 1976 ging Davies als
Trainee zum Trinity Mirror Verlag, bei dem das Boulevard-Blatt Sunday
People erschien. Im Jahre 1979 wurde er Reporter beim Guardian, seit
1989 schreibt er für den Guardian als freier Journalist mit Basis in
seiner Heimatstadt Lewes, in der er mit seiner Lebensgefährtin lebt.
Davies hat drei er-wachsene Kinder.
Mit dem Henri Nannen Preis stellen Gruner + Jahr und der stern die
Bedeutung von anspruchsvollem Print- und Onlinejournalismus heraus
und erinnern zugleich an das Werk des stern-Gründers Henri Nannen
(1913-1996). Der Preis ist mit insgesamt 35.000 Euro dotiert.
Außer-dem erhalten die Preisträger den "Henri", eine von dem Berliner
Bildhauer Rainer Fetting ge-schaffene Bronzeskulptur Henri Nannens im
Andenken an dessen Lebenswerk. Ein aufwendiges Sichtungsverfahren
sowie eine hochkarätige Jury, der erfahrene Journalisten, Autoren,
Chefredak-teure und Herausgeber großer Verlage Deutschlands
angehören, gewährleisten die Unabhängigkeit der Auszeichnung. Um den
"Henri 2012" bewarben sich Journalisten mit 872 Arbeiten aus 154
Print- und Onlinepublikationen.
Der Hauptjury des Henri Nannen Preises gehören an: Peter-Matthias
Gaede (Chefredakteur GEO), Margot Klingsporn (Inhaberin der
Fotoagentur FOCUS), Giovanni di Lorenzo (Chefredakteur DIE ZEIT),
Helmut Markwort (Herausgeber Focus), Georg Mascolo (Chefredakteur DER
SPIEGEL), Nils Minkmar (Ressortleiter Feuilleton Frankfurter
Allgemeine Zeitung), Felix E. Müller (Chefredakteur NZZ am Sonntag),
James Nachtwey (Fotograf), Thomas Osterkorn (Chefredakteur stern, im
jährlichen Wechsel mit seinem Kollegen Andreas Petzold), Jan-Eric
Peters (Chefredakteur DIE WELT-Gruppe), Ines Pohl (Chefredakteurin
taz), Richard David Precht (Autor), Ulrich Reitz (Chefredakteur
Westdeutsche Allgemeine Zeitung), Anja Reschke (Autorin und
Moderatorin Panorama) und Gerhard Steidl (Verleger).
Weitere Informationen zum Henri Nannen Preis unter:
www.henri-nannen-preis.de
Pressekontakt:
Susanne Hacker
Kommunikation Henri Nannen Preis
G+J-Unternehmenskommunikation
Telefon +49 (0) 40 / 37 03 - 27 97
E-Mail hacker.susanne@guj.de
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