Börsen-Zeitung: Überzogene Ängste, Börsenkommentar "Marktplatz", von Dieter Kuckelkorn.
Geschrieben am 15-06-2012 |
Frankfurt (ots) - Die neue Börsenwoche dürfte sicherlich eine der
interessantesten im gesamten laufenden Jahr werden, gilt es doch, das
Ergebnis der Wahlen in Griechenland vom Wochenende zu verdauen. Für
den Wochenauftakt ist zunächst einmal mit kräftigen Reaktionen zu
rechnen. Im Fall eines Sieges des linksradikalen Parteinbündnisses
Syriza wird die Angst dominierend sein, dass nach einer Aufkündigung
der Sparzusagen durch die neue griechische Regierung die Einstellung
der Hilfen durch Europäische Union (EU) und Internationalen
Währungsfonds (IWF) erfolgt und es in der Folge zu einem Austritt
Griechenlands aus der Eurozone kommt. Und im Fall eines Sieges der
konservativen Nea Demokratia, die den radikalen Sparkurs des Lands
mitträgt, wird es zu einer Erleichterungsrally kommen. Betroffen sein
werden Aktien, der Euro und zweifellos die Bond- und Credit-Märkte.
Die Frage ist aber, wie lange die vermutlich markant ausfallenden
Kursausschläge Bestand haben werden.
Eine Erleichterungsrally dürfte, dies zeigen die Erfahrungen im
Rahmen der Krise, vermutlich nicht lange anhalten. Es ist damit zu
rechnen, dass die zahlreichen ungelösten Probleme Griechenlands und
der anderen hochverschuldeten EU-Staaten wie Spanien und Italien
rasch wieder ins Bewusstsein der Marktteilnehmer vordringen, was
nachhaltige Kursgewinne am Aktienmarkt oder des Euros eng begrenzen
sollte. Dies hat aktuell auch die verhaltene Reaktion an den Märkten
auf die Rettung der spanischen Banken durch die EU gezeigt.
Aber auch ein Wahlsieg der radikalen griechischen Linken wäre
nicht aller Tage Abend. Er käme nicht aus heiterem Himmel, der
europäische Bankensektor und die Staaten bereiten sich bereits seit
einiger Zeit auf einen "Grexit", also den Austritt der Hellenen aus
der Eurozone, vor. Ein solches Ereignis täte sicherlich weh, wäre
aber vermutlich beherrschbar. Zudem argumentieren Analysten, dass
beispielsweise der Aktienmarkt einen "Grexit" bereits teilweise
vorweggenommen hat. Eine weiter um sich greifende Risikoaversion
könnte als Kontraindikator dann eventuell sogar anzeigen, dass die
Korrektur bei Aktien bald beendet ist. Dies erwarten jedenfalls die
Analysten der Helaba.
Aus Sicht der Marktteilnehmer würde es im Falle eines
Syriza-Wahlsiegs vor allem darauf ankommen, wie groß die Gefahr eines
Auseinanderbrechens der gesamten Eurozone ist. Lässt sich diese
Gefahr erkennbar eindämmen, besteht die Chance, dass die Verluste
zumindest auf Wochensicht nicht allzu dramatisch ausfallen - zumal
sich argumentieren lässt, dass es für die anderen EU-Länder durchaus
vorteilhaft sein kann, wenn sie für die Rettung des mittlerweile fast
schon als hoffnungsloser Fall geltenden Griechenland nicht mehr
zuständig sind.
Außerdem ist zu erwarten, dass die Notenbanken in einer
konzertieren Aktion mit weiteren umfangreichen Liquiditätsspritzen
gegensteuern und so das Schlimmste an den Märkten kurzfristig
verhindern werden. Die Bank of England hat bereits am Freitag den
britischen Banken 100 Mrd. Pfund verabreicht. Auch die EZB dürfte in
die Vollen gehen, falls sie dies als notwendig erachtet.
Nach Einschätzung der Analysten der Unicredit hat in der gerade
beendeten Handelswoche pure Angst statt rationales Risikomanagement
das Marktgeschehen geprägt. Die Angst vor einer Pleite Spaniens und
der Ansteckung Italiens habe die Renditen von Staatsanleihen dieser
Länder auf Niveaus katapultiert, die weder die Reformbemühungen noch
die Schuldenlage adäquat widerspiegelten. Insofern, ließe sich
ergänzen, kann die Stimmung möglicherweise kaum noch wesentlich
negativer werden. Außerdem, so argumentiert Unicredit, wird jede
mögliche griechische Regierung ausreichende Anpassungsmaßnahmen
ergreifen, um sich die Unterstützung der Troika aus EU, IWF und
Europäischer Zentralbank zu erhalten. Eine Abkehr von den Reformen
hätte nämlich dramatische Folgen: Bei Einstellung der Zahlungen von
EU und IWF ginge der Regierung in Athen binnen weniger Wochen das
Geld aus. An die Staatsbediensteten könnte sie nur noch Schuldscheine
ausgeben, was einen raschen Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft
zur Folge hätte. Dies dürfte dann wohl jede mögliche Regierung in
Athen zur Räson bringen.
Letztlich ist also in der aktuellen Situation weder mit einer
nachhaltigen Erholung noch - angesichts der bereits jetzt zumindest
teilweise überzogenen Ängste - mit einem ausgeprägten Crash an den
Märkten zu rechnen.
(Börsen-Zeitung, 16.6.2012)
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